Deutsches Museum München, auf dem Weg in eines der letzten Depots, die sich noch am Museumsstandort selbst befinden. Florian Breitsameter, Kurator für Pharmazie, Medizintechnik und Museumsgeschichte, führt durch das Labyrinth aus Gängen und Räumen. Schließlich Ankunft im Depot 13 A: Hier lagert das vermeintliche Heilmittel "Mumia vera aegyptiaca", das echte ägyptische Mumienpulver: Ein Glas, gefüllt mit weißer Watte, darüber steinartige, braune Brocken – Bruchstücke einer zerkleinerten, zerhackten Mumie.
Vom 12. Jahrhundert an bis in die 1920er-Jahre wird diesem Stoff – zu Pulver zermahlen – eine heilende Wirkung zugeschrieben. Nimmt man es ein, soll Mumia gegen allerlei Leiden helfen: Gegen Husten, Kopfschmerzen, Blähungen, sogar gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Ursprung führt nach Persien
Florian Breitsameter holt ein zweites Glas hervor, beschriftet ist es mit "Asphaltum". Denn Mumia, so Breitsameter, sei nicht immer pulverisierte Mumie gewesen, sondern ursprünglich "eine ölige, schwarze, Pech-ähnliche Substanz, die man in Persien gefunden hat." Dieser Substanz wurden heilende Kräfte zugeschrieben, zum Test habe man etwa einem Huhn das Bein gebrochen und Mumia draufgeschmiert. "Und nach zwei, drei Tagen konnte das Huhn schon wieder laufen und der Knochen war geheilt!"
Die heute äußerst makaber anmutende Gewohnheit, Mumien in Pulverform einzunehmen und sich davon eine heilende Wirkung zu versprechen, hat also doch einen gewissen rationalen Ursprung. Wann genau man vom Erdpech zur Mumie überging, ist schwer zu sagen. Bereits im 12. Jahrhundert berichtet der islamische Arzt Abd el-Latif von einem regen Handel mit Mumien. Die gibt es damals noch im Überfluss, jahrtausendelang hatten sich vom Pharao bis zum einfachen Bauern alle Ägypter in verschieden aufwendigen Verfahren mumifizieren lassen.
Fehlender Respekt und koloniale Denke
Respekt vor den Toten – und vor deren Jahrtausende alten Überresten? Hatten die Europäer in dem Fall offenbar keinen. Heute gilt es als Grabschändung, wenn man Mumien massenweise ausgräbt. Und sich zerriebene Mumien einzuverleiben, ist streng genommen eine Form des Kannibalismus. Doch die Europäer halten am Mumienpulver fest – selbst als Ägypten den Handel mit Mumien schließlich verbietet. Nun werden die Mumien eben illegal eingeschifft.
Diese skrupellose, arrogante Haltung zeugt vom kolonialen Denken, auch dieser Aspekt wird in der Geschichte von Mumia miterzählt. Andererseits waren Mumien Teil eines weltweiten Handels von Arzneimitteln – und das schon lange, bevor Franzosen und Briten einen Fuß auf ägyptischen Boden setzten, erzählt Florian Breitsameter.
Ab dem 14. Jahrhundert blühte jedoch noch ein anderes Geschäft: Mumien wurden gefälscht. Weil echte Mumien immer schwerer zu beschaffen waren, gingen manche Händler dazu über, Menschen, die kürzlich verstorben waren, im Schnellverfahren zu mumifizieren und an die Europäer zu verkaufen.
Heute im Depot
Seit 1925 ist das Glas mit den Mumia-Brocken im Besitz des Deutschen Museums. Bis in die 1950er-Jahre wurde es als Teil der historischen Apotheke ausgestellt. Hier waren Apotheker-Möbel, pharmazeutische Geräte und historische Arzneimittel ausgestellt – auch das ist schließlich ein Teil der Naturwissenschaften und der Technikgeschichte, denen sich das Museum verpflichtet sieht.
Heute wird das Mumienpulver aus mehreren Gründen nicht mehr gezeigt, erklärt Florian Breitsameter. Erstens sei unklar, ob es sich bei der Substanz im Glas wirklich um menschliche Überreste handelt. Zweitens würde man das Mumienpulver in der historischen Apotheke zeigen, zusammen mit Kräutern, mit Gefäßen – ohne einen Zusammenhang, dass sich es sich hier um potenziell menschliche Überreste handelt. "Und drittens: Wir wissen gar nicht, aus welcher Zeit die überhaupt stammen. Ob das wirklich echte Mumien waren oder Leichen, die einfach ausgegraben wurden vor 150 oder 200 Jahren, und dann nur künstlich mumifiziert wurden."
Nach 1924 verschwand Mumia aus den deutschen Apotheken. Die Wirkung ist da schon lange umstritten. Heute wird es nicht einmal mehr im Museum gezeigt. So deutlich haben sich die Mentalitäten geändert – zum Besseren.
Unsere Serie: Im Dunkel des Museums-Depots
Ob Museen oder Bibliotheken – fast alle bayerischen Kulturinstitutionen haben "Leichen" im Keller: Exponate, die nicht (mehr) gezeigt werden. In Teil 4 unserer BR-Serie geht es um Mumienpulver im Keller des Deutschen Museums. Weitere Folgen gibt es als Podcast.
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