Der russische Präsident am Rednerpult
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Wladimir Putin dankt seinen Wahlkampfhelfern im Kreml

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"So werden wir nie gewinnen": Russen rätseln über Putins Ziele

"So werden wir nie gewinnen": Russen rätseln über Putins Ziele

Um Russlands Sicherheit zu gewährleisten, hatte Putin die Einrichtung einer "Sanitärzone" an der Grenze zur Ukraine ins Gespräch gebracht. Jetzt wird jedoch russisches Territorium evakuiert, was die "Ultrapatrioten" erbost: "Interessante Wende."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Der russische Star-Blogger und Rechtsextreme Igor Skurlatow (365.000 Telegram-Fans) ist außer sich: "Was ist mit der Sanitärzone, über die Wladimir Putin neulich sprach? Wir gingen alle miteinander davon aus, dass die Grenze dieser Zone am besten entlang der Westgrenze der Ukraine verlaufen sollte. Aber nein. Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow entschied, dass sie durch [die russische Regionalhauptstadt] Belgorod verlaufen würde. Interessante Wende. So werden wir nie gewinnen!" Grund für die Aufregung: Eine "Massenevakuierung" auf russischer Seite, von der Skurlatow inständig hofft, dass es nur eine "vorübergehende Maßnahme" sein werde.

Der von Skurlatow so herbe kritisierte Gouverneur Gladkow sieht sich derweil einem Shitstorm ausgesetzt, weil er in einem Interview sagte, nachts würden in Belgorod künftig die Sirenen ausgeschaltet, damit die Menschen ruhiger schlafen und die "Stress-Situation besser bewältigen" könnten. Benachrichtigungen per SMS bei Raketengefahr müssten reichen. Ansonsten sei womöglich ein "totaler Albtraum" die Folge, die Kinder seien ohnehin schon "angespannt". Einwohner schimpften, in Grenznähe sei der Handyempfang häufig gestört, nur Sirenen könnten sie "retten". Im Übrigen täten sie sowieso kein Auge zu: Sogar das Quietschen von Eisenbahnwaggons lasse sie im Bett zusammenzucken.

Kremlsprecher Peskow: "Gewisser Korridor, ja eine Art Pufferzone"

Putin hatte unmittelbar nach der "Präsidentschaftswahl" aufgrund "tragischer Ereignisse" nicht ausgeschlossen, eine "gewisse Sanitärzone" entlang der Grenze einzurichten, damit ukrainische Geschosse kein russisches Territorium mehr erreichen könnten. Über den genauen Verlauf und die Ausdehnung einer solchen Zone machte der Präsident keine Angaben.

Kremlsprecher Dmitri Peskow erläuterte den Vorschlag gegenüber der Nachrichtenagentur TASS mit den Worten: "Der Präsident meint, dass vor dem Hintergrund der Drohnenangriffe, vor dem Hintergrund des Artilleriebeschusses unseres Territoriums, für gewisse Siedlungen auf unserem Territorium, vor allem für soziale Einrichtungen und Wohngebäude Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden. Sie können nur durch die Schaffung eines gewissen Korridors, ja eine Art Pufferzone, gesichert werden, sodass alle Mittel, mit denen der Feind zuschlagen könnte, außerhalb der Reichweite liegen."

Putin: "Alle diese Versuche scheiterten"

Weil in den letzten Tagen ukrainische Freischärler die russische Region Belgorod zunehmend unter Beschuss nahmen und sogar einige Kilometer ins Landesinnere vorgerückt sein sollen, geriet Putin unter Druck. Russland sei zwar in der Lage, auf die grenznahen Angriffe mit Vergeltungsschlägen auf zivile Ziele in der Ukraine zu reagieren, habe diesbezüglich jedoch "seine eigenen Ansichten und Pläne", so Putin vor Unterstützern, ohne auf Details einzugehen. Es sei alles "nicht einfach".

Bei einem Besuch in der Geheimdienstzentrale behauptete Putin: "Alle Versuche von Sabotage- und Terrorbanden, bestehend aus regulären feindlichen Einheiten, ausländischen Söldnern, die auch aktiv eingesetzt werden, und allen Arten von Abschaum, die auf verschiedene Weise auf das Territorium des Kiewer Regimes gelangten, in unser Territorium einzudringen – alle diese Versuche scheiterten."

Die Realität sah jedoch anders aus, was russische Rechtsextreme und Kriegsblogger erzürnt. So kündigte der für Belgorod zuständige Gouverneur Gladkow an, 9.000 russische Kinder aus der Region zu evakuieren, zunächst für drei Wochen, "bei Bedarf bis zum Ende des Schuljahres". Bitterer Spott von Patrioten war die Folge: "Warum Gladkow das erst jetzt in die Wege leitet, ist ein Rätsel. Wird er für seine überfälligen Entscheidungen unter Kriegsbedingungen, für die bereits eingetretenen Todesfälle und die abgetrennten Gliedmaßen von Kindern zur Verantwortung gezogen? Nein, er wird sich nicht verantworten."

"Eine Art Neo-Perestroika"

Die "Diskrepanz zwischen Worten und Taten" Putins hätten "einige Beobachter verwirrt", hieß es. Der russische Politologe Michail Winogradow verwies konsterniert darauf, dass es 10 Kilometer landeinwärts von der Grenze in Russland Straßensperren gebe: "Es gibt einen gewissen Kontrast zwischen den Nachrichten über die 'angemessene Vernichtung' des Feindes bei der Annäherung an die Grenze und den Einreisebeschränkungen in [die russische Kleinstadt] Graiworon – aber vielleicht wird doch alles irgendwie geklärt."

Einflussreiche Blogs meinten sarkastisch: "Uns wurde eine Sanitärzone in der [ukrainischen] Region Charkow versprochen, aber in Belgorod wird es sie geben." Von "handfesten Problemen" war die Rede: "Für den Präsidenten ist es wirklich wichtig, die Dynamik bei der Umsetzung seines Programms aufrechtzuerhalten, seine Linie beizubehalten, um endlich zur gewohnten Normalität zurückzukehren. Andernfalls könnten sich die übersteigerten, hohen Erwartungen in eine negative Richtung wenden. Und wie schon einmal wird es zu einer Art Neo-Perestroika kommen."

Die jüngsten Ereignisse seien "irgendwie seltsam", urteilte ein Militärblogger: "In der Realität gehen die feindlichen Angriffe nicht nur weiter, sondern zwingen uns sogar dazu, Menschen aus Grenzregionen ins Landesinnere zu verschleppen. Eine solche Diskrepanz zwischen den vom Staatsoberhaupt skizzierten Ansätzen für das weitere Vorgehen an der Front und den Realitäten in einigen Gebieten des 'alten' Russlands, vor allem im Zusammenhang mit der ersten aufgezeichneten Massenevakuierung der Bevölkerung von dort, verursacht berechtigte Empörung unserer patriotischen Öffentlichkeit."

"Kein Grund zur Hoffnung"

Von einem "Bumerang-Effekt" war die Rede: "Es gibt bisher keinen Grund zur Hoffnung, dass sich diese Situation zum Besseren ändern wird." Experten gingen inzwischen davon aus, dass sowohl die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete, als auch russisches Territorium zur "Sanitärzone" gehören werde. Optimismus für eine "glänzende Zukunft" sei jedenfalls "nicht angebracht".

Einmal mehr verlangten die Rechten von Putin "Blut, Schweiß und Tränen", wie sie einst der britische Premier Winston Churchill seinen Landsleuten in Aussicht gestellt hatte: "Nur dann werden unsere Feinde Belgorod nicht mehr erreichen und es wird keine Angst mehr geben, dass die 'Sanitärzone' nicht etwa durch die Ukraine, sondern hier, bei uns verläuft." Der russische TV-Propagandist Alexander Sladkow beobachtete eine "Verdreifachung" von grenznahen Geschäften, die "Tarnkleidung, Splitterschutz und andere militärische Ausrüstung" feilböten. Die Lage sei "tatsächlich angespannt": "Sie werden uns nicht schlagen."

Ziemlich zerknirscht auch die Stimmung beim "Veteranen", der 313.000 Follower mit Neuigkeiten von der Front versorgt. Er habe "aufgehört, wütend zu sein, nachzudenken und nach Schuldigen zu suchen", so sein Fazit: "Es macht keinen Sinn, auf eine baldige Verbesserung der Lage in den Grenzgebieten Belgorod und Kursk zu hoffen. Es wird nicht möglich sein, den Feind schnell von unserer Grenze zu verdrängen. Die notwendigen Maßnahmen zur Bildung von Angriffsgruppen und Reserven sind noch nicht abgeschlossen. In den kommenden Monaten wird die Situation also ungefähr die gleiche sein wie jetzt, plus minus null. Es wird wahrscheinlich hart, ehrlich gesagt."

"Können keine ernsthaften Kräfte zusammenziehen"

Sogar Kreml-Propagandist Sergej Markow musste selbstkritisch einräumen: "Wir sehen, dass es auf russischem Territorium Terroranschläge gibt. Wird es so wie jetzt bleiben, oder werden sie zahlreicher? Keiner weiß es." Zu den obersten Prioritäten Putins gehöre es, den Krieg zu beenden und die russische Unterlegenheit bei Rüstungsgütern auszugleichen: "Unsere Truppen sind denen der NATO jetzt um 10 bis 15 Kilometer Reichweite unterlegen, und wir können keine ernsthaften Kräfte für Durchbrüche und Offensiven zusammenziehen."

Trotz des ernsten Themas meldeten sich reichlich russische Humoristen zu Wort: "Ehemalige Geheimdienstoffiziere haben eben nur Zonen im Kopf", hieß es unter Anspielung auf Putins KGB-Vergangenheit. Besser als eine Pufferzone an der Grenze sei allemal eine im Kopf des Präsidenten. Falls Deutschland eines Tages doch noch die "Taurus"-Marschflugkörper liefere, müsse die "Sanitärzone" wohl "irgendwo in Ungarn" verlaufen: "Es sieht ganz danach aus, dass rund um Russland demnächst überhaupt nichts Lebendiges mehr existiert." Manche vermuteten, die Pufferzone sei der Ersatz für die bisher vom Kreml häufig, aber ohne jegliche politischen Folgen beschwörten "roten Linien".

"Gefühlskalte Neutrale"

Russische Politologen spekulierten, der Kreml habe mit dem Begriff "Sanitärzone" womöglich insgeheim sein politisches Konzept geändert. Demnach rücke Putin von weiteren Annexionen und einer Eroberung der gesamten Ukraine ab und wolle womöglich nur noch in einem Teil des Landes eine "prorussische" Marionettenregierung installieren: "Es ist noch nicht klar, um welche Gebiete es sich handelt."

Exil-Politologe Anatoli Nesmijan empfahl Putin eine ganz andere Strategie, um die Sicherheit der russischen Grenze zu gewährleisten: "Tatsächlich ist das beste Schutz- und Sicherheitssystem ein freundlicher oder neutraler Nachbar, aber was die russische Außenpolitik nicht leisten kann, ist eben unerreichbar. Freunde wurden zu gefühlskalten Neutralen, ehemals neutrale Länder zu Feinden. "

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