Als Sir Arthur Conan Doyle 1887 in einem Weihnachtsalmanach seine Erzählung "A Study in Scarlet" ("Eine Studie in Scharlachrot") veröffentlichte, passierte zunächst nicht viel. Doyle, damals noch Arzt, wandte sich danach anderen literarischen Stoffen zu, und ließ seine erfundene Figur Sherlock Holmes ruhen – bis sich zwei Jahre nach Erscheinen ein US-amerikanischer Verleger bei ihm meldete. Er wollte mehr Sherlock-Stoff von ihm.
- "Sherlock Holmes - Der Krimi-Hörspielklassiker nach Sir Arthur Canon Doyle": Hier in der ARD Audiothek hören
Es kam zu einem legendären Business-Dinner, bei dem nicht nur mehr Sherlock Holmes von Doyle bestellt wurde, sondern noch ein anderer Klassiker der Weltliteratur seinen Anfang nahm: Oscar Wilde erhielt den Auftrag, "Das Bildnis des Dorian Gray" zu schreiben.
Alles begann bei einem Dinner
Mit diesem Dinner begann Sherlocks Siegeszug – berühmt wurden vor allem 56 kurze Episoden, die in Zeitschriften erschienen. Schon 1893 hatte Doyle genug von Holmes, und ließ ihn in einer Folge tödlich verunglücken. Es hagelte Protest, Doyle zog zurück und schrieb eine weitere Folge: Sherlock hatte überlebt. "Der Hund von Baskerville", die wohl bekannteste Erzählung, entstand erst nach dieser Wiedergeburt – und machte Holmes nahezu weltweit bekannt.
Sherlock Holmes in Podcasts und Filmen
Knapp 140 Jahre später begibt sich der akribische Ermittler immer noch auf Spurensuche – allein der Name Sherlock garantiert Klicks und Quoten. Aktuell wartet die Fangemeinde auf "Sherlock 3" des Regisseurs Guy Ritchie, dessen Verfilmungen 2009 und 2011 mit Robert Downey Jr. als Sherlock Holmes und Jude Law als Dr. Watson große Erfolge feierten.
Und auf Netflix rangiert die BBC-Serie "Sherlock" weiterhin unter den Top 10. Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch muss darin mit Martin Freeman alias Dr. Watson auch schon mal zwei Fälle parallel lösen, in denen es jeweils um Leben und Tod geht. Die Zeit läuft, die Bombe tickt, das Flugzeug stürzt gleich ab – trotzdem empfängt der Meisterdetektiv auch hier seine Klienten im Wohnzimmer der legendären Baker Street 221b in London, um über den Fall zu reden.
Der klassische Sherlock Holmes-Typus (introvertiert, sachlich, höflich, akkurat, Meister des logischen Denkens, brillantes fotografisches Gedächtnis) bekommt hier einen Charakter-Rebrush im Vergleich zu früheren Verfilmungen und ist vielleicht näher am Roman-Original dran: Sherlock ist jünger, exzentrischer und hat auch dunkle Seiten, wie eine verborgene Drogensucht.
Sherlock Holmes zieht immer noch: Top 10 den ARD Audiothek Hörspiel Charts
Erfolgreich ist Sherlock Holmes aber nicht nur im Bewegtbild, sondern auch als Audio. Aktuell auf Platz 1 der britischen Apple Podcast-Charts im Bereich Fiktion: "Sherlock & Co", mit Dr. Watson als "True Crime"-Podcaster.
Auch in den Top 10 der ARD Audiothek tummelt sich Sherlock immer wieder. Sherlock Holmes ist ein Zugpferd des erfolgreichen ARD Krimi-Podcasts "Auf der Spur". Hier heißt es: "Die besten Ermittlerkrimis der ganzen ARD findest Du jetzt an einem Ort: von Sherlock bis Brunetti!" In dem Feed hat Sherlock inzwischen gute Gesellschaft von weiblichen Ermittlerinnen wie Kommissarin Felicatas Leitner oder der Münchner Ermittlerin Fariza Nasri in den Krimis von Friedrich Ani.
Und längst steht nicht mehr fest, dass unter dem Titel "Sherlock Holmes" nur Männer ermitteln. In der CBS-Serie "Elementary" ist Sherlock auf Drogenentzug, arbeitet für die New Yorker Polizei und bekommt eine Aufpasserin zur Seite gestellt: die frühere Chirurgin Joan Watson. Ebenfalls auf Netflix zu sehen: Zwei Verfilmungen der Jugendbuchreihe "Enola Holmes" von Nancy Springer, in der die jüngere Schwester von Sherlock teilweise selbst die Ermittlungen in die Hand nimmt. Holmes-Fan und Autorin Brittany Cavallaro schickt in ihrer Jugendbuchreihe die Ur-Enkelin von Sherlock ins Abenteuer: Charlotte Holmes ermittelt gemeinsam mit Dr. Watsons Urenkel Jamie
Holmes auf Instagram: "No shit, Sherlock!"
Eines aber zieht sich durch alle Sherlock-Adaptionen: Sherlock Holmes sieht und hört mehr als alle anderen, denkt schneller und kombiniert genialer. Er ist die Personifikation des Meisterdetektivs, setzte alle Maßstäbe. Und jeder neue Ermittler, jede neue Ermittlerin, wird von Krimi-Fans wohl immer mit ihm verglichen werden.
Als oberster aller Detektivtypen hat es die fast 140 Jahre alte Figur auch in die TikTok-, Insta-Kanäle und Alltagssprache der Jugendlichen geschafft. Mit "No shit, Sherlock" wird ironisch kommentiert, wenn andere etwas Offensichtliches ansprechen. "Der Turm von Pisa ist ja schief!", "Du bist ja ziemlich groß!" – "No shit, Sherlock!". Oder als Harry Potter-Meme: "Der dunkle Lord ist zurück". Ach, was, auch schon gecheckt? "No shit, Sherlock!"
Deutsche Sherlock-Holmes-Gesellschaft trifft sich einmal pro Jahr
Ganz anders, nämlich sehr interessiert am Detail, huldigt man dem Briten mit der karierten Deerstalker-Mütze und dem Inverness-Mantel überall auf der Welt in im viktorianischen Stil eingerichteten Pubs – oder auch bei der "Deutschen Sherlock-Holmes-Gesellschaft", die sich einmal im Jahr zur Convention trifft und, stilecht gekleidet, Fachfragen zur Rezeption diskutiert. Viermal jährlich veröffentlicht die Gesellschaft den "Baker Street Chronicle", "ein sherlockianisches Magazin mit Zeitungscharakter, in dem Artikel rund um den Sherlock-Holmes-Kanon, Sir Arthur Conan Doyle und die viktorianische Ära zu finden sind", wie Nicole Glücklich aus dem Vorstand schreibt. Jüngstes Mitglied: Ein dreijähriger Junge namens "Sherlock". "Normalerweise kommen Sherlock-Holmes-Fans ab dem Teenager-Alter zu uns in die Gesellschaft", meint Glücklich. Insgesamt habe die Gesellschaft 250 Mitglieder aus Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz.
Was die Faszination ausmacht? Dazu meint Glücklich: "Einerseits ist es natürlich die Romantisierung einer Zeit, die wir alle nicht erlebt haben und die uns aus heutiger Sicht vielleicht erstrebenswert erscheint, da sie nicht so schnelllebig, kompliziert und hochtechnisiert wie unsere heutige Zeit war." Das sei natürlich ein Trugschluss. Niemand hätte im viktorianischen Zeitalter leben wollen, vor allem nicht als Frau oder allgemein nicht in der Unterschicht. "London war zu jener Zeit die größte Stadt der Welt und, wie Watson schon sagte, "die große Senkgrube, wo alle Faulenzer und Müßiggänger des Empires unweigerlich abgelagert werden.""
Neben dieser verklärten Sicht auf das viktorianische Zeitalter sei Sherlock Holmes eine sehr real erscheinende Person. "Er ist die Art des Antihelden, die auch heute noch gerne in (Kriminal-)Romanen gebraucht wird: sehr klug, aber auch ein wenig "gegen den Strich" und mit einigen Lastern ausgestattet. Insofern hat Arthur Conan Doyle für das Jahr 1887 eine sehr moderne Figur geschaffen, die durch die Erzählung aus Watsons Sicht noch realer wirkt. Immerhin brüstet sich Holmes nicht selbst mit seinen Taten, sondern sein immer wieder aufs Neue faszinierter Begleiter."
Sherlock Holmes in Deutschland: Hörspiele mit Peter Pasetti
In Deutschland war der britische Ermittler auch in der NS-Zeit so beliebt, dass 1937 unter anderem das Sherlock-Holmes-Pastiche "Der Mann, der Sherlock Holmes war" von der nationalsozialistischen Zensurbehörde mit einer Altersbeschränkung ab 14 Jahre und mit dem Prädikat "künstlerisch wertvoll" freigegeben wurde.
Ein besonderes Werk inmitten der vielen Sherlock-Holmes-Pastiches, also den Fortschreibungen des Sherlock-Holmes-Stoffes durch andere Autoren, ist der erste offizielle Roman nach dem Tod von Doyle: "Sherlock Holmes und das Geheimnis des weißen Bandes" des britischen Schriftstellers Anthony Horowitz, verfasst im Auftrag der Nachlassverwaltung Conan Doyle Estate. Die Geschichte, in der der Meisterdetektiv selbst des Mordes angeklagt wird, gehört somit zum offiziellen Kanon und bezieht sich dadurch auch auf die Fälle und Figuren der Originalgeschichten von Sir Arthur Conan Doyle. Der große Krimi-Fan Bastian Pastewka hat das Stück als Hörspiel adaptiert. Pastewka huldigt damit den goldenen Zeiten des Radios, in denen Krimihörspiele zu regelrechten Straßenfegern wurden, also einen Großteil der Hörerschaft regelmäßig vor den Geräten versammelten.
Im neu als Podcast aufgelegten Krimi-Hörspielklassiker "Sherlock Holmes" finden sich viele spannende Fälle aus den 1960er Jahren, mit Peter Pasetti, bekannt als Erzähler "Alfred Hitchcock" in den alten "Die drei ???"-Folgen, oder Derrick-Darsteller Horst Tappert. "Die Pasetti-Hörspiele waren wohl auch die ersten, die ich jemals gehört habe, und jeder Sherlock-Holmes-Fan kennt sie wahrscheinlich", meint Nicole Glücklich von der Sherlock Holmes-Gesellschaft. "Inzwischen gibt es natürlich so viele Hörspiele, dass man in einer wahren Hörspielflut versinkt... das heißt aber nicht immer, dass moderne Produktionen besser sind."
Und für alle Freunde des guten alten Radiokrimis: Der neue Sendetermin auf Bayern 2 ist Samstag von 20:05 bis 21:00 Uhr.
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