Eine Frau und ein Mann sitzen in ihrer Küche. Die beiden waren mal ein Paar, aber sie haben sich getrennt. Sie haben zwei Kinder – und ein gutes Verhältnis zueinander. Philippa lebt mit den Söhnen im gemeinsamen Haus, ihr Ex-Mann John kommt oft vorbei, um zu helfen. Das Geld ist knapp, und so ist er etwas beunruhigt, als er mitbekommt, dass seine Ex-Frau seit zwei Wochen nicht mehr bei der Arbeit erschienen ist.
Besessen von der Idee, Richard III. zu finden
Philippa brennt inzwischen für eine Sache, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun hat, und der sich die schmächtige Frau plötzlich voller Inbrunst widmet: Richard III. zu finden, den König, dessen Leichnam seit 500 Jahren verschollen ist.
Hilfe bekommt Philippa in den folgenden anderthalb Kinostunden oft angeboten. Oder es wird ihr von Historikern und Universitätsvorständen klar gemacht, dass sie als Hobbyarchäologin wohl kaum jenen König finden wird, dessen Leichnam – so die Legende – ehedem in einem Fluss entsorgt wurde. Tatsächlich wird sie Richard III. ausgraben, vielmehr: dessen Gebeine, und das auf dem Parkplatz des Sozialamtes von Leicester. Jener Stadt also, in der Regisseur Stephen Frears 1941 das Licht der Welt erblickte, womit sich für ihn wohl eine Art Kreis schließt.
Die unbeugsamen Frauenfiguren von Stephen Frears
"The Lost King" reiht sich ein in jene Reihe von Filmen, in denen Frears von weiblichen Hauptfiguren erzählt, die auf der Suche nach dem Vergangenen bzw. beim Finden ihres eigenen Weges nicht lockerlassen. Von "Mary Reilly" über "Florence Foster Jenkins" und "Philomena" spannt sich der Bogen bis jetzt zu Philippa.
Richard III. war von 1483 bis zu seinem Tod 1485 in der Schlacht von Bosworth König von England gewesen. Er war der letzte englische Herrscher aus dem Haus der Plantagenet. Danach gelangte für gut 100 Jahre das Haus Tudor auf den Thron. An Richard III. ließ man kein gutes Haar. Bezeichnete ihn als Mörder, Thronräuber und Verräter. Und dann kam noch Shakespeare. 1597 schrieb er das Drama "Die Tragödie von König Richard III.", das auf den Berichten und Aussagen der Tudors basierte und Richards Bild negativ prägte – bis heute. Eine spleenige Vereinigung wie die "Richard III. Society", die Philippa besucht, wehrt sich immerhin dagegen.
Großartige Schauspielkunst
Ein großer Film ist "The Lost King" nicht geworden: Zu fernsehhaft die Inszenierung. Allzu glatt fließt die Handlung dahin, nicht uncharmant, aber die Montage vermeidet Aufregungen und sucht vor allem einen eher gleichbleibenden Rhythmus. Überwältigende Kinobilder gibt es keine. Die Musik von Alexandre Desplat perlt eingängig. Aber das Ganze ist dann doch recht unterhaltsam, denn die Schauspieler sind gut bis großartig. Das gilt vor allem für Hauptdarstellerin Sally Hawkins, die diese Philippa mit Verve spielt, obwohl ihre Figur an chronischer Fatigue leidet. Hawkins bringt beides glaubhaft unter einen Hut – die archäologische Leidenschaft und die krankhafte Erschöpfung. Ihrem Ex-Mann John sagt sie einmal: "Wenn ich mich in meine Recherchen vertiefe, dann gibt mir das Energie. Dann bin ich glücklich."
Was ihr gefallen habe, sagt Sally Hawkins, sei die überraschende Leichtigkeit des Stoffes gewesen, diese brillante Ökonomie des Erzählens nach dem Drehbuch von Steve Coogan und Jeff Pope. Diese Unbeschwertheit macht den Film durchaus sehenswert, auch wenn man sich etwas mehr Ironie bei den Betrachtungen der royalen Irrungen und Wirrungen erwartet hätte. Aber bei einem ehedem zu Unrecht verunglimpften König versteht Stephen Frears offenbar keinen Spaß.
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