Der US-Geheimdienst-Chef im Januar 2023 im US-Repräsentantenhaus
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CIA-Chef William Burns

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"Tragische Fixierung": CIA-Chef will "Putins Arroganz brechen"

Der amerikanische Geheimdienstchef William Burns nennt den russischen Präsidenten in einem Essay "abgehoben und unentschlossen" und fordert, Russlands Kriegskosten in die Höhe zu treiben. Dort gibt es tatsächlich Probleme: "Hört auf, herumzualbern."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Russlands Propagandisten werden nicht müde, die angeblichen Leistungen der eigenen Rüstungsindustrie zu loben, doch Verteidigungsminister Sergej Schoigu zeigte sich beim Besuch einer Fabrik für selbstfahrende Artillerie im Ural jetzt wenig begeistert. Ganz im Gegenteil. Er beschimpfte die versammelte Werksleitung mit den Worten: "Jetzt hört mal zu: hört hier auf, herumzualbern, Leute. Damit haben wir uns im Jahr 2022 beschäftigt. Wir sollten diese Maschinen im Jahr 2023 längst auf Hochtouren laufen lassen, aber bei Ihnen ist alles so ruhig, sozusagen lässig." Die Nachfrage nach diesen Waffen sei "extrem hoch", so Schoigu. Er wolle "innerhalb einer Woche" einen Bericht vorgelegt bekommen, wie die Produktionsziele, die Putin vorgegeben habe, erreicht werden könnten.

"Fragen Sie die, die alles ruiniert haben"

Der Vorfall wurde von russischen Lesern vielfach kommentiert, meist mit Galgenhumor. "Wir sind nicht in Deutschland", meinte jemand zur Arbeitsmotivation lapidar, ein anderer schrieb: "Ich würde diesen Verteidigungsminister in die Umkleideräume und die Sanitäranlagen mitnehmen, damit er einen Blick darauf werfen kann. Ein psychischer Zusammenbruch ist garantiert." Für die Gehälter in der Rüstungsbranche arbeiteten "nicht mal Hausmeister". "Der Russe Wanja bei Transmasch erhält für seine Arbeit 100 Rubel pro Stunde [umgerechnet 1 Euro], der Deutsche Hans für die gleiche Arbeit 100 Euro. Deshalb ist russische Technologie billiger als westliche Technologie", scherzte ein Leser. Ein weiterer meinte, heutzutage wolle jeder Blogger werden, aber keiner mehr Facharbeiter.

"Im Ural wurden fast alle Fabriken verkauft, abgewickelt, Flächen vermietet und nun versucht man, die Produktion wieder aufzubauen. Fragen Sie diejenigen, die alles ruiniert haben und wer im Zentrum der der Anbetung steht", hieß es von Einheimischen. Offenbar wolle der Kreml, dass die "Maus einen Berg gebäre". Und weil Schoigu sich wunderte, dass alles so "ruhig" war bei seinem Besuch, belehrte ihn ein Leser, dass für "computergestützte Automaten" in der Rüstungswirtschaft eben deutlich weniger Platz benötigt werde als für traditionelle Werkbänke.

"Technologien in Russland nicht vertreten"

Der im Exil befindliche russische Politologe Abbas Galljamow kommentierte, das alles sehe ganz danach aus, als ob das Verteidigungsministerium versuche, die Verantwortung für seine Probleme auf die Rüstungsindustrie abzuwälzen. Russische Blogger fürchten ein Wettrüsten wie im Kalten Krieg und zeigten sich nicht überzeugt, ob Moskau diesmal gewinnen kann: "Die Herstellung moderner Waffen erfordert eine leistungsstarke Industrie und den Einsatz fortschrittlicher Technologien, die im Westen existieren, in Russland jedoch nicht in einem solchen Umfang vertreten sind. Natürlich könnten äußere Gefahren und Druck aus dem Westen eine positive Rolle spielen – wie es bei der sowjetischen Industrialisierung in den 1930er Jahren der Fall war, aber nur, wenn Russland sich für den Übergang von einer rohstoffbasierten zu einer industriellen Wirtschaft entscheidet", so Alexander Burenkow vom Institut für russisch-slawische Studien.

"Fluch von Bodenschätzen"

Verteidigungsminister Schoigu muss sich aus den Reihen der Ultrapatrioten herbe Vorwürfe gefallen lassen. Er versuche "auf jede erdenkliche Weise seine jüngsten Misserfolge zu vertuschen und herunterzuspielen". Die Luftverteidigung sei die größte Schwachstelle: "Anstatt zu versuchen, den Luftraum diszipliniert und zuverlässig zu schließen, üben sich die Untergebenen von Sergej Schoigu darin, immer kompliziertere Formulierungen für Berichte zu finden, um ihre Fehleinschätzungen irgendwie zu verschleiern." Gern wird auf die angeblich "abgeschossenen" ukrainischen Drohnen verwiesen, die dann merkwürdiger Weise doch irgendwo einschlagen und Schaden anrichten. Offiziell heißt es in diesen Fällen, es handle sich um "abgestürzte Trümmer".

"Die Drohnen werden abgeschossen, treffen aber ständig strategische Ziele", witzelte Exil-Blogger Anatoli Nesmijan: "Die Tatsache, dass eine Drohne das Ziel trifft, wird neuerdings als Abschuss bezeichnet. Stimmt ja irgendwie: Wenn ein Öltank getroffen wird, wird in gewisser Weise auch der Flug einer Drohne beendet." Politologe Wjatscheslaw Morosow verstieg sich gar zur These, Russland sei in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht quasi von Natur aus "zweitklassig", weil es als Rohstofflieferant traditionell eine "geringe Wertschöpfung und einen geringen Lebensstandard" habe. Das sei der "Fluch von Bodenschätzen".

"Putins Plan immer weniger verlässlich"

Sarkastisch fragte einer der wichtigsten Blogger: "Es stellt sich die Frage: Wo sind die Hunderte von Milliarden [Rubel], die unsere Generäle und andere Verantwortliche für die Rüstungswirtschaft im Allgemeinen und die Luftverteidigung des Landes im Besonderen ausgegeben haben?" Der ukrainischen Armee gelinge es "immer besser", russische Infrastruktureinrichtungen in der Tiefe des Landes zu zerstören. Das passt nicht so recht zu grotesken Alarmmeldungen in der britischen Presse, wonach Putin höchst erfolgreich "Kanonen statt Butter" ("From Scones to drones") produzieren lasse, die Sechs-Tage-Woche einführe, Einkaufszentren zu Drohnenfabriken mache und Kinder dazu zwinge, "in Werkstätten Munitionsteile zu fertigen".

Geradezu hämisch verwies einer der russischen Kommentatoren darauf, dass ein Teil der wenigen Flugabwehrgeschütze von St. Petersburg - die Rede war von sechs Systemen - abgezogen wurde, um Putins Residenz in Valdai zu schützen: "Besorgniserregend ist nicht nur die Fortsetzung der ukrainischen Strategie, große russische Raffinerien und die damit verbundene Infrastruktur lahmzulegen, sondern auch die Tatsache, dass Drohnen zunehmend die bisher unerreichbare Region St. Petersburg ansteuern. Mit jedem Jahr, oder besser gesagt sogar monatlich, erweitert sich der Kampfraum und umfasst immer mehr Gebiete der Russischen Föderation. In diesem Zusammenhang erscheint Putins Plan, alles 'auszusitzen und den Zermürbungskrieg zu gewinnen', immer weniger verlässlich. Allerdings gilt das für den gesamten Plan der Spezialoperation."

Burns: "Putin setzt auf Zeit"

Derweil erregte der Chef der amerikanischen CIA, William Burns, mit einem Essay im Fachblatt "Foreign Affairs" Aufmerksamkeit, wonach dem Westen ein "hartes Jahr" bevorstehe. Burns empfiehlt tatsächlich ein erneutes Wettrüsten wie zu Zeiten des Kalten Krieges: "Während Putin die russische Rüstungsproduktion wieder aufleben lässt – mit der Zulieferung wichtiger Komponenten aus China, sowie Waffen und Munition aus dem Iran und Nordkorea –, setzt er weiterhin darauf, dass die Zeit auf seiner Seite ist, dass er die Ukraine zermürben und ihre westlichen Unterstützer in die Knie zwingen kann. Die Herausforderung für die Ukraine besteht darin, Putins Arroganz zu brechen und die hohen Kosten für Russland durch den anhaltenden Konflikt aufzuzeigen, und zwar nicht nur durch Fortschritte an der Front, sondern auch durch tiefergreifende Angriffe im Hinterland und stetig erhöhten Einfluss im Schwarzen Meer."

Mit "weniger als fünf Prozent" des US-Rüstungsbudgets seien die Hilfen für die Ukraine eine "relativ bescheidene Investition", so Burns. Dadurch erreichten die USA "erhebliche geopolitische Erfolge" und die eigene Industrie "bemerkenswerte Gewinne". "Die Aufrechterhaltung der Waffenlieferungen wird die Ukraine in eine stärkere Position bringen, bis sich eine Gelegenheit für ernsthafte Verhandlungen ergibt", so Burns: "Es eröffnet sich die Chance, langfristig einen Sieg für die Ukraine und eine strategische Niederlage für Russland sicherzustellen."

"Putin brauchte zu lange, um sich anzuziehen"

Putin sei in "tragischer und brutaler" Weise auf sein Großmachtstreben fixiert, behauptet Burns, und habe gerade dadurch seine Schwächen offengelegt, darunter vor allem die Korruption, die einseitig auf Rohstoffe ausgerichtete Wirtschaft und die militärische Überforderung. Insgesamt sei der Krieg für den Kreml ein "Misserfolg", dessen Ziele seien "dumm und illusorisch", zumal 315.000 russische Soldaten gefallen oder verwundet worden seien. Zwei Drittel der russischen Panzer seien zerstört. Bei der Rebellion von Söldnerführer Prigoschin sei Putin entlarvt worden: "Für einen Anführer, der sich mühsam seinen Ruf als Bewahrer von Recht und Ordnung erarbeitete, wirkte Putin abgehoben und unentschlossen, als Prigoschins zusammengewürfelter Haufen sich auf den Weg nach Moskau machte. Für viele in der russischen Elite war die Frage nicht so sehr, ob der Kaiser nackt war, sondern vielmehr, warum er so lange brauchte, um sich anzuziehen."

"Kamera, die aussieht wie eine Libelle"

Bemerkenswert ist William Burns' Feststellung, es sei neuerdings üblich geworden, gewonnene Geheimdienst-Erkenntnisse "absichtlich offenzulegen", um Feinde zu schwächen und Verbündete zu motivieren. Der CIA-Chef sprach in diesem Zusammenhang von der "strategischen Freigabe" von Geheimnissen und der "zunehmenden Bedeutung der Geheimdienstdiplomatie". Dem reflexartigen Drang, alles vertraulich zu halten, gelte es "mit Bedacht zu widerstehen". Inzwischen habe die CIA ihren Rekrutierungsprozess stark beschleunigt, 2023 sei sogar ein Rekordandrang an Interessenten zu verzeichnen gewesen. Allerdings machten die vielen Überwachungskameras mit Gesichtserkennungsfunktion die Arbeit auch immer gefährlicher.

Burns verriet übrigens auch sein "Lieblings-Gimmick", ganz in James Bond-Manier: "Mein Favorit ist die Kamera aus den Zeiten des Kalten Kriegs, die so gestaltet ist, dass sie wie eine Libelle aussieht und in der Luft schwebt."

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