"Wenn Sie mir vor drei Monaten gesagt hätten, dass das die Worte eines amerikanischen Präsidenten sind, hätte ich laut gelacht", so Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew über den neuesten Wutanfall von Donald Trump, der zu "200 Prozent Recht habe". Die Verblüffung ist demnach in Moskau groß.
"Trumps Rammbock-Stil stößt an seine Grenzen und wenn seine Augen erst einmal blutunterlaufen sind, werden sie nicht mehr wahrgenommen", so der kremlkritische russische Polit-Blogger Anatoli Nesmijan. Er legt nahe, dass der US-Präsident mit seinem jüngsten aufsehenerregenden Tweet das Gegenteil von dem erreichen könnte, was er eigentlich beabsichtigt.
Trump: "Uns trennt ein großer, schöner Ozean"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird dort als "mittelmäßiger Komiker" wüst beleidigt, außerdem unterstellt ihm Trump eine massive Veruntreuung von Hilfsgeldern und regt sich darüber auf, dass die USA für ihre finanzielle Unterstützung "nichts" zurückbekämen. Der Ukrainekonflikt sei für die USA weit weniger wichtig als für Europa: "Uns trennt ein großer, schöner Ozean voneinander."
Selenskyj persönlich findet bei Trump ebenfalls wenig Gnade: "Er weigert sich, Wahlen abzuhalten, hat in der Ukraine ganz schlechte Umfragewerte und das Einzige, was er gut konnte, war, Joe Biden zu instrumentalisieren wie eine Geige." Selenskyj sei ein "Diktator ohne Wahlen" und solle sich "besser in Bewegung setzen", sonst habe er "kein Land mehr übrig".
"Waffenstillstand könnte unpopulär werden"
Für Trump sei jeder Dollar offenbar "heilig", spottet Nesmijan und erinnert daran, dass die USA so manche Gelder anstandslos bei südamerikanischen Diktatoren "versenkt" hätten: "Trumps Druck könnte den gegenteiligen Effekt auslösen. Die Ukrainer könnten sich beleidigt fühlen und Selenskyjs Popularität würde dadurch sogar steigen, während Bemühungen um einen Waffenstillstand deutlich an Popularität verlieren würden."
Mit seinem Wutausbruch habe Trump Fakten geschaffen, war in tonangebenden Blogs zu lesen: "Es scheint, als habe der aktuelle US-Präsident seine Entscheidung bereits getroffen. Die Frage ist nun, ob Europa der Ukraine ohne die USA noch helfen kann."
Kreml-Propagandist Sergej Markow höhnte, Trump spreche von 350 Milliarden US-Dollar Militärhilfe, Selenskyj aber nur von rund 100 Milliarden: "Angesichts einer solchen Zahlen-Diskrepanz kann man sich ungefähr vorstellen, wie viel von diesem Geld abgezweigt worden sein könnte. Daher beschloss Trump, eine Kassenprüfung zu verlangen."
"Kreml ist der Gewinner"
Kolumnist Dmitri Drise widersprach, Trumps Zahlen seien "aus der Luft gegriffen". Er zoffe sich mit Selenskyj, als ob es um Ärger in einer Wohngemeinschaft gehe: "Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Heute ist der Kreml der Gewinner. Russland ist nicht länger isoliert, nimmt diplomatische Beziehungen wieder auf und führt – das muss besonders betont werden – direkte Verhandlungen mit Washington, ohne dass es seinerseits irgendwelche Zugeständnisse oder Anstrengungen gemacht hätte."
BR24
Blogger Andrei Nikulin schrieb: "Ich frage mich, wie sich Donald Trumps aus der Ukraine stammenden Wähler jetzt fühlen. Wahrscheinlich genauso wie seine arabisch-muslimische Anhängerschaft, als sie vom 'wunderbaren' Plan zur Neubesiedlung des Gazastreifens erfuhr."
Womöglich glaube tatsächlich der eine oder andere amerikanische Trump-Fan, nur die Veruntreuung von Geldern verhindere den Frieden: "Es ist immer einfacher, einer verführerischen Lüge Glauben zu schenken, als sich ehrlich einzugestehen, dass man wie der letzte Idiot hintergangen wurde. Zumal der amerikanische Präsident die Leute genauso gut zu manipulieren versteht wie sein russischer Kollege."
"Trump Towers in Moskau und St. Petersburg"
Der in London lehrende Politologe Wladimir Pastuchow meinte: "Trump brennt darauf, diesen Krieg endlich hinter sich zu bringen. Er will neben Putin sitzen und Europa spalten. Er will keine ukrainischen Edelmetalle, sondern an das große russische Geld. Wir werden am Ende dieses Krieges noch sehen, wie die Trump Towers in Moskau, St. Petersburg und Kasan im Lichterglanz erstrahlen werden. Nehmen Sie es nicht persönlich, es geht nur ums Geschäft?!"
Trumps vermeintlich absurde Aufrechnung mache durchaus Sinn, argumentiert ein weiterer Beobachter: "Die 350 Milliarden Dollar, die die USA angeblich zur Unterstützung der Ukraine ausgegeben haben, korrelieren seltsamerweise mit den 300 Milliarden Dollar an eingefrorenen russischen Vermögenswerten. Jeden Moment könnte Trump Selenskyj so heftig abwatschen, dass er ihm den Geldhahn abdreht, während Europa voller Angst die Stimme senkt und Russland freudig dazu klatscht."
"Roosevelt machte Churchill keine Vorwürfe"
Leser der St. Petersburger Zeitung "Fontanka" spotteten, beim "egomanischen Narzissten" Trump halle das "Echo von [Außenminister Sergei) Lawrows Witzen" nach. Wenn es so weitergehe, werde Trump wohl bald eine Front gegen den Westen eröffnen: "Kurioserweise fanden zwischen 1935 und 1945 in Großbritannien keine Wahlen statt. Und Roosevelt machte Churchill deshalb keinerlei Vorwürfe."
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