Nach langer Ankündigung haben Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, und Christian Lindner, Bundesfinanzminister, ihre Pläne für die Rente vorgestellt. Die wichtigsten Neuerungen: Rentenniveau bleibt bei 48 Prozent, keine Erhöhung des Renteneintrittsalters, Einführung einer aktiengestützten Finanzierungsquelle.
Wie wirken sich diese Änderungen künftig auf Rentner und Arbeitnehmer aus? Wie groß ist das Potenzial der Aktienrente? Und welche Reformalternativen schlagen Experten vor? Die wichtigsten Antworten zur künftigen Finanzierung der gesetzlichen Rente:
Was sind die Grundbedingungen?
Die gesetzliche Rente in Deutschland beruht auf dem Prinzip der Generationenumlage. Die arbeitende Bevölkerung und die Arbeitgeber geben monatlich einen gewissen Betrag ab, um die aktuelle Rentnergeneration zu versorgen – in der Erwartung, dass die nachfolgenden Generationen in gleicher Weise zu Ihrer Altersversorgung beitragen werden.
Für dieses System gibt es drei wichtige Kennwerte:
- Regelaltersgrenze: Festgelegtes Alter, ab dem die Rente voll bezogen werden kann. Hier gibt es einige Sonderregeln, etwa, wenn man vor dem Regelalter bereits 45 Jahre eingezahlt hat oder wenn man bereit ist, für einen früheren Rentenbeginn Abschläge hinzunehmen.
- Rentenbeitragssatz: Der Anteil des beitragspflichtigen Bruttoeinkommens, der durchschnittlich in die Rentenkasse eingezahlt wird. Arbeitgeber und Arbeitnehmer tragen ihn jeweils zu gleichen Teilen.
- Rentenniveau oder "Sicherungsniveau vor Steuern": Das Verhältnis zwischen dem verfügbaren Durchschnittseinkommen (nach Abzug der Sozialbeiträge) und der aktuellen Standardrente (Durchschnittsverdiener nach 45 Beitragsjahren; nach Abzug der Sozialbeiträge).
Natürlich fließen in das Rentensystem noch weitere Faktoren ein – beispielsweise der Beschäftigungsgrad in der Bevölkerung oder das Lohnniveau. Vereinfacht gilt aber: Würden jedes Jahr gleich viele Menschen aus dem Rentensystem ein- und austreten, würden diese Parameter konstant bleiben.
Woran krankt das System?
In Deutschland treten seit vielen Jahren mehr Menschen in den Rentenbezug ein, als junge Erwerbstätige nachrücken. Zuwanderung kann diesen Effekt abschwächen, jedoch nicht ausgleichen. Gleichzeitig verlängert sich der Rentenbezug durch die gestiegene Lebenserwartung. So entsteht eine immer größer werdende Versorgungslücke.
Entsprechend ist in den vergangenen Jahrzehnten der Beitragssatz gestiegen, das Sicherungsniveau gefallen und die Menschen gehen wieder später in Rente:
Was galt bisher? Die "doppelte Haltelinie" von 2018
Die große Koalition hatte sich 2018 darauf verständigt, diese Entwicklungen langfristig zu beeinflussen. Eine sogenannte "doppelte Haltelinie" wurde eingeführt: Festgeschrieben wurde damals, dass das Rentenniveau bis 2025 nicht unter die 48-Prozent-Marke fallen und der Rentenbeitragssatz nicht über 20 Prozent steigen dürfe.
Überträgt man diese Grenzen in die Modellrechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für die nähere Zukunft, wird deutlich, dass dieses Ziel erreicht wird. Grund dafür war vornehmlich eine gute wirtschaftliche Entwicklung – und die Tatsache, dass der große Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er noch bevorsteht.
Spätestens ab den 2030er Jahren wären jedoch große Finanzierungslücken entstanden, hätte man an beiden Grenzen festgehalten:
(Diese Modellrechnung berücksichtigt verschiedene Szenarien der Entwicklung von Beschäftigung und Löhnen – in dieser Grafik wird die Mitte aller Szenarien gezeigt. Die Modellrechnung zeigt ein "Basisszenario", ohne staatliche Eingriffe. Grundlage ist die aktuell gültige Regelaltersgrenze von 67 Jahren.)
Welche Grenze entfällt mit dem neuen Rentenpaket?
Im nun von Hubertus Heil und Christian Lindner vorgestellten Rentenpaket ist keine Grenze für den Rentenbeitragssatz mehr enthalten. Stattdessen wurde als Ziel ausgegeben, das Rentenniveau mindestens bis 2039 auf 48 Prozent zu stabilisieren und die Regelaltersgrenze nicht weiter zu erhöhen.
Jochen Pimpertz leitet das Themencluster Staat, Steuern und Soziale Sicherung am Institut der deutschen Wirtschaft, einer von den Arbeitgeberverbänden finanzierten Forschungseinrichtung. Seine Einschätzung zu den neuen Regelungen: "Wird am Regelalter festgehalten und das Sicherungsniveau bei 48 Prozent festgezurrt, gibt es nur noch eine Stellschraube, über die wir die demografischen Herausforderungen bewältigen können: ein höherer Beitragssatz."
Hubertus Heil räumt diese Erhöhung ein – laut dem Bundesminister soll der Beitragssatz ab 2035 auf 22,3 Prozent steigen. Auf diesen Satz für das Jahr 2035 kam auch Ökonom Jochen Pimpertz in einer Modellrechnung, die er im Jahr 2021 erstmals veröffentlichte. Allerdings ergab seine Modellierung auch, dass es nicht bei den 22,3 Prozent bleiben wird. Die folgende Grafik zeigt, um wie viel stärker der Beitragssatz steigen müsste, um langfristig die Festsetzung des Rentenniveaus auszugleichen:
(Diese Modellrechnung berücksichtigt für das Basisszenario mittlere bis optimistische Fortschreibungsvarianten von Parametern wie Bevölkerung, Löhne und Beschäftigung. Zudem wird für das Basisszenario die aktuell gültige Regelaltersgrenze von 67 Jahren und keine staatlichen Eingriffe ins Rentensystem nach Auslaufen der doppelten Haltelinie im Jahr 2026 angenommen.)
Alternativ könnte die Lücke etwa durch andere Bundesmittel – letztendlich Steuereinnahmen – querfinanziert werden. Allerdings verwendet die Bundesregierung bereits jetzt über 100 Milliarden Euro jährlich, um verschiedenste Leistungen innerhalb des Rentensystems zu ermöglichen. Im Bundeshaushalt für 2024 ist eine Kürzung dieses Postens vorgesehen, Bundesfinanzminister Christian Lindner will ihn dauerhaft einfrieren.
Gemeinsam haben Bundeszuschüsse und steigende Beitragssätze, dass damit vor allem die jüngeren Generationen belastet werden. Sie haben dadurch weniger Einkommen zur Verfügung und somit auch weniger Möglichkeiten, sich privat um zusätzliche Vorsorge für ihren Ruhestand zu kümmern – ein Teufelskreis. Zusätzlich werden ihre Arbeitgeber belastet, die ja die Hälfte der Rentenbeiträge bezahlen.
Neuer Baustein: Was bringt das "Generationenkapital"?
Bundesfinanzminister Christian Lindner bezeichnete es als "Paradigmenwechsel": Künftig soll die Finanzierungslücken im gesetzlichen Rentensystem langfristig mit einer neuen Einnahmequelle füllen: Kapitalertrag. Es soll ein Fonds eingerichtet werden, den der Bund mit Grundkapital füllt. In diesem Jahr sind dafür 10 Milliarden Euro vorgesehen, bis 2035 soll er auf 200 Milliarden anwachsen.
Finanziert werden soll das zunächst durch Kredite. Die öffentlich-rechtliche Stiftung "Generationenkapital" – die erst noch gegründet werden muss – soll das Geld verwalten und gewinnbringend anlegen, etwa in Aktien. Die Renditen fließen der gesetzlichen Rentenversicherung zu, mögliche Verluste würde der Bund ausgleichen.
Jochen Pimpertz ist skeptisch, was die möglichen Erträge angeht – denn Geld für die Rente kann nicht einfach irgendwie angelegt werden. "Da ist Vorsicht geboten, auch wenn ich mir mit hohen Renditeerwartungen schönrechnen kann, was die Rentenversicherung künftig alles bekommt, so der Experte. "Kapital muss erhalten werden und man muss der Rentenversicherung auch zuverlässig planbare Zuschüsse überweisen. Das erfordert eine vorsichtige Anlage – die kostet Renditechancen."
Die Erträge stünden außerdem von Jahr zu Jahr wachsenden Forderungen entgegen – je weiter der demografische Wandel fortschreitet, desto größer werden die Finanzierungslücken im bisherigen System. Auch Sozialverbände wie der VdK und der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisieren die Aktienrente und stufen sie als nicht sicher genug ein.
Sollte doch das Rentenalter steigen?
Für viele – vor allem arbeitgebernahe – Experten ist ein Eingriff ins Rentensystem, etwa durch zusätzliche Finanzierungsquellen oder durch Haltelinien, selten der gewünschte Lösungsansatz. Stattdessen sollten sich die Stellschrauben entsprechend drehen "dürfen".
In einer Expertise aus dem Jahr 2020 stellte Martin Werding, Professor an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, folgende Reformoption in den Raum: Die Regelaltersgrenze wird ab den 2030er Jahren dynamisch erhöht – in Relation zur sich verändernden Lebenserwartung. Zudem soll durch einen stärkeren "Nachhaltigkeitsfaktor" die Rentenlast besser auf Rentenbezieher und aktuell Einzahlende verteilt werden.
Diese Maßnahmen dämpften in der Modellrechnung vor allem den Anstieg des Beitragssatzes deutlich:
(Diese Modellrechnung berücksichtigt für das Basisszenario mittlere Fortschreibungsvarianten von Parametern wie Bevölkerung, Erwerbsquote, Arbeitslosenquote und Bruttoinlandsprodukt. Zudem wird für das Basisszenario die aktuell gültige Regelaltersgrenze von 67 Jahren und keine staatlichen Eingriffe ins Rentensystem nach Auslaufen der doppelten Haltelinie im Jahr 2026 angenommen.)
Welche Lösung ist sozialverträglich?
Höhere Beitragssätze, steigendes Rentenalter, mehr Bundesmittel, neue Einnahmequellen – ob eine Lösung als sozialverträglich bezeichnet wird, kommt darauf an, wen man fragt.
Laut Ökonom Jochen Pimpertz wurde bereits vielfach kommuniziert und gefördert, dass die Altersversorgung eigenverantwortlich mitgestaltet werden muss. Ziel der gesetzlichen Rente sei nicht zwingend, den Lebensstandard im Alter zu sichern – oder gar vor Armut zu schützen. "Das Ziel der Armutsprävention ist sehr ernst zu nehmen. Dafür gibt es aber die bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung", sagt der Experte.
Pimpertz sieht vor allem die älteren, rentennahen Jahrgänge in der Verantwortung, sich nicht nur auf die gesetzliche Rente zu verlassen. Man dürfe den jüngeren Generationen nicht immer mehr Lasten, etwa durch steigende Beitragssätze, aufbürden. Denn damit nehme man ihnen Spielraum für eigenverantwortliche Altersvorsorge.
Sozialverbände und arbeitnehmernahe Experten argumentieren anders. So ließ der Sozialverband VdK bereits vergangene Woche verlauten, dass ihm die Pläne der Bundesregierung nicht weit genug gingen. Das Sicherungsniveau solle nicht auf 48 Prozent stabilisiert, sondern auf 53 Prozent erhöht werden. "Da Rentnerinnen und Rentner, anders als andere Gruppen, keinen Inflationsausgleich erhalten haben, brauchen sie jetzt systematische Verbesserungen. Die beste Antwort für diese Menschen ist ein höheres Rentenniveau und damit höhere Renten", sagte Bundesvorsitzende Verena Bentele.
Erreicht werden soll dieses Ziel laut VdK durch mehr Rentenbeiträge: "Eine Rentenversicherungspflicht für alle Beschäftigten, vom Minijobber über Selbstständige, Beamtinnen und Beamte bis hin zu den Bundestagsabgeordneten wäre zukunftsweisend und würde erheblich mehr Einkünfte für die Rentenversicherung bringen", heißt es in der Pressemitteilung.
Wo gibt es weiteres Reformpotenzial?
Die Regelaltersgrenze anzuheben, wirkt für viele wie ein drastischer Schritt. Daher schlagen Experten oft vor, zunächst einmal die Möglichkeiten eines Renteneintritts unterhalb der aktuellen Grenze weiter einzuschränken. Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagte der Funke Mediengruppe: "Ein frühzeitiger Renteneintritt ohne Abschläge sollte dann möglich sein, wenn es gesundheitliche Gründe gibt". Die jetzige "Rente mit 63" mache es für viele attraktiv, frühzeitig in Ruhestand zu gehen. Oftmals spielten die Abschläge keine Rolle. "Vor allem Gutverdiener machen davon Gebrauch. Das verschärft den Fachkräftemangel", so Grimm.
Eine weitere Möglichkeit für Reformen böten die sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Jedes Jahr werden Sozialleistungen aus den Einnahmen und Rücklagen der Rentenversicherung finanziert, die eigentlich in einen anderen Bereich des Sozialstaates gehören. Zum Beispiel die Zahlung von sogenannten "Witwenrenten" an Hinterbliebene mit geringem Einkommen. Es handelt sich dabei mittlerweile um eine Fürsorgeleistung, nicht um eine Rente im eigentlichen Sinn. Davon findet sich nichts im neuen Rentenpaket der Bundesregierung.
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