Diese Desinformations-Webseiten haben in der Corona-Pandemie die meiste Reichweite.
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Seit dem ersten Corona-Fall in Deutschland am 27. Januar 2020 haben einige Desinformations-Webseiten besonders viele Menschen erreicht.

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"Infodemie": Das sind die Treiber der Fake News zu Corona

"Infodemie": Das sind die Treiber der Fake News zu Corona

Am 27. Januar 2020 wurde der erste Coronavirus-Fall in Deutschland bekannt. Mit der Pandemie erfasst seitdem auch die "Infodemie" das Land. Welche Webseiten gehören seither zu den Hauptverbreitern von Falschbehauptungen?

Genau ein Jahr ist es her: In Deutschland wird die erste Corona-Infektion gemeldet - bei einem Webasto-Mitarbeiter aus dem Landkreis Landsberg. Was dann kam, waren nicht nur Millionen weitere Corona-Infektionen in Deutschland und der ganzen Welt, sondern auch eine Flut an Desinformation - an Falschbehauptungen und Gerüchten. Die Weltgesundheitsorganisation sprach neben der Corona-Pandemie auch von einer "Infodemie".

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Doch wer sind die Treiber dieser Desinformation? Dazu hat sich der #Faktenfuchs an den Dienst "NewsGuard" gewandt, der Webseiten auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft. "NewsGuard" hat daraufhin zwei Rankings erstellt: Eine Liste mit den zehn Webseiten mit Corona-Desinformationen, die auf Twitter und Facebook am häufigsten geteilt wurden und eine weitere mit den Webseiten, die allgemein Desinformation veröffentlichen und damit die größte Reichweite erzielen. (Mehr dazu, wie "NewsGuard" die Listen erstellt, im weiteren Verlauf des Textes).

Zur jeweiligen Webseite in den beiden Desinformations-Rankings gibt es eine Kurzbeschreibung. Zwei Merkmale werden dabei besonders häufig genannt: Die Seiten weisen laut Einschätzung der Analysten bei "NewsGuard" eine rechtspopulistische bis rechtsextreme Tendenz und die Unterstützung russischer Propaganda auf.

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Zwei Beispiele für Desinformations-Webseiten im Ranking von "NewsGuard".

Welche Rolle spielen ausländische Desinformations-Kampagnen?

Zu den viel geteilten Webseiten, die falsche Behauptungen über das Coronavirus verbreiten, zählen laut "NewsGuard" vier, die russische Propaganda verbreiten. Auf Platz eins: "RT Deutsch", der deutsche Ableger des Kreml-nahen Senders Russia Today. Auf Platz vier die deutschsprachige Seite der Nachrichtenagentur Sputnik - auch die steht der russischen Regierung nahe. Auf Platz sechs und sieben stehen die Webseiten "De.Newsfront.info" und "EinReich.de" die laut der Einschätzung der Analysten bei "NewsGuard" russische Propaganda unterstützen, auch in Bezug auf Corona. Auffällig sind hier Behauptungen, es habe in den Niederlanden, Frankreich oder den USA "Beinahe-Bürgerkriege" gegeben. Außerdem gibt es besonders viele Falschbehauptungen zur Corona-Impfung, die der #Faktenfuchs überprüft hat.

Grundsätzlich treten ausländische staatliche Stellen nach Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) nicht erst seit der Corona-Pandemie als wichtige Akteure im Bereich der Desinformation auf. Laut einem Sprecher des BfV bedienen sich ausländische Desinformations-Akteure unterschiedlicher Instrumente, um ihre Narrative zu verbreiten:

"Diese reichen von der Nutzung eigener Medienapparate, die sich als ‘Alternative Informationsportale’ zu der hiesigen Medienlandschaft vermarkten, über die Verwendung von Social-Media-Kanälen bis hin zu staatlichen Thinktanks, Stiftungen, Organisationen oder Einzelpersonen."

Im Rahmen von Desinformations-Kampagnen würde laut BfV auch auf staatliche Cybergruppen, also Hacker, zurückgegriffen werden.

EU überwacht pro-russische Desinformation

Das Phänomen, dass in Deutschland über entsprechende Webseiten russische Propaganda verbreitet wird, ist nicht neu. Die Europäische Union beobachtet pro-russische Desinformation seit 2015 - Auslöser war der Konflikt in der Ost-Ukraine 2014.

Mit der Kampagne "EU vs. Disinfo" will sie nach eigener Aussage "kremlfreundliche Desinformation" besser vorhersagen, ihr entgegenwirken und auf sie antworten. Dahinter steckt eine politische Strategie. "EU vs. Disinfo" ist ein Projekt der East StratCom Task Force des Europäischen Auswärtigen Diensts und sammelte auf der Webseite der Kampagne bisher 10.710 Beispiele von Desinformation, die von den Kommunikationsexperten dort als "kremlfreundlich" eingestuft werden.

Alleine in der Corona-Pandemie seien europaweit etwa 600 dazugekommen, sagt Peter Stano, Sprecher der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. Aber: Das sei nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit - "EU vs. Disinfo" untersucht nur die Desinformation, die von Freiwilligen gemeldet wird.

Laut Stano wurde das Projekt angesichts der russischen Aggression gegenüber der Ukraine ins Leben gerufen. Die Angst: Russland könnte über staatliche und nicht-staatliche Akteure versuchen, die Europäische Union generell zu destabilisieren - indem sie Verwirrung stiften und das Vertrauen in die Regierung und die Medien untergraben. Besondere Sorge gilt Russlands Einfluss auf die Balkanländer, die vor der Aufnahme in die EU stehen

Stano beschreibt die Desinformationen, die bei "EU vs. Disinfo" gesammelt werden als "sehr maßgeschneidert für die einzelnen Länder". Einzelne Akteure könne man aber nicht konkret benennen, so Stano in einer Mail an den #Faktenfuchs. Das liege daran, dass sie sich innerhalb der EU - je nach Land - jeweils unter einer anderen Marke zeigen würden. Für Deutschland finden sich in der Datenbank auf der Webseite aber überwiegend Einträge von "RT Deutsch", "Sputnik News" und "Newsfront" - also genau von den Webseiten, die auch laut der Newsguard-Auswertung auf Facebook und Twitter im vergangenen Jahr in Bezug auf Corona eine große Reichweite hatten.

Kritik: Was wird als Desinformation eingestuft?

Die Seiten, die "NewsGuard" auflistet, werden auch von der EU kritisch gesehen. Doch beim Projekt "EU vs. Disinfo" handelt es sich um eine Einrichtung, die ein klares politisches Ziel hat - also nicht etwa ein wissenschaftlich unabhängiges Projekt. Kritik gab es hier etwa an den Kriterien für die Einstufung als Desinformation und daran, dass eine politische Institution sozusagen als Wahrheitsinstanz auftrete.

Desinformation mit extrem rechter Ideologie

Im Corona-Desinformations-Ranking folgt außerdem die Hälfte der aufgeführten Seiten laut "NewsGuard" einer rechten, rechtspopulistischen oder sogar rechtsextremen Ideologie. Seiten wie "Journalistenwatch.com", "Compact-Online.de", "Unzensuriert.at" oder "Wochenblick.at" veröffentlichen neben Falschinformationen zu Impftoten und zum Mund-Nasen-Schutz, die der #Faktenfuchs bereits überprüft hat, auch etwa hetzerische Behauptungen zu Migration und Angriffe auf Medien.

Verfassungsschutz warnt: Rechtsextreme könnten Pandemie instrumentalisieren

Falschinformationen von rechter Seite sind schon seit Beginn der Corona-Pandemie ein Problem. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) warnte im Frühjahr 2020 davor, dass Rechtsextreme die Pandemie instrumentalisieren könnten. Denn: Während einer Krise wie der Corona-Pandemie herrscht viel Unsicherheit, die von extrem Rechten ausgenutzt wird.

Zwar seien innerhalb der aktuellen Protestbewegung sowohl von Extremisten wie auch von Nichtextremisten "teilweise unvollständige, unzutreffende oder tendenziös dargestellte Informationen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den derzeitigen Schutzmaßnahmen verbreitet" worden, schreibt ein Sprecher des BfV per Mail an den #Faktenfuchs. In diesem Zusammenhang verbreiteten aber Rechtsextremisten auf unterschiedlichen Plattformen verschwörungstheoretische Thesen, wie Behauptungen, eine jüdische Elite habe die Pandemie bewusst hervorgerufen.

Die Themen, mit denen sich die extreme Rechte beschäftigt, seien häufig mit großen Ängsten besetzt, sagt Katharina Nocun, Autorin des Buchs “Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen”. Auf die Frage, welche Rolle Desinformationen bei der extremen Rechten spielen, dreht Nocun den Fokus weiter auf Verschwörungserzählungen. Da gebe es eine große Überschneidung zu extrem rechter Gesinnung.

"Verschwörungsnarrative waren in der extremen Rechten schon immer sehr verbreitet - vor allem Verschwörungserzählungen zu Medien und der Wissenschaft", Katharina Nocun im Gespräch mit dem #Faktenfuchs

Sie kritisierte außerdem eine Vermengung der Querdenken-Bewegung mit der extremen Rechten: An Querdenken-Demos nahmen regelmäßig auch Rechtsextreme teil - ohne, dass sich die Initiatoren laut Nocun glaubhaft davon distanzierten. Grundsätzlich beobachten Forscher allerdings eine große Heterogenität innerhalb der Querdenken-Bewegung – auch bezüglich der politischen Einstellung.

Mehr dazu, wie die extreme Rechte versucht, von der Corona-Krise zu profitieren, hat der #Faktenfuchs hier untersucht.

Wie entsteht das Ranking von "NewsGuard"?

Grundlage für diese Rangordnung ist die Verbreitung auf Facebook und Twitter. "NewsGuard" addiert dafür sämtliche Interaktionen und erfasst so, wie oft Links zu einer Desinformations-Webseite geteilt werden.

Was als Desinformations-Webseite gilt, klassifiziert "NewsGuard" anhand eines Punkte-Systems: Für "verantwortungsbewusste Recherchen", das Richtigstellen von Fehlern und das klare Unterscheiden von Nachricht und Meinung etwa gibt es eine bestimmte Anzahl an Punkten. Weniger seriöse Webseiten bekommen entsprechend weniger Punkte. Für die Liste untersuchte "NewsGuard" ausschließlich Webseiten, die weniger als zehn von 100 möglichen Punkten erreichten.

Fazit

Unter den Desinformations-Webseiten, die auf Facebook und Twitter die meiste Reichweite haben, fallen vor allem die auf, die laut "NewsGuard" entweder Desinformation mit extrem rechter Ideologie verbreiten oder russische Propaganda unterstützen.

Ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz spricht davon, dass Rechtsextreme auf verschiedenen Plattformen Verschwörungstheorien verbreiten. Katharina Nocun konstatiert, es gebe grundsätzlich eine große Überschneidung von Verschwörungserzählungen und Rechtsextremismus.

Pro-russische Desinformation ist ein Phänomen, dass auch die EU mit dem Projekt "EU vs. Disinfo" bereits seit 2015 beobachtet. Die Befürchtung ist, dass Russland mittels Desinformation versuchen könnte, einzelne europäische Länder zu destabilisieren.

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*29.01.2021, 10:10h: Im Abschnitt zu ausländischen Desinformations-Kampagnen haben wir den Text um eine Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ergänzt, die uns nachgeliefert wurde. Außerdem haben wir im Abschnitt zum EU-Projekt "EU vs. Disinfo" konkretisiert, welche Art der Einflussnahme die EU durch Desinformationen aus Russland erwartet.