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In "ProAna"-Gruppenchats werden Essstörungen wie Anorexie und Bulimie verherrlicht.

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Pro-Ana-Bewegung: Wo Magersucht im Netz zelebriert wird

Pro-Ana-Bewegung: Wo Magersucht im Netz zelebriert wird

Die Pro-Ana-Bewegung floriert im Verborgenen des Internets. Für die Betroffene Lena wurde eine WhatsApp-Gruppe zur zweiten Heimat – und beinahe zum Verhängnis. Im Podcast "Wild Wild Web" erzählt sie ihre Geschichte.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Salon am .

Lena war zwölf, als die Probleme mit dem Essen begannen. Zwei Jahre später bekam sie die Diagnose Magersucht. Etwa zu dieser Zeit tauchte sie zum ersten Mal in eine Whatsapp-Gruppe ein: "Reismädchen". Die Gruppe ist ein Teil von "Pro-Ana" – einer losen Bewegung, in der Magersucht und Essstörungen verherrlicht werden. Pro-Ana besteht aus vielen Foren, in denen Mitglieder für private Messenger-Gruppen rekrutiert werden.

In der neuen Staffel des Podcasts Wild Wild Web – Geschichten aus dem Internet erzählt Lena, heute 26, ihre Geschichte.

Pro Ana: Pro Anorexie

"Erlaube mir, mich vorzustellen", liest Lena damals in einer der ersten Nachrichten im WhatsApp-Chat. "Mein Name, oder wie ich von sogenannten 'Ärzten' genannt werde, ist Anorexie. Mein vollständiger Name ist Anorexia nervosa, aber du kannst mich Ana nennen. Ich hoffe, wir werden gute Freunde."

Diese personifizierte Version der Magersucht ist ein zentrales Element der Pro-Ana-Bewegung. Sie verleiht der Krankheit Magersucht eine Stimme, macht sie zu einer Freundin, einer Vertrauten - und zu einer ständigen digitalen Begleiterin.

Foren und Chatgruppen

Die Geschichte der Pro-Ana-Bewegung ist untrennbar mit der Entwicklung des Internets verbunden. In den frühen 2000er Jahren tauchten die ersten Pro-Ana-Foren und -Blogs auf. Sie boten jungen Menschen mit Essstörungen etwas, das sie in der physischen Welt oft vermissten: Verständnis und Zugehörigkeit. Allerdings ging es hier nicht darum, die Krankheit zu überwinden, sondern darum, sie verherrlichen.

Mit der Verbreitung von Smartphones und der Entstehung von Social-Media-Plattformen wurde es für junge Menschen wie Lena noch einfacher, in diese Welt einzutauchen.

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Toxische Gruppen und "Gebote"

Die Dynamik in solchen Gruppen ist oft eine Mischung aus gegenseitiger Unterstützung und toxischer Motivation. Die Mitglieder posten täglich ihr Gewicht, teilen Fotos von sich auf der Waage und motivieren sich gegenseitig, noch weniger zu essen. "Thinspiration" – eine Wortschöpfung aus "thin" (dünn) und "inspiration" – ist ein zentrales Element: Bilder von extrem dünnen Körpern, die als Motivation dienen sollen.

"Dünn sein ist wichtiger als gesund sein!", lautet eines der "Gebote", die in der Pro-Ana-Community kursieren. "Nahrungsverweigerung und dünn sein sind Zeichen wahren Erfolgs und wahrer Stärke!"

Selbst als Lena in eine Klinik eingewiesen wird, lässt sie die Online-Welt der "Reismädchen" nicht los. "Ich bin eben dringeblieben und habe von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags versucht, gesund zu werden. Ab vier Uhr hatte ich dann mein Handy. Und dann war ich wieder Pro Ana."

Die Gruppe bricht auseinander

Im Laufe der Zeit steigt Lena in der Hierarchie der Online-Gruppe auf. Sie wird zur Administratorin, rekrutiert neue Mitglieder, stellt Regeln auf. "Ich war irgendwie besonders, ich bin hier wichtig und ich organisiere das alles", erinnert sich Lena an diese Zeit. Sie erstellt Excel-Tabellen mit den Gewichten und Größen der Mädchen, überwacht die Aktivitäten in der Gruppe.

Doch die scheinbare Kontrolle ist trügerisch. Als ein Mitglied namens Zaima erklärt, sie wolle eine "ATE" sein – "Ana til the End", also sich zu Tode hungern – bricht die fragile Online-Gemeinschaft auseinander. Der Chat wird stiller, Mitglieder verlassen die Gruppe. Die digitale Blase platzt.

"Pro Ana" als Eskapismus

Lenas Weg zur Genesung führt sie wieder ins Internet - aber diesmal auf eine andere Weise. Sie beginnt, ihre Erfahrungen in Poetry Slams zu verarbeiten und teilt Videos davon online. "Ich bin stolz auf etwas, das normal ist für alle, nur für mich nicht", trägt sie in einem ihrer Texte vor.

Während Plattformen und Behörden versuchen, Pro-Ana-Inhalte zu löschen und zu regulieren, finden die Communitys immer neue Wege und Codes, um unter dem Radar zu bleiben. Lenas Erfahrung macht deutlich: Der Kampf gegen Essstörungen erfordert echte, menschliche Verbindungen – online und offline.

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