Was vor wenigen Tagen noch nach einem äußerst unwahrscheinlichen Deal aussah, ist nun Realität geworden: Elon Musk kauft Twitter. Die Verhandlungen zwischen Musk und dem Aufsichtsrat des Unternehmens hatten sich bis in die frühen Morgenstunden am gestrigen Montag hingezogen. Wendepunkt in den Verhandlungen war offenbar, dass der 50-Jährige eine belastbare Finanzierungszusage machen konnte.
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Musk zahlt die Hälfte des Kaufpreises aus seinem Barvermögen
Demnach wird Musk 54,20 Dollar pro Aktie bezahlen, was insgesamt rund 44 Milliarden Dollar entspricht. Diese gewaltige Summe will Musk unter anderem mithilfe des Finanzdienstleisters Morgan Stanley sowie weiterer Kreditgeber aufbringen. Sie steuern 13 Milliarden an Fremdkapital bei. Weitere 12,5 Milliarden Dollar finanziert Musk durch die Beleihung seiner Tesla-Aktien. Zu guter Letzt möchte er weitere 21 Milliarden Dollar aus seinem Barvermögen aufbringen.
Im Silicon Valley weiß man noch nicht so recht, ob man die Übernahme bejubeln oder verdammen soll. In der Tech-Welt schlägt dem 50-Jährigen, dessen Vermögen auf fast 270 Milliarden Dollar geschätzt wird, eine generelle Bewunderung entgegen.
Musk will den öffentlichen Diskurs beeinflussen
Gleichzeitig aber steht er für einen neuen Typus von CEO, der weit mehr sein will, als nur ein reiner Unternehmenslenker, der gegenüber seinen Anteilseignern alle drei Monate brav Rechenschaft ablegt. Musk verfolgt ein anderes Ziel: Er will den öffentlichen Diskurs beeinflussen. Für ihn sind seine Unternehmen Plattformen für das, was ihm am Herzen liegt. Twitter ist hier die ideale Bühne für ihn.
Hier gibt es durchaus einen Trend: Silicon Valley Investor Marc Andreesen kontrolliert die Audioplattform "Clubhouse", Amazon Gründer Jeff Bezos gehört die Zeitung "Washington Post", Tech-Investor Peter Thiel unterstützt politische Kandidaten am rechten Spektrum und gilt als Vertrauter von Ex-US-Präsident Donald Trump.
Tech-Industrie nimmt Musk Bekenntnis zur Meinungsfreiheit nicht ab
Obgleich er immer wieder betont, wie wichtig ihm die Meinungsfreiheit und die Demokratie seien, die allerwenigsten in der Tech-Industrie nehmen ihm das ab. Bester Beweis ist für viele Beobachter ein Tweet von Musk, den er vergangene Woche abgesetzte, nachdem er erfahren hatte, dass Microsoft-Gründer Bill Gates seine Tesla-Aktien reduziert hat. Musk twitterte daraufhin ein unvorteilhaftes Bild von Gates und schrieb: "Falls du schnell einen Ständer verlieren willst".
Für viele in der Tech-Industrie sind solch Tweets von Musk ein Beweis dafür, wie wenig der künftige Besitzer von Twitter von Inhalte-Moderation in Zeiten von Hass-Rede und Falsch-Nachrichten versteht, wie sie auch bei anderen Unternehmen wie Facebook, Snap oder YouTube gelten.
Noch-Twitter-Chef Agrawal: Es gibt keine Entlassungen
Im Augenblick sind noch viele Fragen unklar. Noch-Twitter Chef Parag Agrawal hat sich am Montagnachmittag mit einem Teil der gut 7.500 Twitter-Angestellten getroffen und sie über die jüngste Entwicklung informiert. Es werde keine Entlassungen geben, betonte er laut Augenzeugen. Eine Bemerkung Agrawals war aber augenfällig: Wenn die Übernahme durch Musk vollzogen sei, wisse man nicht, in welche Richtung es für das Unternehmen weitergehen werde.
Viele Mitarbeitende haben Sorge, dass sie unter dem neuen Besitzer ihren Arbeitsplatz verlieren oder dass das Unternehmen seinen Firmensitz nach Texas verlagern könnte, so wie das Musk bereits mit dem Autobauer Tesla gemacht hatte.
Musk will die meisten Moderationsrichtlinien abschaffen
Musk hatte in den vergangenen Wochen mit seinen Tweets, was er bei Twitter anders machen würde, eine ganze Litanei an Fragen aufgeworfen. Mehrfach hatte er erklärt, er wolle das Angebot zu einer globalen Plattform für Redefreiheit umbauen. Den gut 500 Inhalte-Moderatoren warf er vor, sie würden sich zu häufig und zu stark einmischen.
Die meisten der bestehenden Moderationsrichtlinien, die Gewaltandrohungen, Belästigungen oder das Spamming verbieten, wolle er abschaffen, so Musk.
Twitter-Algorithmus soll offengelegt werden
Er sieht Twitter als Marktplatz an, auf dem jeder seine Meinung sagen dürfe. Den Algorithmus, der festlegt, welche Tweets in den Benutzerkonten bevorzugt dargestellt werden, will Musk öffentlich machen, wie er auch in einem Tweet am Montag schrieb:
Kommen weitere Änderungen und Abos statt Werbefinanzierung?
Zuvor hatte Musk schon weitere Ideen geäußert: Ein Bearbeitungs-Button soll dafür sorgen, dass die User ihre Tweets nachträglich verändern können, ohne gleich den gesamten Tweet löschen zu müssen. Musk könnte außerdem die Begrenzung auf 280 Zeichen pro Tweet aufheben.
Auch das werbefinanzierte Geschäftsmodell von Twitter sieht er kritisch. Im vergangenen Jahr erzielte Twitter 90 Prozent seiner Einnahmen durch Werbung. Stattdessen könne er sich ein Abo-Modell vorstellen, so wie der Twitter-Zusatzdienst "Blue", der monatlich 2,99 Dollar kostet und Premium-Funktionen wie einen "Tweet rückgängig machen" anbietet.
Twitter-Chef Agrawal muss wohl gehen
Musk ventilierte zudem die Idee, den Firmensitz mitten in San Francisco dichtzumachen, Mitarbeitende zu entlassen und den Vorständen des Unternehmens kein Gehalt mehr zu bezahlen. Dadurch könnten drei Millionen Dollar pro Jahr eingespart werden.
Dass der derzeitige Vorstandschef, Parag Agrawal gehen muss, scheint gesichert. Er vertraue der Führungsmannschaft des Unternehmens nicht, hatte Musk mehrfach öffentlich erklärt.
Trump: Komme nicht zu Twitter zurück
Eine andere Frage, die in den vergangenen Tagen immer wieder auftauchte: Was passiert mit dem Twitter-Konto von Ex-US-Präsident Donald Trump? Der war nach den gewaltsamen Ausschreitungen am 6. Januar 2021 von der Plattform gesperrt worden. Facebook hat Trump ebenfalls gesperrt.
Musk könnte das Trump-Konto wieder reaktivieren lassen, der in den vergangenen Monaten mehrfach erfolglos versucht hatte, eine eigene Social-Media-Plattform aufzubauen. Ähnlich wie Musk betrachtet Trump Twitter als sein Sprachrohr, über das er in der Vergangenheit Leute beleidigt und diffamiert hatte.
Allerdings hat Trump eine Rückkehr zu Twitter bereits ausgeschlossen: Er möge Musk zwar sehr, sei aber enttäuscht davon, wie Twitter ihn behandelt habe, sagte Trump dem US-Fernsehsender CNBC und fügte hinzu: "Ich werde nicht zu Twitter zurückkehren." Statt dessen wolle er sich auf sein eigenes Netzwerk Truth Social konzentrieren, das "im Zeitplan" sei. Der Start von Truth Social war von einigen Schwierigkeiten überschattet gewesen.
Analysten und Wall Street sind wegen Musk-Einstieg besorgt
Analysten sind über den Einstieg nicht in Jubel ausgebrochen. Sie befürchten, Musk könne seine andere Unternehmen vernachlässigen. Der 50-Jährige ist sowohl Chef von Autobauer Tesla, als auch der Raketenfirma SpaceX. Ihm gehört außerdem das Bio-Tech-Unternehmen Neuralink sowie die Tunnelbau-Firma Boring Company.
Am Donnerstag veröffentlicht Twitter seine Quartalsergebnisse. Rückfragen durch Analysten und Presse soll es diesmal nicht geben. Das Unternehmen hat vorsorglich die Pressekonferenz abgesagt. Zu viel liegt derzeit im Vagen für den einstigen Social-Media-Shooting-Star.
- Zum Artikel "Wie die Welt auf Elon Musks Twitter-Übernahme reagiert"
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