Die Ski Alpin-Fans haben ein Wochenende hinter sich, das an Dramatik wohl kaum zu überbieten war. Mit Alexis Pinturault und Aleksander Aamodt Kilde stürzten zwei Top-Athleten. Beide mussten mit dem Helikopter abtransportiert werden. Für beide ist die Saison beendet. Andere Athleten fuhren die Lauberhorn-Strecke mit angezogener Handbremse hinunter - drei Speedrennen an drei Tagen und das ausgerechnet auf der längsten Strecke des Weltcups - das schien am Ende zu viel des Guten zu sein.
Was Zuseher und Fans selten sehen: Die Stunden nach dem Sturz, abseits der Rennstrecke, abseits des Renntrubels, wenn die Rennfahrer mit den Szenen in ihrem Kopf alleine sind. Die aktuell schnellste deutsche Speed-Fahrerin Kira Weidle gewährte bei "Blickpunkt Sport" im BR Fernsehen Einblicke in eben diese Momente: "Erst mal hab ich mich in ein komplett dunkles Zimmer begeben. Kein Fernseher, kein Licht, kein gar nichts – da ging's mir wirklich nicht so gut", sagte die 27-Jährige.
Helm kaputt, Ski kaputt, Körper ganz
Die Starnbergerin war beim Abfahrtstraining in Zauchensee gestürzt. Bei über 100 km/h verkantete sie, stürzte heftig und landete im Netz. Erst später am Abend habe sie sich dann das Video der Fahrt selbst angesehen.
"Ich bin da schon ganz schön auf den Kopf gefallen, auf den Hinterkopf. Es war dann auch nicht ganz klar, ob ich die Rennen wirklich starten kann", erklärte Weidle. "Der Helm ist kaputt, der Ski ist kaputt, nur mein Körper ist zum Glück noch ganz." Tag für Tag habe sie mit ihren Betreuern entscheiden müssen, ob ein Start möglich sei.
Saisonbestleistung zwei Tage nach heftigem Sturz
Viel Zeit, den Sturz zu verarbeiten, blieb nicht. Schon am nächsten Tag musste Weidle beim Super-G an den Start gehen, musste die Strecke bezwingen, die sie am Tag zuvor noch abgeworfen hat. Nach dem Abflug gab es keine Möglichkeit, noch einmal auf der Piste zu trainieren, die Sturzgedanken zu verdrängen. Nur eine Besichtigung lag zwischen dem Lauf, der für Weidle im Netz endete, und dem Super-G-Rennen.
Weidle legte trotz allem einen überraschend guten Lauf hin. Drei Zehntelsekunden fehlten am Ende für ein Top-Ten-Ergebnis. Am Samstag, bei der Abfahrt, legte die 27-Jährige dann noch einen drauf. Mit Mut und Konsequenz fuhr sie auf Rang fünf - dieses Mal war es eine Zehntelsekunde, die ihr auf das Treppchen fehlten. Saisonbestleistung.
Im Video: Schwere Stürze, weinende Fahrer - Kritik am Kalender der FIS wächst
Diskussion und Kritik an FIS
Weidle spekulierte im Blickpunkt-Sport-Studio, dass ihr der Sturz vom Trainingslauf vielleicht sogar zu den beiden Top-Ergebnissen verholfen haben könnte: "Vielleicht hilft es, dass man noch mehr bei sich, noch konzentrierter ist, sich noch mehr aufs Skifahren konzentriert". Auch die Strecke sei ihr entgegengekommen. "Zauchensee ist zum Glück eine meiner Lieblingsabfahrten, da kann ich schon auch auf mich vertrauen, auf das, was ich bisher geleistet habe. Ich weiß, wie es da runtergeht".
Das Risiko, das die Skirennläufer auf sich nehmen, die Gefahr, war selten so präsent wie am vergangenen Wochenende. Die folgenschweren Stürze der Weltspitze-Athleten Kilde und Pinturault haben erneut eine Diskussion um den vollbepackten Rennkalender im Ski Alpin-Weltcup entfacht.
Nachholrennen forderten "Opfer"
So stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die Rennen, die zu Beginn der Saison gecancelt wurden, im ohnehin schon knapp durchgetakteten Januar nachzuholen. Bei den Männern waren es immerhin drei Speed-Rennen an drei aufeinanderfolgenden Tagen in Wengen - ausgerechnet auf der längsten und einer der schwierigsten Strecken im Weltcup-Kalender. Kira Weidle sagte dazu: "Es ist schwierig, das Mittelmaß zu finden. (...) Man muss sich wirklich überlegen, ob's nicht doch irgendwelche andere Orte gibt, wo man das einschieben könnte."
Rennen um jeden Preis durchzuführen und irgendwie einzuschieben, das fordere Opfer - "auch sehr berühmte Leute, die dafür bekannt sind, dass sie top durchtrainiert und fit sind, selbst für die ist es zu viel", sagte Weidle. Besonders "nach den ganzen Verletzungen in letzter Zeit" sollte sich die FIS "schon mal überlegen, ob man da vielleicht anders reagieren sollte in Zukunft", so die Starnbergerin weiter.
Kritik von erfolgreichen Athleten
Auch prominente Fahrer übten am Wochenende Kritik: "Ich hoffe, dass es eine Lektion ist, hier nie mehr drei Rennen zu fahren", sagte der überlegene Sieger Marco Odermatt im Ziel. "Nicht mehr normal", fand der am Sonntag zweitplatzierte Cyprien Sarrazin aus Frankreich das aktuelle Pensum.
Auch der DSV-Athlet und Speed-Spezialist Thomas Dreßen machte vor allem den Weltcup-Kalender für die vielen Ausfälle verantwortlich. "Ich glaube, dass man sich generell einmal überlegen muss, was überhaupt noch zielführend ist, wenn ich überlege, wie viele Rennen geplant sind".
Renndirektor Markus Waldner kündigte bereits an, künftig auf solche XXL-Stationen wie in Wengen zu verzichten. "Das war zu viel", sagte Waldner. Eine erste Konsequenz hat Waldners Ansage bereits: Planungen, den in Beaver Creek ausgefallenen Super-G Mitte Februar in Kvitfjell nachzuholen, wurden offenbar wieder verworfen. In Norwegen stehen - wie auch in Wengen - schon eine Abfahrt und ein Super-G auf dem Programm.
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