Der Auspuff eines Audis, darüber steht: "Der Fall Audi"
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Audi hat nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks und des Handelsblatts in zahlreichen Diesel-Modellen meist vier Abschalteinrichtungen genutzt.

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Ausmaß der Dieselaffäre bei Audi größer als bekannt

Ausmaß der Dieselaffäre bei Audi größer als bekannt

Audi hat nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks und des Handelsblatts in zahlreichen Diesel-Modellen nicht nur eine, sondern meist vier Abschalteinrichtungen genutzt. Das Bundesverkehrsministerium hat die Öffentlichkeit bisher nicht informiert.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Der Ingolstädter Autobauer Audi hat in der Abgasaffäre offenbar umfassender manipuliert als bislang bekannt. Dabei geht es um Diesel-Autos mit größeren Motoren von Audi der Abgasnorm Euro 6. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat die Modelle zurückgerufen. Die entsprechenden Bescheide hat die Flensburger Behörde bis Januar 2018 verschickt. Damals erklärte das zuständige Bundesverkehrsministerium, in den Fahrzeugen sei eine Abschalteinrichtung verbaut, nämlich die sogenannte "Motoraufwärmfunktion".

Behördenbescheide: Audi nutzte vier Abgasstrategien

Tatsächlich zeigen die nicht öffentlichen KBA-Bescheide, die BR Recherche und dem Handelsblatt vorliegen: Audi setzte nicht nur eine, sondern meist vier unterschiedliche Abgasstrategien ein. Dadurch sind die Fahrzeuge auf dem Prüfstand sauberer als im Straßenverkehr. Die Behörde schlüsselt die Strategien in den jeweiligen Bescheiden alphabetisch auf - von A bis D.

Betroffen sind auch Modelle von Porsche und VW, denn die größeren Diesel-Motoren von Audi kamen samt Abgastechnik auch bei den Schwesterfirmen zum Einsatz. Insgesamt geht es um mehr als 200.000 Fahrzeuge in Deutschland.

Problematisches Vorgehen des KBA

Das Kraftfahrt-Bundesamt stuft allerdings bei mehreren Diesel-Modellen jeweils nur die Strategie A – die sogenannte "Aufwärmfunktion" – als unzulässige Abschalteinrichtung ein. Die anderen drei "Strategien" kann Audi "freiwillig" aus der Software entfernen. Dabei geht aus den Bescheiden hervor, dass die Behörde die meisten Modelle nicht selbst geprüft hat, sondern sich auf Angaben des Unternehmens stützte. In einem Bescheid heißt es: "Eigene technische Prüfungen wurden durch das KBA nicht durchgeführt. Es wird nach Aktenlage beschieden."

Vorteil für Audi?

Der Jurist Martin Führ von der Hochschule Darmstadt, der auch Gutachter im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags war, kommt nach Durchsicht mehrerer Bescheide zu einer eindeutigen Bewertung: "Ich lese die Dokumente so, dass die Behörde bei allen vier Strategien davon ausgeht, dass es sich um eine Abschalteinrichtung handelt, daran besteht kein Zweifel. Und es bestehen auch keine Zweifel daran, dass sie nicht nötig waren für den Motorschutz, denn dann hätte man sie nicht herausnehmen können." Audi könnte seiner Einschätzung nach davon profitieren, dass das KBA bisher lediglich eine Abschalteinrichtung als unzulässig eingestuft hat. "Das Unternehmen ist deswegen günstiger gestellt, weil eben nicht klar ausgesprochen ist, dass in vier Fällen ein rechtswidriges Verhalten vorlag, sondern nur in einem. Damit steht man zunächst mal vor den Zivilgerichten günstiger da", so Führ.

Deutliche Kritik am KBA

Der Verkehrsexperten Oliver Krischer von Bündnis 90/Die Grünen kritisiert das Vorgehen der Bundesbehörde scharf: "Eigentlich würde man erwarten, dass eine Behörde, selber aktiv wird, sich selber ein Bild verschafft, wenn sie einen Verdacht eines Betruges hat, wir reden ja hier über Straftaten. Dazu ist das KBA aber nicht willens und in der Lage."

Staatsanwaltschaft stellte Durchsuchung in den Raum

Auch die Staatsanwaltschaft München II, die gegen 27 Beschuldigte im Zusammenhang mit dem Diesel-Komplex bei Audi ermittelt, sieht die Arbeit des KBA kritisch. Das geht aus vertraulichen Unterlagen zu Audi hervor, die BR Recherche und das Handelsblatt ausgewertet haben. Danach fordert ein Staatsanwalt das KBA im Januar 2016 auf, bei Erkenntnissen über illegale Abschalteinrichtungen nicht zuerst Audi, sondern vorher die Staatsanwaltschaft zu kontaktieren.

Als die Staatsanwaltschaft im Juni 2017 aus den Medien vom ersten Rückruf erfahren muss, schreibt der Staatsanwalt einen wütenden Brief an den Präsidenten des KBA, Ekhard Zinke. Er sehe sich zum wiederholten Male veranlasst, darauf hinzuweisen, "dass eine nur eingeschränkte Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden – erst recht, wenn von deren Seite eine klare Aufforderung erfolgte – den Straftatbestand der (mindestens versuchten) Strafvereitelung erfüllen kann". Vorstellbar sei deswegen auch eine Durchsuchung der Behörde, so der Staatsanwalt weiter.

Bundesverkehrsministerium lässt Fragen unbeantwortet

Audi äußert sich auf Anfrage von BR und Handelsblatt nur allgemein zu dem gesamten Sachverhalt: Im Rahmen der technischen Aufklärung der Dieselkrise habe die Audi AG die relevanten Dieselaggregate analysiert und sich mit dem KBA laufend über die Analyseergebnisse ausgetauscht. Das Kraftfahrt-Bundesamt reagiert auf eine detaillierte Anfrage nicht. Und das Bundesverkehrsministerium, das die Öffentlichkeit bis heute nicht umfassend über Abschalteinrichtungen in Audi- Dieselfahrzeugen informiert hat, teilt nur allgemein mit, die Dieselthematik sei seit Herbst 2015 intensiv untersucht und aufgearbeitet worden.

BR-Reporter Arne Meyer-Fünffinger
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