Im Diesel-Betrugsprozess ist der frühere Audi-Chef Rupert Stadler zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Die Wirtschaftsstrafkammer sprach ihn des Betrugs schuldig, weil er den Verkauf von Dieselautos mit manipulierten Abgaswerten zu spät gestoppt hatte. Das teilte das Landgericht in München mit.
Auch die beiden Mitangeklagten - der frühere Chef der Motorentwicklung und spätere Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz sowie der Ingenieur Giovanni P. - erhielten Bewährungsstrafen wegen Betrugs. Es sind die ersten strafrechtlichen Urteile in Deutschland im 2015 aufgedeckten Diesel-Skandal, der die ganze Branche erschüttert und Milliardenschäden verursacht hat.
Stadler für 41 Millionen Euro Schaden verantwortlich
Stadler ist laut dem Urteil für den Verkauf von 17.177 manipulierten Dieselautos und einen Schaden von 41 Millionen Euro verantwortlich. Den beiden mitangeklagten Motorentwicklern legte die Kammer einen Schaden von 2,3 Milliarden Euro zur Last.
Spätestens im Juli 2016 habe Stadler erkannt, dass große Audi-Dieselmotoren bei der Abgassteuerung "zulassungskritische Funktionen enthalten könnten", sagte der Vorsitzende Richter Stefan Weickert bei der Urteilsbegründung. Trotzdem habe er die Händler nicht informiert und den Verkauf der Autos in Deutschland erst Anfang 2018 gestoppt.
Der ehemalige Leiter der Audi-Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz, und der ehemalige Leiter der Audi-Abteilung Abgasreinigung, der Ingenieur Giovanni P., waren laut Urteil ab 2008 an der Manipulation der Abgassteuerung von 94.924 verkauften Fahrzeugen beteiligt und für einen Schaden von 2,3 Milliarden Euro verantwortlich. Ein Großteil dieser Fahrzeuge war in den USA verkauft worden; sie hatten nach Aufdeckung der Manipulationen nach den US-Vorschriften nur noch Schrottwert. Für in Deutschland verkaufte Autos setze das Gericht einen Wertverlust von 5 Prozent an.
BR24live zum Urteil gegen Stadler
Strafprozess dauerte zwei Jahre und neun Monate
Der Strafprozess um den Dieselskandal des Volkswagen-Konzerns dauerte zwei Jahre und neun Monate. In 171 Verhandlungstagen hatte die Kammer mehr als 190 Zeugen vernommen und vier Gutachten eingeholt. Das Verfahren gegen einen vierten Angeklagten wurde bereits im April gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Er war Ingenieur in der Abteilung von P. gewesen und nach einem frühen Geständnis als Kronzeuge aufgetreten.
Stadler war 2007 Chef der Ingolstädter VW-Tochter Audi geworden, als Nachfolger von Martin Winterkorn, der damals an die Konzernspitze wechselte. Unter Stadlers Führung hatte Audi Umsatz und Betriebsgewinn verdoppelt und Mercedes bei den Verkaufszahlen überholt.
Stadler hatte lange seine Unschuld beteuert. Erst nach dem Hinweis des Gerichts auf eine drohende Gefängnisstrafe gestand der 60-Jährige, nach dem Auffliegen des Skandals 2015 in den USA den Verkauf von Autos mit manipulierten Abgaswerten in Europa viel zu spät gestoppt zu haben. Angesichts der Hinweise auf Tricksereien auch bei den europäischen Modellen hätte er als Vorstandschef sorgfältiger sein, für Aufklärung sorgen und eingreifen müssen, so Stadler. Das Urteil nahm Stadler regungslos zur Kenntnis.
"Betrug durch Unterlassen" - Geldauflage von 1,1 Millionen Euro
Nach Einschätzung des Gerichts hat Stadler damit den ihm vorgeworfenen "Betrug durch Unterlassen" gestanden. Im Vorfeld des Urteils kam es zu einer Absprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Aus dieser ging bereits hervor, dass Stadler bei Zahlung von 1,1 Millionen Euro mit einer Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe zwischen anderthalb und zwei Jahren rechnen müsse. Die vereinbarte Geldauflage müsse Stadler teils an die Staatskasse und teils an mehrere gemeinnützige Organisationen zahlen, urteilte die Strafkammer.
Hatz und der Ingenieur P. hatten gestanden, für die Manipulation von Dieselmotoren gesorgt zu haben. Damit hielten sie Abgaswerte auf dem Teststand ein, drosselten die Abgasreinigung aber auf der Straße. Beim ehemaligen Audi-Motorenchef und späteren Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz sind es zwei Jahre sowie 400.000 Euro, beim Ingenieur Giovanni P. ein Jahr und neun Monate sowie 50.000 Euro.
Staatsanwaltschaft zufrieden mit Stadler-Urteil
Die Staatsanwaltschaft zeigte sich mit dem Bewährungsurteil gegen Stadler "sehr zufrieden". Das Gericht habe sich im Rahmen der im Prozessverlauf getroffenen Verständigung bewegt und sei "nur wenige Monate" vom Antrag der Staatsanwaltschaft abgewichen, sagte Sprecherin Andrea Grape. Beim zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilten ehemaligen Chef der Motorentwicklung Wolfgang Hatz ist die Abweichung größer: Hier hatte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von drei Jahren und zwei Monaten gefordert. Sie will deswegen die Urteilsbegründung prüfen, bevor sie über Rechtsmittel entscheidet. Rechtskräftig sind alle drei Urteile noch nicht.
Schwierige Suche nach Verantwortlichen
Staatsanwalt Nico Petzka sieht die drei Angeklagten nicht als die Hauptverantwortlichen für den Dieselskandal. Es sei zweifelhaft, ob es überhaupt den oder die Hauptverantwortlichen geben könne, "wenn im Unternehmen so viele Beteiligte in die falsche Richtung laufen", hatte er in seinem Schlussplädoyer gesagt.
In Braunschweig stehen seit September 2021 vier frühere Topmanager des Volkswagen-Konzerns wegen möglichen Betrugs in der Dieselaffäre vor Gericht. Das Verfahren gegen Martin Winterkorn liegt wegen dessen Krankheit auf Eis.
Die Münchner Staatsanwaltschaft hat schon 2020 vier weitere ehemalige Audi-Manager angeklagt - drei ehemalige Vorstandskollegen Stadlers und den langjährigen Leiter der Hauptabteilung Dieselmotoren bei Audi. Ob und wann dieser Prozess beginnt, ist noch offen. Er könnte vor derselben Kammer von Richter Weickert stattfinden. Gegen neun weitere Beschuldigte ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft noch.
Große Folgen für Automobilbranche
Automobilexperte Guido Reinking sagte im BR24live, dass das Urteil "dem Rechtsempfinden des einen oder anderen gut getan" habe. Nach dem Urteil werde es für weitere Angeklagte schwieriger sein, vor Gericht glaubhaft zu machen, sie hätten von nichts gewusst. Das Thema sei mit dem Urteil aber nicht vorbei, sondern werde die Gerichte noch lange weiter beschäftigen, sagte er und verwies unter anderem auf das derzeit ruhende Verfahren gegen Winterkorn. Der Abgas-Skandal und die Folgen hätten einen großen Einfluss auf die Branche gehabt. "Ohne diesen Skandal (...) hätte es sicher keine Elektroautostrategie gegeben", betonte Reinking. Die Unternehmen hätten dadurch erkannt, dass Diesel-Autos keine Zukunft hätten.
Mit Informationen von dpa und Reuters
Im Audio: Urteile im Audi-Dieselprozess
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