Die am Montag von der 4. Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München I getroffene Entscheidung ist eindeutig. Die Richter halten es nach wie vor für möglich, dass sich Ex-Wirecard-Chef Markus Braun nach einer Freilassung aus der Untersuchungshaft ins Ausland absetzen könnte. Zudem bestehe ihrer Auffassung nach Verdunklungsgefahr. Braun muss in U-Haft bleiben.
So steht es in dem 25-seitigen Beschluss, den BR Recherche einsehen konnte. Zuletzt hatte Braun vor etwa einem Jahr einen entsprechenden Antrag gestellt.
Braun-Verteidigung will "rechtliche Schritte" prüfen
Der Wirecard-Prozess läuft seit Anfang Dezember 2022. Mehr als 140 Prozesstage haben seitdem stattgefunden. Was den bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung und die Bewertung durch die Kammer angeht, lässt der Beschluss ebenfalls tief blicken. Aus der bisherigen Beweisaufnahme ergebe sich weiterhin ein dringender Tatverdacht.
Angeblich entlastende Umstände für Braun sieht das Gericht im Laufe der Verhandlung nicht bestätigt. Braun-Verteidigerin Theres Kraußlach hält den Beschluss des Gerichts für "nicht nachvollziehbar". Sie will "weitere Schritte gegen diese Entscheidung prüfen", teilte sie dem BR auf Anfrage schriftlich mit.
Mehr als zehn Jahre Freiheitsstrafe möglich
Die Auffassung des Gerichts deckt sich mit der Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Sie wirft den drei Angeklagten unter anderem bandenmäßigen Betrug, Marktmanipulation und Falschdarstellung vor. Angeklagt sind Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, der ehemalige Chefbuchhalter Stephan von Erffa und der früheren Statthalter des Online-Zahlungsdienstleisters in Dubai, Oliver Bellenhaus. Das Gericht rechnet damit, dass die Staatsanwaltschaft für von Erffa und Braun eine Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren fordern wird.
Von Erffa hat sich im Juli nach langem Schweigen erstmals persönlich im Wirecard-Prozess geäußert und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen. Das Gericht sieht bei ihm Widersprüche und hält seine Aussage in Teilen für nicht überzeugend. Allerdings ist von Erffas Befragung noch nicht abgeschlossen.
Bellenhaus gilt es Kronzeuge der Ermittlungsbehörden. Ihn hat das Gericht im Februar dieses Jahres nach ebenfalls mehrjähriger Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft soll das Trio den einstigen DAX-Konzern in der Öffentlichkeit erfolgreicher dargestellt haben, als er tatsächlich war.
Staatsanwaltschaft und Insolvenzverwalter: Drittpartnergeschäft war erfunden
Gelungen sei das unter anderem damit, dass Wirecard über Jahre mit im Ausland sitzenden Drittpartnern hohe Umsätze und Gewinne erzielt haben will. Dieses so genannte TPA-Geschäft habe es nach bisheriger Beweisaufnahme im Wirecard-Konzern nicht gegeben. Insbesondere habe die Wirecard zu den angeblich an die TPA-Partner vermittelten Händler keinen Kundenkontakt gehabt.
Mit anderen Worten: Wesentliche Teile des Wirecard-Geschäft waren demnach frei erfunden. Zu dieser Überzeugung sind Staatsanwaltschaft und Insolvenzverwalter bereits kurz nach dem Zusammenbruch von Wirecard Ende Juni 2020 gekommen. Bis heute haben sie Ihre Meinung nicht geändert.
Prozess geht am 11. September weiter
Nach jetziger Planung soll der Wirecard-Prozess am 11. September mit einer weiteren Vernehmung Stephan von Erffas weitergehen. Wegen der Erkrankung eines Richters hatte die Kammer die Verhandlungstage in dieser und in der vergangenen Woche abgesagt.
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