Ursula Ruppel aus München feiert ihren 86. Geburtstag. Doch viel bekommt sie davon nicht mit. Sie ist seit sechs Jahren dement und lebt trotz ihrer Erkrankung selbstständig daheim. Vorwiegend kümmert sich ihre Tochter Pascale Ruppel um sie. Das klappt nur dank eines ausgeklügelten Netzwerks.
Dazu gehören ein Pflegedienst, eine Tagespflege und zusätzliche Buchungen wie beispielsweise Krankengymnastik. Längst zahlt die Familie privat drauf, deshalb schaut Pascale Ruppel auf jeden Cent, den sie ausgibt: "Wenn nur das Pflegegeld da wäre, dann könnte meine Mutter nur zweimal oder dreimal in der Woche in die Tagespflege gehen, sie braucht aber definitiv mehr." Pascale Ruppel fordert mehr Ausgleich für ihren Einsatz. "Eigentlich ruht sich die Politik auf den Schultern der Angehörigen aus. Weil: die Arbeit müsste sonst jemand anders machen und man müsste die Person bezahlen."
Immer mehr pflegebedürftige Menschen
Was Ruppel erzählt, betrifft in Deutschland immer mehr Menschen. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen verdoppelt: Sie liegt bei mehr als fünf Millionen Menschen. Die Pflegeversicherung steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Mehr als drei Viertel der Pflegebedürftigen werden von der Familie versorgt. Doch auch Angehörige kommen an ihre Grenzen.
Noch werden 4,1 Millionen Menschen von Angehörigen und Pflegediensten gepflegt. Rund 790.000 Menschen leben in Heimen. In 30 Jahren, also 2055, werden 6,8 Millionen Menschen pflegebedürftig sein, so die offizielle Prognose. 280.000 Pflegekräfte bedarf es bis 2049.
Die Einrichtungen der Diakonie werden mit Anfragen nach bezahlbaren Heimplätzen überhäuft. Das Diakonische Werk Bayerns fordert neue Lösungsansätze, wie Vorständin Sandra Schuhmann betont. "Einfach mal über den Tellerrand schauen, und einfach mal Projekte ausprobieren, learning by doing machen." So wie es bisher war, sei es gut, aber es werde nicht für die Zukunft reichen, so Schuhmann.
Mitmachheim: Weniger Pflegepersonal, Aufgaben für die Bewohner
Learning by Doing – genau das probiert eine Pflegeeinrichtung in Whyl am Kaiserstuhl (externer Link) seit acht Jahren: Das Heim ist ein Modellprojekt mit einem einmaligen Konzept, genannt "stambulant". 56 Bewohnerinnen und Bewohner leben dort in vier Wohngruppen. Je nach eigener Kraft packen die Senioren mit an, wo sie können, etwa für das gemeinsame Mittagessen. So ist der Bedarf an Pflegekräften geringer, die Kosten dadurch niedriger. Heinz Siebold ist schon 90 Jahre alt und kam im Rollstuhl. Inzwischen geht es wieder ohne.
"Es kommen viele Bewohner, die am Anfang, wenn sie hierherkommen, eigentlich sagen, sie kommen zum Sterben", sagt Geschäftsführer Kaspar Pfister. Und dann merke man, da gibt es auch etwas zu tun. "Man braucht mich, ich darf was machen, und dann entsteht ein Gefühl des Wichtigseins, der Wertschätzung."
Alternatives Pflegekonzept könnte scheitern – wegen Politik
Die Bewohner profitieren also von diesem besonderen Konzept. Gabriele Iber ist zu Besuch bei ihrer 94-jährigen Tante. Sie kümmert sich um die Wäsche. Auch das gehört zum System aus ambulanter und stationärer Pflege und senkt die Kosten. "Mir gefällt, dass man sich hier einbringen kann", sagt Gabriele Iber.
Aber schon im Dezember könnte dieses einmalige Mitmachheim in dieser Form enden – weil die Politik keine Entscheidung trifft. "Wir brauchen die Erlaubnis", erklärt Pfister "Das ist offensichtlich viel schwerer, als ich es mir jemals hätte vorstellen können." Bald könnten sich hier die Kosten auf 4.000 statt der bisherigen 2.700 Euro belaufen. Für viele wäre es dann nicht mehr bezahlbar.
Im Video: Klaus Holetschek zur Lage der Pflege in Bayern
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