Jurek S. wohnt in einem Haus im Münchner Stadtteil Schwabing. Seit vier Generationen ist es in Familienbesitz und das soll eigentlich auch so bleiben. Jurek S. ist in diesem Haus aufgewachsen, genauso wie sein 76-jähriger Vater Heinz, der im Stockwerk über ihm wohnt, und dessen Vater. Die Familiengeschichte reicht weit zurück.
Doch im Erbfall stehen nun deutlich höhere Steuern an. Kaum zu schultern, notfalls müsste S. dann verkaufen. Der Urgroßvater hatte das Grundstück 1912 gekauft, erzählt Jurek S..1959 baute die Familie hier ein neues größeres Haus mit zwölf Wohnungen und zwei Läden.
In vier der zwölf Wohnungen lebt die Familie selbst, Heinz, Jurek und dessen zwei Söhne. Acht Wohnungen sind vermietet zu fairen Preisen um die elf Euro pro Quadratmeter, wie Jurek S. betont. Ihm ist die Hausgemeinschaft wichtig. "Unsere Nachbarin drüben, wenn da der Videorekorder kaputt ist, ruft sich mich an: 'Ja mein Lieblingsnachbar kommen Sie mal!' Da freu ich mich immer", sagt Jurek S..
Wert des Grundes in München enorm gestiegen
Nun ist der Onkel von Jurek S. gestorben, dem eine vermietete Wohnung gehörte. Für das Erbe fallen nach Jurek S. Schätzungen etwa 160.000 Euro Steuer an. Denn die berechnen sich überwiegend nach dem Wert des Grundes und der ist in München in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Erbe Jurek S. weiß jedoch nicht, wie er das bezahlen soll. "Und wenn man sich dann überlegt was man Miete kriegt dafür - passt nicht", fügt er hinzu.
Parallel will Vater Heinz gerne vier Wohnungen und die Läden, die ihm gehören, an die Kinder überschreiben. Das könnte demnächst noch viel mehr Steuern kosten. Denn der Bundestag hat am 2. Dezember das Jahressteuergesetz 2022 verabschiedet. Es enthält neue Bewertungskriterien für Immobilien. Damit könnte Vererben und Verschenken ab Januar 2023 steuerlich deutlich teurer werden. Der Bundesrat muss allerdings noch zustimmen.
Eigentümerverein warnt vor drastischer Erhöhung
Der Haus- und Grundbesitzerverein München schlägt Alarm. "Durch das Jahressteuergesetz könnte sich ab nächstem Jahr die Erbschaftsteuer noch einmal drastisch erhöhen", sagt der Vorsitzende, Rudolf Stürzer. "Wie hoch sie ausfallen wird, hängt vom Einzelfall ab, von der Art von der Lage der Immobilie. Aber in Einzelfällen kann sich die Steuer durchaus auch vervielfachen."
Iring Christopeit von der Münchner Steuer- und Rechtsanwaltskanzlei PSP hat exemplarisch einen Fall durchgerechnet. Immobilien sollen nun höher bewertet werden. Welche Auswirkungen hat das auf die Erbschaftsteuer? Hier ein stark vereinfachtes Rechenbeispiel zu einem Einfamilienhaus auf dem Land mit 220 Quadratmetern und 700 Quadratmetern Grund:
Bislang wird der Wert des Hauses auf gut 487.000 Euro festgelegt. Ab 2023 würde das Haus wegen der Änderungen mit knapp 786.000 Euro bewertet, also rund 300.000 Euro höher. Für die Erbschaftsteuer nach Freibetrag für ein Kind würde dies eine Steigerung von etwa 9.600 auf rund 57.900 Euro bedeuten – und damit etwa sechsmal so viel.
- Zum Artikel: Erbschaftsteuer wird für viele steigen: Wie gerecht ist das?
Kredite aufnehmen um Steuern zu bezahlen?
Jurek und Heinz S. waren beim Anwalt. Vier Wohnungen und einen Laden vom Vater überschreiben zu lassen, würde etwa 300.000 Euro an Steuern bedeuten. Das zu stemmen geht für ihn nur mit hohen Krediten. "Je älter man wird, desto kürzer ist dann die Zeit, in der man so einen Kredit abzahlen kann" sagt Jurek S.. "Und die Mieten sollen ja gleich bleiben. Die oberste Prämisse ist, das Haus in der Familie zu behalten, und die Mieten auf so einem Niveau, dass auch die Rentner und Singles, die wir hier haben, sich das auch leisten können." Das aber rechnet sich nicht. S. müsste die Mieten drastisch anheben.
Haus- und Grundbesitzerverein: Steuer soll sich nach Ertrag richten
Stürzer vom Haus- und Grundbesitzerverein hält die Berechnung der Erbschaftsteuer gerade für Mietshäuser für grundsätzlich falsch. Er fordert "dass sich die Erbschaftsteuer nicht nach den Bodenrichtwerten, sondern nach den Erträgen, das heißt nach den Mieten, richtet. Ferner, dass Immobilienerben mit Betriebserben gleichgestellt werden. Diese werden ja auch von der Erbschaftsteuer verschont, wenn sie Arbeitsplätze erhalten, nichts anderes darf gelten für Erben von Häusern, wenn die sich verpflichten, die Mieten auf sozialverträglichem Niveau für einen bestimmten Zeitraum zu halten."
Zu viel Erbschaftsteuer, zu wenig Entlastung – das Problem sieht auch seit Längerem das bayerische Finanzministerium.
"Es ist so, dass die Freibeträge seit 2009 nicht mehr angepasst wurden, und wir haben Immobilienpreisentwicklung im Großraum München sicher vom doppelten dessen manchmal sogar dreifachen Wert, und deswegen ist es dringend notwendig dass wir jetzt endlich die Freibeträge anpassen." Albert Füracker, Bayerischer Finanzminister
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger geht einen Schritt weiter. Bereits im Sommer hatte er getwittert, die Erbschaftsteuer gehöre abgeschafft.
- Zum Artikel: "Ungerecht": Bayern plant Klage gegen Erbschaftssteuer
Wenn Jurek S. sich die Erbschaftsteuer nicht mehr leisten kann, bliebe ihm als letzte Konsequenz nur der Verkauf. Das ruft selbst den Mieterverein auf den Plan, der Verkäufe von Mietshäusern aus Privatbesitz vermeiden möchte.
Denn dann gehe es in der Regel an einen Investor, wie Volker Rastätter vom Mieterverein München erklärt. "Was bedeutet, dass für die Mieter die Zeiten wesentlich härter werden, und teurer. Deshalb fordern wir für diejenigen, die wirklich sich verpflichten Jahrzehnte lang faire Mieten weiterhin zu verlangen von ihren Mietern, wie das der Erblasser auch getan hat, dass die einfach steuerlich entlastet werden." Die Regierung plädiert inzwischen für höhere Freibeträge. Jetzt müssen noch die Länder mitziehen.
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