Ob in der Gastronomie, im Handwerk oder in der Pflege – das Problem des Personalmangels ist auf dem Arbeitsmarkt allgegenwärtig. Insbesondere Fachkräfte fehlen.
Das Ausmaß ist groß: Probleme gibt es zum Beispiel in Kitas. An allen Ecken und Enden fehlt es dort am Personal. Erzieher und Erzieherinnen berichten, dass sie keine Toiletten- oder Essenspausen machen könnten, weil die Kinder sonst alleine wären. Bei Krankheit müssten Gruppen schließen oder Betreuungszeiten verkürzt werden.
Mitarbeiter fehlen in allen möglichen Branchen
In der Gastronomie ist die Lage ähnlich. Gäste würden immer häufiger vor verschlossenen Türen stehen, so Michael Grundl von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Oberfranken. "Wer zum Essen 'rausfährt oder etwas trinken möchte, sollte sich besser vorher im Internet oder per Anruf erkundigen, ob das Lokal auch offen hat", so Grundl weiter.
Viele Wirtshäuser hätten inzwischen einen zusätzlichen Ruhetag eingelegt oder den Mittagstisch gestrichen. Im August hatte die NGG gemeldet, dass in den Regionen Bamberg, Hof, Bayreuth, Coburg, Kronach und Wunsiedel insgesamt mehr als 350 Stellen in der Gastronomie unbesetzt seien.
Bei der Nürnberger Verkehrs-Aktiengesellschaft (VAG) ist der Engpass so groß, dass sie Studierenden anbietet, im Nebenjob Straßenbahnen zu fahren. Die Ausbildung soll 30 Tage dauern und könne zum Beispiel in den Semesterferien absolviert werden.
Im Audio: Studenten als Straßenbahnfahrer im Nebenjob
"Mehr Beschäftigte denn je" auf dem Arbeitsmarkt
Um zu verstehen, wieso die Situation so angespannt ist, müsse man sich näher mit dem Arbeitsmarkt befassen. Denn in Deutschland gebe es aktuell eigentlich mehr Beschäftigte denn je, erklärt Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Das Problem sei, dass die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden nicht so sehr gewachsen ist wie die Zahl der Beschäftigten.
Zwischen 2015 und 2022 habe sich die Zahl der Beschäftigten in Deutschland um 7,7 Prozent erhöht. Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ging derweil nur um 4,9 Prozent nach oben, sagt Bernd Fitzenberger.
Mehr Bedarf an Mitarbeitern, kürzere Arbeitszeiten
Das liegt zum einen daran, dass unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Wunsch nach Teilzeiterwerbstätigkeiten gestiegen sei. Insbesondere bei Frauen sei die Quote sehr hoch, so Fitzenberger. Viele Arbeitskräfte hätten ihre Arbeitszeit in den letzten Jahren verkürzt. Betriebe würden das mitmachen, aus Sorge, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sonst zu verlieren.
Hinzu komme, dass der Bedarf nach neuen Mitarbeitern oder Fachkräften in den letzten Jahren gestiegen sei, zum Beispiel in der Pflege. Weil es mehr alte Menschen gibt, werden mehr Pflegekräfte gebraucht. Wegen der Zuwanderung seien zum Beispiel mehr Stellen in der Kinderpflege und Erziehung zu besetzen.
"Wir haben nicht weniger Beschäftigte. Wir brauchen immer mehr." Bernd Fitzenberger
Ausnahme Gastronomie: Hier ist die Lage anders
Eine Ausnahme gebe es: die Gastronomie. In der Branche sei die Fluktuation des Personals generell sehr hoch. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen, zum Beispiel Studenten, ein paar Jahre kellnern und sich danach einen anderen Job suchen. Es kamen früher immer wieder neue nach. Seit der Pandemie gehe die Rechnung nicht mehr so gut auf wie zuvor, erklärt Fitzenberger.
"Es haben seitdem weniger Menschen neue Jobs in der Gastronomie begonnen – daher fehlt das Personal nun", so der IAB-Direktor. Das habe viele mögliche Gründe: Die Löhne in der Branche seien niedrig, die Arbeitszeiten unattraktiv.
Keine universelle Lösung – Viele Stellschrauben
Eine universelle Lösung für das Problem der Personalknappheit gebe es nicht. Es müsste an allen möglichen Stellschrauben gedreht werden, so Fitzenberger. Arbeitgeber müssten Angestellten Anreize geben, ihre Arbeitszeit zu erhöhen. Mitarbeiter müssten produktiver eingesetzt werden.
Auch die Investitionen der Unternehmen und des Staates seien zu gering. Die Infrastruktur hänge zurück, der Einsatz von neuer Technik gehe zu langsam voran. Weil die inländische Bevölkerung abnehme, seien wir in Deutschland auf Zuwanderung angewiesen, erklärt Fitzenberger. Wichtig sei dabei, dass die Politik diese Zuwanderung auch in Beschäftigung umsetze.
Zahl der Engpassberufe steigt stark
Aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit aus dem Juni zeigen: Die Zahl der Engpassberufe ist im vergangenen Jahr stark angestiegen. Demnach zeige die Fachkräfte-Engpassanalyse, dass in 200 der rund 1.200 bewerteten Berufen ein Engpass herrsche. Das sind 52 Berufe mehr als noch im Jahr 2021. In jedem sechsten Beruf würden demnach die Fachkräfte knapp.
Der Engpass bezieht sich auf alle Branchen: Von Pflegekräften und medizinischen Fachangestellten über Berufskraftfahrer oder IT-Fachpersonal hin zu Angestellten in der Hotel- und Gastronomiebranche oder im Handwerk – überall fehlt es an Fachkräften. Weitere 157 Berufsgattungen stehen nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit unter Beobachtung, könnten sich also zu Engpassberufen entwickeln. Dazu zählen zum Beispiel Berufe im Verkauf oder der Lagerwirtschaft.
Dieser Artikel ist erstmals am 25.11.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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