Wer zum Arzt geht, verlässt sich wohl meist darauf, die optimale Behandlung zu bekommen. Dahinter steht die Annahme, dass der Arzt oder die Ärztin des Vertrauens frei entscheiden kann, weil ihm oder ihr die Praxis gehört. Doch genau das ist oft nicht mehr der Fall. Praxen werden von Investoren aufgekauft, die in erster Linie eines im Blick haben: die Rendite.
Ärzte bemängeln fehlende Transparenz
"Wir sind ärztlich und unabhängig geführt" – mit dieser Botschaft möchte Prof. Mike Notohamiprodjo, geschäftsführender Gesellschafter von "Die Radiologie" verhindern, dass die Gemeinschaftspraxen mit einer investorengeführten Kette verwechselt werden: "Das Problem ist, dass man gar nicht sehen kann, wem eine Praxis eigentlich gehört, wer das wirtschaftliche Sagen hat, da es ja noch kein Transparenzregister gibt. Deswegen haben wir hier eine Eigeninitiative gestartet, um unsere Praxen zu kennzeichnen, dass wir ärztlich und unabhängig geführt sind. Frei von übergeordneten wirtschaftlichen Interessen eines möglichen Investors."
Investoren können Patienten-Behandlung beeinflussen
Ambulante Praxen sind für internationale Investoren ein krisensicheres Geschäft. Auch "Die Radiologie" hat schon mehrere Übernahmeangebote bekommen. Doch das Unternehmen will frei von Inverstoren-Interessen bleiben, medizinisch und wirtschaftlich eigenverantwortlich handeln. Denn wer das Geld bringt, stellt oft die Regeln auf.
Diese Erfahrung hat die Ärztin Vesna Jelic gemacht. Die BR-Redaktion mehr/wert und BR24 berichteten bereits im Frühjahr über diesen Fall. Jelic betreibt eine Zahnarztpraxis in München. Vor ihrem Schritt in die Eigenständigkeit war sie angestellte Zahnärztin in einer Praxis, in die sich ein Investor eingekauft hatte. Sie erzählt: "Es wurden Einsparungen gemacht. Es wurde entschieden, so wirtschaftlich wie möglich das Ganze zu gestalten. Wenn es sich um Materialien gehandelt hat, die im Mund von Patienten verwendet werden, da war es dann für mich zu viel des Guten und da habe ich dann auch nicht mehr mitgemacht."
Ziel von Spekulanten: Hohe Rendite durch Weiterverkäufe
Immer mehr sogenannte "Private-Equity-Gesellschaften" beschaffen ihr Geld über Fonds, die den Anlegern hohe Renditen versprechen. Mit dem so eingesammelten Geld kaufen sie Arztpraxen im ganzen Land und bauen diese zu konzernartigen Ketten aus. Ihr Ziel: ein gewinnbringender Weiterverkauf. Durch komplizierte Firmengeflechte werden Steuern niedrig gehalten oder gar nicht in Deutschland bezahlt. Im Visier der Spekulanten sind mittlerweile fast alle Facharzt-Richtungen.
Verändern Investments die Gesundheitsversorgung?
Die Frage, inwiefern der Einfluss von Investoren die Versorgung verändert, untersucht Richard Buzek seit Jahren. Er forscht an der der Universität Münster. Er sagt: "Mit Private Equity Investoren in der deutschen ambulanten Versorgung gehen auch neue Rendite-Vorstellungen einher, die die ambulante Versorgung so bisher noch nicht gesehen hat. Die Private Equity erzielt im Gesundheitswesen etwa zehn bis 15 Prozent Rendite."
Diese Rendite können sie laut Buzek häufig aus betriebswirtschaftlichen Optimierungen, also etwa Kosteneinsparungen, erzielen. Es werden aber auch Verträge mit den verkaufenden ärztlichen Behandlern abgeschlossen, die dann bestimmte Umsatzziele erreichen müssen.
Umsatzziele und Boni für Ärzte für teurere Behandlungen
Umsatzziele erreichen zu müssen, das wurde für einen Augenarzt aus Bayern zu einer großen Belastung. Er hat für eine Investorenkette gearbeitet und möchte unerkannt bleiben. Belege für seine Aussagen liegen der BR-Redaktion mehr/wert vor. Vor allem bei der Diagnose des Grauen Stars habe es Druck auf Ärzte gegeben: "Bei der Operation des grauen Stars werden Linsen eingesetzt, und es wurde massiv darauf gedrängt, höherwertige Linsen einzusetzen, um einen Mehrwert für die Firma dadurch zu generieren, beim mitunter zweifelhaften Mehrwert für den Patienten."
Dem Patienten fehlt in der Regel das medizinische Wissen, um beurteilen zu können, welche Linse für ihn die geeignetste ist. Er muss sich hier auf den Arzt verlassen. Bei teureren Linsen gab es Boni für den Arzt.
Doch nicht nur dafür, wie der Augenarzt weiter berichtet. "Es gab außerdem noch die Möglichkeit, einen Femto-Laser anzuraten. Das ist eine Methode, die den Operationsablauf unterstützt und auf das Endergebnis keinerlei Auswirkungen hat." Für Femto-Laser und hochpreisige Linsen muss der Patient bis zu 2.000 Euro selbst zuzahlen – pro Auge. "Für einen Arzt haben die Boni durchaus 8.000 bis 10.000 Euro brutto im Monat mehr ausgemacht, sodass die Motivation groß war, so vorzugehen." Der Augenarzt wollte das alles nicht mehr mitverantworten und kündigte. Dieser Schritt ist für viele Ärzte aber nicht leicht.
Investoren nicht nur in Arztpraxen
Sich selbständig zu machen, wird immer teurer. Investoren treiben den Preis für den Kauf von Praxen in die Höhe. Und nicht nur Arztpraxen sind im Visier internationaler Finanzjongleure, wie Buzek erläutert: "Wir haben es mit einer sogenannten Finanzialisierung weltweit zu tun. Das heißt, Altenpflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser werden von Investoren übernommen, um daraus Rendite zu erzielen."
In Deutschland gebe es bereits 90 Ketten, die in den Gesundheitssektor von Private Equity übernommen wurden. Davon seien mindestens 45 private-equity-geführte MVZ-Ketten. In sieben dieser Ketten arbeiten laut Buzek bereits mehr als 1.000 Beschäftigte.
Unterschiedliche Erfahrungen mit Investoren
Die Radiologie Dinkelsbühl zum Beispiel ist Teil eines Private-Equity-Invests einer großen internationalen Finanzgruppe. Auch wenn man es der Praxis von außen nicht ansieht, gehört sie zu einem großen Unternehmen: der Radiologie Gruppe RH Diagnostik und Therapie mit etwa 1.500 Mitarbeitern und Standorten in fünf Bundesländern. Mit viel fachlicher Kompetenz und einer großen Marktmacht. Wer genau die Geldgeber hinter dem Konstrukt sind, ist nicht bekannt.
Gegründet wurde die Dinkelsbühler Praxis vor 25 Jahren von Harry Tabler und zwei Kollegen. Vor drei Jahren haben sie die Praxis an Investoren verkauft. Tabler wurde vom Eigentümer zum Angestellten. Er sieht darin viele Vorteile. So könne er sich voll und ganz um die Gesundheit seiner Patienten kümmern. Alles Organisatorische werde ihm abgenommen. Doch ist der Arzt auch vor einer Einflussnahme des Investors geschützt? Er sagt: "Wir können weisungsfrei unserer Arbeit nachgehen. Wir entscheiden, wie wir unsere Untersuchungen durchführen, wie viele. Mit dem Investor reden wir darüber überhaupt nicht."
Kassenärztliche Vereinigung warnt vor Investoren
Was passiert, wenn investorengeführte Praxen nicht genug Rendite erwirtschaften? Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat hier große Befürchtungen: "Wenn diese Zitrone ausgepresst ist und dann die Investoren sagen: 'Jetzt haben wir genug, wir kriegen woanders mehr für unser Investment.' Dann ziehen sie sich zurück", erklärt Peter Heinz von der KVB. Das wiederum könne zu "Versorgungsruinen" führen, die im schlimmsten Fall mit Steuergeldern oder mit Geldern aus der Kassenärztlichen Vereinigung gerettet werden müssten, so Heinz.
Im Moment allerdings nimmt die Marktbeherrschung von Investoren zu. In einigen Regionen haben sie bereits eine monopolartige Stellung. Eine unabhängige Zweitmeinung einzuholen wird dort immer schwieriger. Und bestimmte Patienten könnten durchs Raster fallen, wie Peter Heinz erläutert. So bestehe die Gefahr, dass etwa chronisch erkrankte Patienten, die sich nicht mehr zu lukrativen Untersuchungen oder Behandlungen eignen, keine adäquate Versorgung mehr finden.
Ärzte und Investoren mit verschiedenen Zielen
Auch niedergelassene Ärzte sind nicht frei von wirtschaftlichen Zwängen. Sie müssen ihr Personal bezahlen, in Praxen und Geräte investieren. Doch das Ziel sei ein anderes, erklärt Prof. Notohamiprodjo von "Die Radiologie": "Letzen Endes haben wir aber ein langfristiges, nachhaltiges Ziel. Wir wollen nicht kurzfristig den Gewinn steigern und weiterverkaufen, sondern langfristig die Patientenversorgung sichern."
Geplantes Gesetz des Gesundheitsministers fehlt noch
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verspricht schon seit längerem einen Gesetzesentwurf, der den Aufkauf von Praxen durch "Heuschrecken", wie er die Investoren nannte, unterbindet. Bis heute liegt allerdings noch kein Entwurf vor. Patienten sollten frei entscheiden können, wem sie sich anvertrauen und welche wirtschaftlichen Interessen möglicherweise dahinterstehen. Und dafür braucht es Transparenz.
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