Zum unfreiwilligen Abschied gab es noch ein dickes Lob vom Chef. "Hervorragende Arbeit" hätten die scheidenden Kabinettsmitglieder geleistet, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Mittwoch im Landtag. Michael Piazolo (Freie Wähler) gehöre "zu den ganz starken Kultusministern in der bayerischen Geschichte" und habe seine schwierige Herausforderung mit großer Gelassenheit gemeistert. Melanie Huml (CSU) habe in 16 Dienstjahren im Gesundheits- und im Europaministerium "unzählige Aufbauleistungen" vollbracht und "Überragendes geleistet".
Söders Lobesworte haben aber einen entscheidenden Makel: Diese Leistungen bewahrten die beiden nicht vor dem Rauswurf aus dem Kabinett. Der Ministerpräsident sprach bei der Vereidigung seines neuen Kabinetts von schwierigen Abwägungsprozessen. "Die einen freuen sich, manche sind enttäuscht, andere schmerzt es auch."
Wie immer nach solchen Personalpuzzles stellen sich Fragen: Wer musste warum gehen? Und welche Kriterien sind bei der Auswahl von Ministern und Staatssekretären entscheidend? Ein Überblick.
Huml: Schon in der Corona-Krise angezählt
Die Entscheidung, Europaministerin Melanie Huml (CSU) nicht mehr in die Staatsregierung zu berufen, ist Ministerpräsident Söder nach eigenem Bekunden schwergefallen. Er kenne sie seit seinen Zeiten in der Jungen Union, 16 Jahre lang hätten sie zusammen im Kabinett gesessen, schilderte Söder am Mittwochabend im BR24-Interview. Aus heiterem Himmel kam die Entscheidung für Beobachter trotzdem nicht: Huml zählte zu den wenigen CSU-Ministern und -Ministerinnen, denen Söder im Landtagswahlkampf keine öffentliche Jobgarantie gegeben hatte.
Andererseits stand der Ministerpräsident auch dann zu Huml, als sie besonders unter Beschuss war: Im Sommer 2020 galt sie – damals noch Gesundheitsministerin – wegen der Corona-Testpannen als angezählt. Huml bot ihren Rücktritt an und blieb dennoch im Amt. Durch die Pandemie war das bis dahin wenig beachtete Ministerium für Gesundheit und Pflege stark in den öffentlichen Fokus gerückt, musste sich plötzlich um Masken, Tests und Hygienekonzepte kümmern und war für die ständig wechselnden Corona-Regeln verantwortlich.
Dass Söder mit Humls Krisenmanagement nicht glücklich war, zeigte sich, als er die Medizinerin zur Europaministerin machte, um an der Spitze des Gesundheitsressorts Platz für Klaus Holetschek zu schaffen. Auch Holetschek sitzt jetzt nicht mehr im bayerischen Kabinett. Allerdings freiwillig, weil er an die Spitze der CSU-Landtagsfraktion aufrückte.
Söder: "Akzente der Erneuerung"
Der Staatsregierung gehörte Huml schon seit 2007 an. Sie war zunächst Sozial- und dann Gesundheitsstaatssekretärin, bevor sie 2013 Gesundheitsministerin wurde. Damit war Huml ein Drittel ihrer bisherigen Lebenszeit Regierungsmitglied in Bayern.
Am Dienstag begleitete die 48-Jährige als Vertreterin der Staatsregierung noch den norwegischen Kronprinzen Haakon durch die Münchner Innenstadt, am Mittwoch musste sie zusehen, wie an ihrer Stelle Eric Beißwenger (CSU) vereidigt wurde. Vor dem Rauswurf bewahrte sie weder die Tatsache, dass sie die einzige CSU-Vertreterin aus Oberfranken im Kabinett war – und der Regionalproporz ist für die CSU sehr wichtig – noch der geringe Frauenanteil in der Regierungsmannschaft.
Söder lieferte im BR24-Interview eine Begründung für seine Entscheidung: "Ich glaube, dass es in der Gesamtaufstellung notwendig war, auch Akzente der Erneuerung zu setzen, insbesondere in der Europapolitik." Die Bayern wünschten sich eine "noch stärkere, etwas kantigere Vertretung" in Brüssel – es brauche jemanden, der ein "bisschen mit mehr Schwung in der Europapolitik auftritt". Welche Auswirkung der Abschied auf die weitere politische Karriere der 48-jährigen Huml haben wird, bleibt abzuwarten. Bei der Landtagswahl im Oktober verteidigte sie ihr Direktmandat in Bamberg-Stadt, zwei Wochen zuvor wurde sie erneut zur stellvertretenden CSU-Vorsitzenden gewählt.
Piazolo: Corona und Ukraine-Krieg im Fokus
Michael Piazolo galt lange als Verbindung der Freien Wähler in ein Milieu, zu dem sie sonst wenig Anknüpfungspunkte haben. Der 64-Jährige ist Hochschulprofessor, lebt seit langem in München, ein Städter. Dass er vor fünf Jahren vom Generalsekretär zum Kultusminister wurde, war keine Überraschung. Allerdings wollten die Freien Wähler damals Stadt und Land noch gleichermaßen bedienen, sogar von Versöhnen war die Rede. Im jüngsten Wahlkampf setzte Aiwanger dagegen gezielt auf Großstadt-Bashing nach dem Motto "Die vernünftige Landbevölkerung gegen die woken Städter".
Zwei große Schocks von außen dominierten Piazolos Ministerjahre: die Corona-Pandemie und die Folgen des Ukraine-Kriegs. Seine Bilanz in beiden Bereichen hängt davon ab, wen man fragt. Klar ist: Wechsel- und Distanzunterricht organisieren, tausende ukrainische Kinder in die Schulen bringen – das sind Managementaufgaben, bei denen man nicht viel gewinnen, aber viel verlieren kann.
Kritik an Piazolo gab es während seiner Amtszeit reichlich, vor allem auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie. Besonders seine Kommunikation stand in der Kritik, lange Schachtelsätze, nicht immer sofort zu verstehen. Kritische Töne gab es unter der Hand immer wieder auch innerhalb der Freien Wähler. Andere lobten dagegen Piazolos ruhige Art, als wohltuend in der aufgeregten Schulwelt. Bis zuletzt gingen viele Beobachter davon aus, dass Piazolo Minister bleiben würde – auch wenn sein Reformeifer trotz gewaltiger Aufgaben (Lehrermangel, Digitalisierung) überschaubar blieb.
Aiwangers Überlegungen – und die Folgen für Piazolo
Dass es anders kam, dürfte nicht nur an Piazolos durchwachsener Bilanz im speziellen und eher reformskeptischen Kultusministerium liegen. Sondern auch an grundsätzlichen Überlegungen seines Parteichefs. Aiwanger wollte unbedingt ein viertes Ministerium. Um das zu kriegen, musste er in den Verhandlungen mit Söder den Staatssekretärsposten im Kultusministerium opfern. Aus zwei Kabinettsposten im Kultusressort wurde also einer.
Dazu kommt: Aiwanger hat offenkundig eingesehen, dass zumindest eine Frau in ihrer Ministerriege selbst für die quotenskeptischen und männerdominierten Freien Wähler zeitgemäß wäre. Naheliegend, statt dem 64-jährigen Minister die 41-jährige Staatssekretärin Anna Stolz zu nehmen, die bereits bestens eingearbeitet ist. Aiwanger deutete im BR-Interview zuletzt an, dass zudem ein Generationenwechsel eine Rolle gespielt habe.
Sogar Piazolos ausgleichende und anständige Art könnte sein Schicksal mitbesiegelt haben: Aiwanger musste nicht davon ausgehen, mit Piazolo als Ex-Minister einen Stinkstiefel und Quertreiber in der eigenen Landtagsfraktion zu produzieren. Während Humls Ausscheiden aus dem Kabinett erst am Mittwoch bekannt wurde, war schon seit rund zwei Wochen klar, dass die Freien Wähler Piazolo nicht mehr als Minister nominieren würden. Stattdessen ist der 64-Jährige jetzt einfacher Abgeordneter. Ob er einen Ausschuss-Vorsitz anstrebt und kriegen könnte, ist bisher unklar.
Weigert wollte zum Minister aufsteigen
Das gilt auch für einen anderen Politiker der Freien Wähler: Roland Weigert. Der 55-Jährige war zuletzt Staatssekretär in Aiwangers Wirtschaftsministerium. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erklärte er kurz nach der Landtagswahl, dieses Amt nicht weiter ausüben zu wollen. Zu unterschiedlich seien die Arbeitsweisen: "Er arbeitet eher als Solospieler, ich bin mehr der Mannschaftstyp." Im gleichen Interview bewarb sich Weigert als Minister.
Daraus wurde aber jetzt nichts, seine Kritik am Parteichef wurde nicht mit einem Kabinettsjob belohnt. Am fehlenden Wählerzuspruch dürfte Weigerts Aus nicht hängen: Weigert holte bei der Landtagswahl neben Aiwanger das zweite Direktmandat der Freien Wähler in Bayern.
Nach welchen Kriterien entscheiden Söder und Aiwanger?
Warum darf ein Großteil der bisherigen Ministerriege bleiben, während Huml und Piazolo gehen mussten? Welche Kriterien gibt es für die Vergabe von Kabinettsposten? Offiziell ist es alleinige Entscheidung des Ministerpräsidenten, wen er in sein Kabinett beruft, wobei der Landtag das absegnen muss. In der Realität aber bestimmte Söder die Posten auf CSU-Seite, Aiwanger die FW-Kabinettsmitglieder. "Unser Personal entscheiden wir vollkommen selbst", betonte Aiwanger kürzlich im BR-Interview.
Söder schilderte am Mittwoch, die Gründe für seine Entscheidungen seien vielfältig. Erstens gehe es bei Kabinettsmitgliedern um ihre Leistung, das Wahlergebnis sowie den Rückhalt in Fraktion und Partei. Zweitens um Stabilität, aber auch um Entwicklung: "Manch einer braucht auch weitere Zeit, um sich als politisches Schwergewicht auf Dauer zu etablieren." Und drittens gehe es gerade zu Beginn einer Legislaturperiode um "Perspektive".
Ganz besonders wichtig ist für Söder nach eigenem Bekunden zudem der Regionalproporz, also die Berücksichtigung aller bayerischen Regionen im Kabinett. Während der Frauenanteil in der Staatsregierung nochmal gesunken ist (4 Frauen, 14 Männer), sind weiterhin alle Regierungsbezirke mit Ministern oder Staatssekretären vertreten. Nachdem mit Holetschek ein Schwabe nicht mehr im Kabinett sitzt, rückte mit Europaminister Eric Beißwenger ein Schwabe nach. Für ihn musste die Oberfränkin Huml weichen - dafür wurde mit Martin Schöffel ein Oberfranke Finanzstaatssekretär.
"Darüber mögen Sie selber spekulieren"
Aiwanger zeigte sich da weniger auskunftsfreudig als Söder. In einer Pressekonferenz erklärte der Freie-Wähler-Chef jüngst auf Nachfrage nicht, nach welchen Kriterien er die FW-Minister bestimmt hat: "Über Personal und Gründe, warum wer was – darüber mögen Sie selber spekulieren."
Im Video: Bayerisches Kabinett - Vereidigung der Ministerinnen und Minister
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