Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun dürfte diesen Prozesstag nicht in bester Erinnerung behalten. Bevor sein ehemaliger Fahrer und Personenschützer Roy M. am frühen Nachmittag aussagen soll, nahm am Morgen Marius K. auf dem Zeugenstuhl Platz. Der 31-Jährige arbeitete von Oktober 2017 bis September 2020 für den Aschheimer Zahlungsdienstleister.
Trotzdem konnte K. detailliert Vorgänge schildern, die in dem seit Anfang Dezember 2022 am Münchener Landgericht laufenden Prozess gegen Markus Braun, Oliver Bellenhaus, einst Wirecard-Statthalter in Dubai, und den ehemaligen Chefbuchhalter Stephan von Erffa so noch nicht zu hören waren. Im Zentrum: das sogenannte "TPA-Geschäft" und somit der Kern der Vorwürfe im Zuge der Pleite des Ex-Dax-Konzerns im Juni 2020. "TPA-Geschäft" meint das Geschäft von Wirecard mit ausländischen Drittpartnern - Firmen, die der Zahlungsdienstleister nach offizieller Darstellung zum Beispiel für Online-Geschäfte in Asien wegen dort fehlender Lizenzen gebraucht hat.
Zeuge schildert, wie TPA-Zahlen nach Belieben passend gemacht wurden
Das TPA-Geschäft, oder Drittpartnergeschäft, stand dann auch im Mittelpunkt der gut dreistündigen Vernehmung von Marius K., dem ehemaligen Wirecard-Controller. Zunächst schilderte er, dass es bei der Erstellung von Quartals- und Jahresabschlussberichten des Konzerns vor allem bei den Zahlen rund um dieses Drittpartnergeschäft ein ständiges "Hin und Her" gegeben habe: "Wir hatten schon oft das Gefühl, dass mit dem TPA-Geschäft das Gesamt-Geschäft gesteuert wurde." Diese Zahlen seien immer am Ende geliefert worden, meist über Oliver Bellenhaus. Weitere Details, zum Beispiel zu den Online-Händlern, habe seine Abteilung nicht bekommen, obwohl sie sich darum bemüht habe.
Diese Zahlen hätten "immer insoweit gepasst, dass Lücken gefüllt wurden. Das war sehr ungewöhnlich", sagte der Zeuge. Schließlich seien die Angaben oft kurzfristig und signifikant geändert worden. Explizit erwähnte K. dabei die wichtige Rolle, die die Wirecard-Führung und speziell Ex-Vorstandschef Markus Braun dabei gespielt habe.
Bilanz-Lücken stopfen mit "Marsalek-Projekten"?
Vor dem Aufstieg in den DAX im September 2018 etwa hatte sich Wirecard in der Öffentlichkeit als Konzern mit stetigem Umsatz- und Gewinnwachstum dargestellt. Die Rolle, die das TPA-Geschäft dabei gespielt habe, sei dabei immer größer und wichtiger geworden. "Ohne das TPA-Geschäft war Wirecard fast nicht profitabel", sagte K. deswegen.
Zudem erzählte der ehemalige Controller, dass die Konzern-Bilanzen nach seiner Erinnerung mehrfach mit sogenannten "Marsalek-Projekten" aufgehübscht worden seien. Dabei habe es sich beispielsweise um Erträge aus Verkäufen von Wirecard-Software an Geschäfts-Partner gehandelt. "Ich weiß gar nicht, welche Software Wirecard hätte verkaufen können?" Diese Frage stellte der Zeuge in den Raum. Auf Nachfrage von Richter Markus Födisch bestätigte er dessen Eindruck, wonach Lücken in der Wirecard-Bilanz mit Einnahmen aus diesen Projekten gestopft werden sollten. Dass dahinter wohl frei erfundene Geschäfte steckten, war dem Zeugen nicht bewusst.
Der Insolvenzverwalter und die Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass Wirecards Drittpartnergeschäft über Jahre grundsätzlich frei erfunden war, um den Zahlungsdienstleister in der Öffentlichkeit deutlich profitabler erscheinen zu lassen. Markus Braun, unter anderem angeklagt wegen Falschdarstellung und bandenmäßigen Betrugs, hat während des Gerichtsprozesses wiederholt betont, eine Gruppe rund um den flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und den Mit-Angeklagten, Oliver Bellenhaus (Ex-Wirecard-Statthalter in Dubai) habe Wirecard zustehende Einnahmen aus diesem Geschäft ohne sein Wissen veruntreut und auf Auslandskonten geschleust.
Ex-Braun-Fahrer: 170.000 Euro Verlust mit Wirecard-Aktien
Im Anschluss an den ersten Zeugen des Tages vernahm das Landgericht München Brauns früheren Fahrer und Personenschützer Roy M. – der seinem Ex-Chef unter anderem wegen eigener hoher finanzieller Verluste schwere Vorwürfe machte. Aufgrund der Wirecard-Insolvenz und durch den Total-Verlust seiner Aktien habe er 170.000 Euro in den Sand gesetzt.
"Du bist pleite", schilderte M. seinen ersten Gedanken nach dem Kollaps des Aschheimer Zahungsdienstleisters. Was Brauns Rolle im Konzern angeht, habe er den Eindruck gehabt, Braun sei quasi Wirecard. Letztendlich habe der ehemalige Vortsandschef im Unternehmen stets das letzte Wort gehabt.
Fast zwei Jahre Prozess und kein Urteil in Sicht
Braun, der Ex-Wirecard-Statthalter in Dubai, Oliver Bellenhaus und der frühere Chefbuchhalter Stephan von Erffa sind unter anderem wegen bandenmäßigen Betrugs und Falschdarstellung angeklagt. Ein Urteil in dem seit bald zwei Jahren laufenden Verfahren ist nicht absehbar.
Wirecard war im Juni 2020 kollabiert, nachdem dem Konzern zustehende Gelder in Höhe von 1,9 Milliarden Euro auf philippinischen Treuhandkonten nicht auffindbar waren. Wann mit einem Urteil im Prozess am Münchener Landgericht zu rechnen ist, steht nicht fest.
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