In Italien gibt es sie bereits, ebenso in Frankreich, Spanien, Belgien und Österreich. Und auch in Deutschland könnte es bald eine Ausgangssperre geben, bei der die Menschen ihre Wohnung nur noch in Ausnahmefällen verlassen dürfen. Rein theoretisch wäre sie aktuell jederzeit durchsetzbar. "Ausgangssperren könnte man auf Paragraf 28 im Infektionsschutzgesetz stützen", sagt der Staatsrechtler Stephan Brixen von der Universität Bayreuth dazu. "Da das Robert Koch-Institut die Gefährdungslage mittlerweile als hoch einschätzt, wäre das begründbar". Obwohl die beiden Unionspolitiker und Ministerpräsidenten Markus Söder und Armin Laschet die Verhängung einer Ausgangssperre nicht ausgeschlossen haben, halten sie die meisten Virologen in Deutschland nicht für notwendig.
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Eindämmung des Virus - die entscheidenden Maßnahmen
Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, sollten soziale Kontakte so weit wie möglich eingeschränkt werden, das betonen Experten immer wieder. Um Risikopatienten wie Ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen zu schützen, sollten selbst Jüngere sich einschränken, bekräftigt Lothar Wieler, Leiter des Robert Koch Instituts (RKI). Er hält daher die Schließungen von Clubs und Bars für eine "sinnvolle Maßnahme". Aber heißt das auch, dass unter Umständen eine Ausgangssperre verhängt werden muss?
Theoretisch würden die aktuellen Maßnahmen mit geschlossenen Schulen, Bars und Geschäften auch ausreichen, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und einzudämmen, sagt der Epidemiologe Timo Ulrichs von der privaten Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin. Entscheidend sei aber, dass die Menschen auch wirklich auf den persönlichen Kontakt zu ihren Freunden verzichten, sagt Ulrichs. Eine komplette Ausganssperre hätte laut Ulrichs dann nur noch einen minimalen Zusatzeffekt:
„Es ist ja so, dass bereits jetzt die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert sind. Wenn sich jeder im täglichen Leben daran hält, was ja an sich schon ein Ausnahmezustand ist, dann müsste es auch gut funktionieren und wir müssten diese Effekte auch bald sehen.“ Timo Ulrichs, Akkon Hochschule für Humanwissenschaften
Coronavirus, die Maßnahmen und der Blick nach Südkorea
Auch Michael Hölscher, Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin an der LMU München, hält Ausgangssperren nicht für notwendig, wenn jetzt jeder seinen Teil dazu beiträgt. Ob die Maßnahmen etwas brächten, sähen wir aber erst in einigen Wochen, sagt er. Zunächst würden die Fallzahlen weiter steigen, da es dauere, bis die Krankheit ausbricht.
„Man erkennt ganz gut den Verlauf der Maßnahmen, wenn man nach Südkorea schaut. Die haben ja vor ungefähr vier Wochen die Maßnahmen, die wir jetzt hier haben, eingeleitet und nach etwa drei bis vier Wochen ist der Effekt eingetreten, dass sich die Infektionszahlen dramatisch verringert haben.“ Michael Hölscher, Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin, LMU München
Corona-Pandemie: Salzberger warnt vor italienischen Verhältnissen
Nur Bernhard Salzberger, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und Infektiologe an der Uniklinik Regensburg, ist der Meinung, dass Italien und Frankreich mit der Ausgangssperre die richtige Entscheidung getroffen haben:
"Dort ist die Epidemie schon weiter als bei uns, aber auch wir haben weitergehende Maßnahmen gefordert, auch an die Politik gerichtet. Auch wir müssen konsequenter das Zusammenkommen von Menschen verringern, sonst werden wir in italienische Probleme kommen.“ Bernhard Salzberger, Infektiologe, Uniklinik Regensburg
Kekulé: "Keine medizinische Indikation" für Ausgangssperren
Erst am Sonntag hatte sich Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, vehement gegen eine Ausgangssperre ausgesprochen: "Aus Sicht der Epidemiologie gibt es dafür, dass man nicht mehr raus darf an die frische Luft, kein Argument." Die ganze Republik in die Bude einzusperren, dafür gebe es keine medizinische Indikation, sagte er in der ARD-Sendung "Anne Will". Er hält Ausgangssperren sogar für "falsch" und "kontraproduktiv." Das Virus könne in Räumen ein, zwei, vielleicht drei Meter weit fliegen. Aber ein Spaziergang im Freien sei überhaupt kein Problem - solange man nicht gleich eine Versammlung mit mehreren Menschen abhalte. Oder Kinder, die sonst in der Kita oder im Kindergarten zusammen waren, jetzt auf dem Spielplatz zusammenstecke. Außerdem gibt er zu bedenken: "Wenn wir Menschen dauerhaft zu Hause einsperren, ist es wahnsinnig schwierig, das psychologisch auszuhalten”.
Drosten: Coronavirus fällt schnell zu Boden
Auch Christian Drosten, Chef-Virologe an der Charité in Berlin, empfiehlt in seinem NDR-Podcast zum Coronavirus den Gang an die frische Luft und spricht sich damit indirekt gegen eine Ausgangssperre aus: "Wenn man die Wahl hat bei Freizeitaktivitäten mit Freunden oder Familie, ist es eine sehr gute Idee, jetzt ins Freie zu gehen”. Laut Drosten zirkuliere das Virus nach derzeitigen Erkenntnissen nur wenige Minuten und falle dann relativ schnell zu Boden. “Es ist also nicht so, dass wenn man sich beim Spazierengehen begegnet, sofort infiziert”, sagt Drosten.
Virologen raten: Abstand halten und Maßnahmen befolgen
Trotzdem raten alle Virologen einstimmig, Abstand zu halten. Ob wir uns wirklich an die verhängten Maßnahmen halten und weniger unterwegs sind, das will das RKI über anonymisierte Handydaten herausfinden. Mit den Daten der Telekom können Bewegungen nachvollzogen werden. Wenn diese zurückgehen und in den nächsten zwei bis drei Wochen die Neuinfektionen sinken, haben die bisherigen Einschränkungen zur Eindämmung des Virus ausgereicht.