Beschimpfungen wie "Ökofaschisten" und "Vulgär-Marximus" zeigen: Das ARD-Magazin Panorama vom 12. Januar hat Aufmerksamkeit erregt. Im Fokus der Sendung stand der CO2-Fußabdruck der Reichen und Superreichen in Deutschland und damit einhergehend die Frage danach, wie Klimagerechtigkeit hergestellt werden könnte.
- Klimadebatte: Wie gerecht wäre ein CO2-Budget?
Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) machte in der Sendung den Vorschlag, eine Art privaten Emissionshandel einzuführen: "Jeder Mensch kriegt drei Tonnen CO2 pro Jahr, aber wer mehr braucht, muss es sich eben einkaufen," schlug Schellnhuber vor. Aber: Ginge das überhaupt? Und wenn, wie?
Warum ein Pro-Kopf-Budget von drei Tonnen CO2 im Jahr?
Ziel einer solchen CO2-Budgetierung wäre es, das große internationale Klimaziel zu erreichen: Die Erwärmung der Erde soll sich auf höchstens zwei Grad über vorindustriellem Niveau beschränken, nicht mehr. Um das zu erreichen, dürfen nach dem Bericht des Weltklimarates IPCC von 2021 bis ins Jahr 2050 insgesamt nur noch 730 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden.
Das entspricht - die wachsende Weltbevölkerung einkalkuliert – etwa drei Tonnen Kohlendioxid (bzw. andere Treibhausgase in CO2-Äquivalente umgerechnet) pro Person und Jahr.
Und wie hoch wäre das Pro-Kopf-Budget nach 2050?
Im Paris-Protokoll haben sich die Staaten der Weltgemeinschaft darauf geeinigt, dass sie ab der Jahrhundertmitte klimaneutral sein wollen. Das heißt: Dann dürfen nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gelassen werden, als auf natürlichem Wege wieder verschwinden oder entnommen werden können. Das Pro-Kopf-CO2-Budget wäre dann bei null Tonnen CO2-Äquivalenten pro Person und Jahr. Gemeint sind Netto-Emissionen.
Vereinfacht ausgedrückt: Auch nach 2050 werden Menschen noch wohnen und heizen müssen und auch Strom benötigen. Wer sparsam ist und in einer kleineren Wohnung lebt, müsste ab 2050 pro Jahr umgerechnet "nur" vier Bäume pro Jahr pflanzen, um bei seinen Netto-Emissionen auf Null zu kommen.
Das dürfte so aber kaum umsetzbar sein. Dennoch müssen die derzeitigen CO2-Emissionen sinken, um die globale Erwärmung nicht noch mehr anzufachen.
Wie hoch ist unser tatsächlicher Pro-Kopf-CO2-Ausstoß?
Weltweit liegen die Treibhausgasemissionen derzeit bei rund vierzig Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr. Bei einer Weltbevölkerung von acht Milliarden Menschen ergibt sich ein CO2-Ausstoß von fünf Tonnen pro Kopf und Jahr. Global gesehen, denn die Höhe unterscheidet sich von Land zu Land stark.
In Deutschland ist der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß etwa doppelt so hoch, zehn Tonnen jährlich pro Person summieren sich auf rund 870 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr für ganz Deutschland. Damit sind wir sogar deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 6,3 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Die USA, Kanada, Saudi-Arabien und Katar haben noch vielfach höhere Emissionen.
Diese Zahlen sind im Einzelfall mit Vorsicht zu genießen: Beim Pro-Kopf-Ausstoß führt beispielsweise der Inselstaat Palau mit 65 Tonnen CO2 das internationale Ranking mit weitem Abstand an. Rund 140.000 Touristen im Jahr verzerren mit Flügen, Rundfahrten und Bootstouren die Statistik stark, denn Palau hat weniger als 18.000 Einwohner. Auch sind je nach Rechenmethode bei diesen Ländervergleichen manchmal die Importe herausgerechnet, also die Konsumgüter, die wir verbrauchen, aber anderswo erzeugt werden.
Es gibt auch Staaten, deren Pro-Kopf-Emissionen unter drei Tonnen Treibhausgasen pro Jahr liegen, in einigen Fällen sogar unter einer Tonne. Diese Staaten liegen vor allem auf der Südhalbkugel, oft in Afrika. Achtzig Prozent der weltweiten CO2-Emissionen werden von den G20-Staaten verursacht. Das World Inequality Lab (WIL) veröffentlicht regelmäßig Studien zu globaler Klimagerechtigkeit.
Schlechte CO2-Bilanz von Reichtum
Auch innerhalb eines Landes ist der Ausstoß an Treibhausgasen sehr ungleich verteilt. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen verantworten laut einer Oxfam-Studie von 2020 zusammen 26 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland. Im Durchschnitt liegt der jährliche CO2-Ausstoß dieser zehn Prozent pro Kopf bei dreißig Tonnen CO2-Äquivalenten. Das ist das Zehnfache des von Schellnhuber vorgeschlagenen Budgets.
Weltweit gesehen ist das Missverhältnis noch größer: Eine im Fachmagazin nature im September 2022 veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung fast die Hälfte der Kohlendioxidemissionen verursachen, während die ärmere Hälfte der Menschheit nur zwölf Prozent des globalen Ausstoßes verantwortet. Zudem stiegen die durchschnittlichen Emissionen Superreicher in den vergangenen Jahren rapide an.
"In den letzten Jahren hat man eben gesehen, dass eine wichtige Dimension [...] des Reichtums tatsächlich die Klimaschädlichkeit ist," spitzte es der Klimaforscher Schellnhuber im ARD-Magazin Panorama zu. Passend dazu präsentierte die Sendung einige Superreiche, die mit teuren Autos, Yachten oder Privatjets unterwegs waren und von Verzicht nichts hören wollten.
Budget-Ausgleich für die Ärmeren - eine gute Idee?
Als Kontrast dazu diente der Panorama-Sendung eine Kleinfamilie der unteren Mittelschicht. Sie hat schon aufgrund finanzieller Einschränkungen eine für Deutschland unterdurchschnittliche CO2-Bilanz, weil sie beispielsweise Urlaubsreisen und Autofahrten stark beschränken muss. Trotzdem liegt das CO2-Pro-Kopf-Budget dieser Familie bei knapp sieben Tonnen jährlich. Hauptursache der Emissionen: die Beheizung einer alten, schlecht isolierten Wohnung. Eine klimafreundliche Sanierung können sich ihre Bewohner aber nicht leisten, denn die ist teuer.
Naheliegender Gedanke: Wie wäre es, wenn luxuriöse Flüge im Privatjet über eine CO2-Bepreisung die klimagerechte Sanierung alter Häuser finanzieren? Könnte das für sinkende Emissionen sorgen?
Wer zahlt wie viel an wen, wenn das CO2-Pro-Kopf-Budget überzogen wird?
Weitere Fragen bei einem Pro-Kopf-CO2-Budgets wären: Wer setzt die Höhe des CO2-Pro-Kopf-Budgets fest? Bleibt es bei drei Tonnen jährlich? Oder muss das Budget immer wieder angepasst werden, wenn der weltweite CO2-Ausstoß nicht wie geplant abnimmt? Wie viel kostet jede zusätzliche Tonne CO2 und wer legt den Preis fest? Für einen Flug nach Los Angeles und zurück müsste man beispielsweise rund zehn Tonnen CO2-Ausstoß "einkaufen".
Handel mit privaten Emissions-Zertifikaten?
Aus dem Handel mit Emissionszertifikaten, den die Politik als wesentliches Mittel zur Senkung des CO2-Ausstoßes sieht, hat man inzwischen gelernt: Einfach nur zahlen müssen senkt noch keine Treibhausgasemissionen, sondern schafft in erster Linie einen Zertifikatehandel. Damit durch diesen Handel der tatsächliche CO2-Ausstoß sinkt, müssen die Zertifikate knapp sein - und teuer.
- Zum Artikel: CO2-Ausstoß: Europäische Union einigt sich auf strengeren Emissionshandel
Damit die von Schellnhuber angeregten privaten Emissionszertifikate wirksam sind, müssten sie also auch teuer sein. Ist die Fernreise mit dem Flugzeug dann nur noch Eliten vorbehalten? Vermutlich, so wie die Reise mit der Luxusyacht auch. Ist das klimagerecht?
Klimagerecht, aber auch sozial?
Nachdem niemand bereit ist, CO2-intensiven Konsum zu verbieten, wäre der Kompromiss laut Schellnhuber, "dass ich mit meinem Eigentum mir die Freiheit kaufe, mehr CO2 auszustoßen. Aber ich muss es eben bezahlen, ich darf es nicht unentgeltlich bekommen."
"Ärmere Schichten der Bevölkerung verkaufen, weil sie’s eh nicht so brauchen, einen Teil [ihres CO2-Budgets und] können sich ein bisschen was dazuverdienen. Und dann muss eben ein Milliardär sich hundert Tonnen pro Jahr dazukaufen." Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber in der Sendung "Panorama" vom 12. Januar 2023
Carsten Warnecke vom New Climate Institut hält das CO2-Pro-Kopf-Budget für "eine charmante Idee". Er glaubt, dass ein solches Budget auch einen "sportlichen Ehrgeiz" wecken könnte, möglichst viel einzusparen. Allerdings nur für die, die sich das auch leisten können.
Bevölkerungsschichten mit niedrigerem Einkommen hätten aber gar keinen Spielraum und kämen mit dem Pro-Kopf-Budget auch vermutlich nicht hin: "Sie haben natürlich nicht das Problem, dass sie das für Flugreisen brauchen. Aber sie wohnen eventuell in sehr schlecht isolierten Häusern, haben gar keinen Einfluss darauf, welche Energieträger da genutzt werden, können aber auch nicht umziehen. Und sie wohnen vielleicht im ländlichen Raum, wo es tatsächlich einfach keine Alternative zum Auto gibt. Dann ist das Budget einfach schnell verbraucht. Und dann weiß keiner: Was passiert dann?"
Knackpunkt: Wer kontrolliert den Verbrauch?
Könnten die Kosten für zusätzliches CO2-Budget auch einkommensabhängig sein? Muss erst gezahlt werden, wenn das Jahres-Budget aufgebraucht ist? Ist neben der Steuererklärung auch eine CO2-Erklärung notwendig? Kontrolliert jemand den Kleiderschrank, wie viele Fast Fashion-T-Shirts im jemand im laufenden Jahr gekauft hat?
Oder wird die CO2-Last bei den Konsumgütern selbst eingepreist? Kostet der Liter Milch zukünftig fünfzig CO2-Cent mehr, weil bei der Viehhaltung viel Treibhausgase freigesetzt werden? Eine solche CO2-Abgabe auf emissionsstarke Produkte würde deren Konsum vermutlich senken. Aber kostet der Liter Milch dadurch dann auch in Afrika mehr? Dann würden im Verhältnis zu ihrem Einkommen gerade die viel mehr zahlen, die derzeit besonders wenig Treibhausgase verursachen.
Globale Klimagerechtigkeit noch gar nicht mitgerechnet
Könnte sich hier in Deutschland irgendwer etwas dazuverdienen, indem er Anteile seines CO2-Pro-Kopf-Budgets an Millionäre verkauft? So klingt es bei Schellnhuber.
Nein. Nicht, wenn das Budget der tatsächlichen Senkung der weltweiten Treibhausgas-Emissionen dienen soll. Nicht, wenn es bei drei Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr und Kopf liegt. Einen guten Teil davon verbraucht jeder Einzelne allein schon für die Heizung. Lebensmittel, Kleidung, das Smartphone und ein neues Fahrrad sind da noch gar nicht eingerechnet. Die sparsame Beispielfamilie der Panorama-Sendung müsste pro Jahr vier Tonnen CO2-Ausstoß zukaufen. Alle Menschen in Deutschland müssten also zahlen, und zwar an Menschen in den Ländern mit sehr niedriger Pro-Kopf-CO2-Emission.
Das CO2-Pro-Kopf-Budget für CO2-Kompensationen nutzen
Und wohin ginge das Geld, das für zusätzliche CO2-Emissionen gezahlt werden soll? An einzelne Personen, die mit dem Geld wiederum ihren Konsum erhöhen können? Könnte ein Modell wie die CO2-Kompensationen tatsächlich eine Lösung bieten? Für jedes neue Auto werden zum Beispiel ein paar Quadratmeter Regenwald aufgeforstet?
CO2-Kompensation ist fast schon alltäglich geworden. Oft genug genügt ein Klick in einer App, und schon ist der Einkauf oder die Flugreise angeblich klimaneutral gemacht. Doch abgesehen davon, dass unter den unübersichtlich vielen Angeboten auch Greenwashing vertreten ist, besteht bislang die Hälfte der CO2-Kompensations-Projekte in Aufforstung. Wo wird aufgeforstet? Meist auf der Südhalbkugel. Dort, wo ein Großteil der Menschen immer noch vor allem von Landwirtschaft lebt und dafür Bodenfläche braucht.
Die Rechnung geht oft nicht auf, meint Carsten Warnecke vom New Climate Institute: "Wir kommen dann in eine Situation, wo alle behaupten, sie hätten Netto-Null-Emissionen. Die globalen Emissionen sind aber gleichgeblieben. Und wenn wir das in zehn Jahren realisieren, dann haben wir ein riesengroßes Problem, das können wir uns definitiv nicht noch mal erlauben."
Oder doch lieber auf die richtige CO2-Technik warten?
Wenn es aber ohnehin unmöglich ist, mit den drei Tonnen CO2 pro Jahr auszukommen, ist es dann nicht folgerichtig, eine andere Lösung für das Treibhausgasproblem zu suchen?
Das wären technologische Entwicklungen wie beispielsweise die CO2-Entnahme, die Treibhausgase aus der Luft filtert und irgendwo speichert, am besten unterirdisch.
Die Zeit haben wir aber gar nicht, erläutert Warnecke: "Wenn man meint, man kann Jahrzehnte auf irgendwelche Wundertechnologien warten, die da vielleicht irgendwann mal kommen, und so weitermachen wie bisher, dann ist das eine Zielverfehlung, die eigentlich vorprogrammiert ist. Das (die CO2-Emissionen) müsste sehr schnell reduziert werden. Und das würde dann auch sehr, sehr schnell sehr eng werden."
Sozialer Wandel ist zwingend nötig
Viele Fragen, (noch) keine Antworten, aber eine Anregung
Würde das CO2-Pro-Kopf-Budget überhaupt etwas bringen? Oder geht das einfach nicht, wird zu teuer, ist ungerecht oder schlicht nicht umsetzbar? Wie sollte sich die Weltgemeinschaft je auf ein funktionierendes System der Budgetierung einigen, wenn sie schon auf den alljährlichen Klimakonferenzen mehr ringt als entscheidet?
Entscheidend bleibt aber, dass das Budget von drei Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr und Mensch nicht einfach nur eine Idee ist. Aus Sicht der Klimaforscher ist es eine zwingende Notwendigkeit, um den Klimawandel zu bremsen. Es geht nicht darum, für Treibhausgasausstoß zu zahlen. Sondern darum, ihn zu verringern. Das schafft niemand alleine. Dafür braucht es technische Innovationen und starken Willen in der Politik. Aber auch den Willen von uns allen: Jede und jeder muss seinen CO2-Ausstoß verringern wollen.
Und vielleicht hilft da manchmal der Blick auf das eigene CO2-Budget. "Es ist eine gute Idee, weil es Bewusstsein schafft, wo die planetaren Grenzen liegen, auch eines jeden Einzelnen von uns," sagt Carsten Warnecke. Wenn man das CO2-Pro-Kopf-Budget nicht verteufele, könne es zu einer anerkannten gesellschaftlichen Aufgabe werden:
"Ich glaube, dass man einen Großteil der Bevölkerung damit erreichen kann. Wir haben das gerade gesehen im Rahmen der Gaskrise: Wenn man es schafft, das in das Bewusstsein der Leute zu bekommen. Und es ist es hat auch bei einigen Leuten einen gewissen sportlichen Ehrgeiz geweckt, jetzt mal richtig zu gucken: Wo kann ich sparen? Und plötzlich ist das ein Thema, worüber man auch mit einem etwas positiven Anklang redet. Es wird im Privaten verglichen: Wer hat wie viel gespart? Und es entwickelt sich eine Dynamik, die sehr hilfreich ist." Carsten Warnecke
- Zum Artikel: Was bewegt Menschen dazu, umweltfreundlich zu handeln?
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