Seit einem halben Jahr steht an Bayerns Grundschulen in allen vier Jahrgangsstufen eine Stunde mehr Deutsch im Stundenplan. In der ersten und dritten Klasse wird auch eine Stunde mehr Mathe unterrichtet. Margit Steer, Klassenlehrerin an der Bischof-Riccabona Grund- und Mittelschule in Wallersdorf, sagt, sie habe nun ein bisschen mehr Zeit für die Kinder. Bei diesen gehe die Schere weit auseinander: Es gebe leistungsstarke und leistungsschwache Kinder sowie Kinder mit Sprachdefiziten. Dafür brauche man Zeit, "aber was uns wirklich helfen würde, wäre eine zweite Kraft, die uns unterstützt".
Ihre Kollegin Stefanie Horinek, Schulleiterin in Wallersdorf und Vorsitzende des Bayerischen Schulleiterverbandes, ergänzt, was aus ihrer Sicht hilfreicher wäre als eine Änderung der Stundentafel: Mehr Zeit für das einzelne Kind und mehr Zuwendungsmöglichkeiten, um schauen zu können, wo das Kind steht und welche Lernunterstützung es braucht.
Mehr Personal statt Stundenplanänderung
Die Schulleiterin rechnet vor: In einer Klasse mit 20 Kindern bleiben von einer Schulstunde gerade mal zwei Minuten Übungszeit pro Kind. Das reiche nicht aus, um leistungsschwache Schüler zu fördern. Anstatt etwas mehr Hauptfächer für alle plädiert sie wie ihre Kollegin für eine zweite Assistenzkraft im Klassenzimmer. Dieses sogenannte Team-Teaching ist beispielsweise in Schweden oder Kanada selbstverständlich.
Passgenaue Förderung wäre auch in einer Ganztagsklasse möglich, in der sich Lern- und Entspannungsphasen kindgerecht abwechseln. Dann müsste auch nicht bei Nebenfächern gekürzt werden. In Wallersdorf hat das Kollegium beschlossen, den Englischunterricht zu reduzieren. So handhaben es auch viele andere Schulen. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, bringt es auf eine einfache Formel: "Hätten wir mehr Lehrer, hätten wir mehr Stunden, könnten wir alles anbieten und den Fokus auf Mathe und Deutsch legen."
Förderung schon vor Schulbeginn
Es gibt viele gute Konzepte, aber individuelle Förderung braucht viel Zeit und pädagogisches Personal. Klassenlehrerin Margit Steer nennt als Beispiel: Sie liest gemeinsam mit Kindern, die einen speziellen Bedarf haben, oder Kinder, die schon gut lesen können, lesen gemeinsam in Partnergruppen und sie korrigieren sich gegenseitig. "Ich versuche, allen gerecht zu werden: den Stärkeren, den Schwächeren und auch den Kindern mit Sprachdefiziten."
Doch die Förderung sollte nicht erst mit dem Schulstart beginnen, sondern schon im Vorschulalter. Der Frankfurter Soziologe Kai Maaz vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation nennt hier Hamburg als Vorbild. Dort hat über die Hälfte der eingeschulten Kinder einen Migrationshintergrund. Im Alter von viereinhalb Jahren werden die Kinder in Hamburg getestet. Wenn sich ein Förderbedarf zeigt, ist eine Förderung verpflichtend. Auch in Bayern gibt es ab jetzt ähnliche verbindliche Sprachtests für alle Kinder. Doch auch hier fehlt pädagogisches Personal für ausreichend Förderkurse.
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