Bereits Ende vergangenen Jahres kritisierte der Expertenrat für Klimafragen die Klimapolitik der Bundesregierung, insbesondere die des Verkehrs- und des Bauministeriums. Dabei betonten die fünf unabhängigen Sachverständigen um den Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, Hans-Martin Henning, dass bei einer Beibehaltung des aktuellen Kurses die Klimaziele für 2030 kaum erreichbar seien.
Expertenrat: Weniger Treibhausgase, Klimaziele trotzdem teils verfehlt
Diese Einschätzung wurde nun weitestgehend bekräftigt. Der Expertenrat prüfte die durch das Umweltbundesamt erstellten Daten der deutschen Treibhausgasemissionen für 2022 und kommt nun zu einem ernüchternden Fazit: Obwohl in Deutschland 2022 weniger Treibhausgase ausgestoßen wurden als 2021, seien die Klimaziele für das vergangene Jahr nur teilweise erreicht worden. Die Sektoren Verkehr und Gebäude verfehlten ihre Ziele erneut. Das Klimaschutzgesetz gibt jedem Sektor für jedes Jahr konkrete CO2-Obergrenzen vor. Der Expertenrat warnt deshalb vor der geplanten Aufweichung des Klimagesetzes. Angesichts der enormen Herausforderungen, die es in den kommenden Jahren bis 2030 zu bewältigen gelte, so die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf, sei dies besonders kritisch zu beurteilen.
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Laut den Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA), die nun vom Expertenrat für Klimafragen weitestgehend bestätigt wurden, sanken die Treibhausgasemissionen in Deutschland im Jahr 2022 um 1,9 Prozent auf etwa 746 Millionen Tonnen. Dies sind rund 15 Millionen Tonnen weniger als im Vorjahr. Für diese Verminderung spiele der Ukraine-Krieg eine wesentliche Rolle. Denn so sei das Wirtschaftswachstum dieses Jahr geringer als erwartet ausgefallen. So steht es im Prüfpapier des Expertenrates. Laut UBA sind die Emissionen seit 1990 in Deutschland um 40,4 Prozent gesunken. Die endgültigen Werte sind jedoch erst zu Beginn des nächsten Jahres verfügbar.
Sektoren: Energiewirtschaft erreicht Klimaziel nur knapp
Der Blick auf ausgewählte Sektoren zeigt: Obwohl die Energiewirtschaft das Sektorziel knapp unterbieten konnte, stiegen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Vorjahr um 10,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente an. Damit ist in diesem Sektor zum zweiten Mal in Folge ein Anstieg nachweisbar, nachdem die Emissionen zwischen 2013 und 2021 stetig gesunken waren. Die Hauptursache dafür sieht der Expertenrat in einer Verschiebung im Strommix hin zu Braun- und Steinkohle, die zu einem höheren Emissionsfaktor der Stromerzeugung geführt habe. Dies sei vor allem durch den starken Anstieg der Gaspreise infolge des Ukraine-Krieges verursacht worden. Zusammenfassend betont der Expertenrat: Es sei sehr knapp gewesen, dass der Energiesektor sein Emissionsziel habe erreichen können.
Industriesektor mit deutlicher CO2-Emissionsminderung
Dem Industriesektor gelang es, 2022 den jährlichen Grenzwert um 12,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu unterschreiten. Auch der Vergleich zum Vorjahr zeigt, dass hier eine wesentliche Emissionsreduzierung vonstattenging, mit minus 10,4 Prozent (19 Millionen Tonnen) im Vergleich zu 2021. Der Expertenrat für Klimafragen vermutet, dass dieser Rückgang ebenfalls im Wesentlichen auf energiepreisbedingte Produktionsrückgänge zurückzuführen ist. Dennoch wird befürchtet, dass die im Jahr 2022 erzielten CO2-Einsparung nur kurzfristig zu halten ist und bei einer raschen Erholung der energieintensiven Industrie wieder verloren gehen könnte.
Problemsektoren für das Klima: Verkehr und Gebäude
Als besonders problematisch gelten der Verkehrs- und der Gebäudesektor. Beide Bereiche übertrafen ihre jeweiligen Zielmarken, um je 9,7 und um 4,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Die Überschreitung des Sektorziels im Gebäudebereich wäre ohne verschiedene positive Faktoren, wie die milde Witterung im Jahr 2022 und Einsparungen durch geändertes Heizverhalten, noch größer gewesen, so die Sachverständigen. Sie führen an, dass es zu einem stärkeren Ausbau der Wärmepumpeninfrastruktur kommen müsse. Das Ziel von 500.000 installierten Wärmepumpen pro Jahr sei deutlich verfehlt worden.
Für den Verkehrssektor zeige sich laut Expertenrat, dass es notwendig sei, den Bestand fossiler Pkw abzubauen. Ohne weitere politische Maßnahmen sei es aber unwahrscheinlich, dass dies in ausreichendem Maße effektiv geschehe. Auch der Ausbau des Schienenverkehrs sei hier zentral. Die zuständigen Ministerien der beiden Sektoren müssen nun innerhalb von drei Monaten Verfahren entwickeln, wie die Emissionswerte mit Blick auf die nächsten Jahre reduziert werden können.
Kritik an Plänen zur Änderung des Klimaschutzgesetzes
Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP plant jedoch eine Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes. Das sorgt seit Wochen für Kritik. Der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans-Martin Henning, forderte die Ampel-Koalition auf, das Klimaschutzgesetz nicht zu schwächen. Während der Vorstellung des jährlichen Prüfberichts in Berlin betonte er die Notwendigkeit, die gesetzliche Begrenzung der Emissionen pro Jahr beizubehalten. In die gleiche Kerbe schlägt auch Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Er sagte, dass die geplante Abschaffung der Sektorziele als ein Angriff auf den Klimaschutz betrachtet werden müsse.
Klimaschutz-Expertin: Appelle reichen nicht
Die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf, weist darauf hin, dass einfache Appelle mittlerweile nicht mehr ausreichen würden: "Im Verkehrssektor sehen wir starke Fehlanreize, zum Beispiel das Dienstwagen- oder das Dieselprivileg. Ich bin der Überzeugung, dass wir den CO2-Preis, den wir im Sektor Verkehr und im Sektor Gebäude haben, erhöhen müssten. Das kann man auch sozial gerecht machen, indem man die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung pro Kopf als Klimageld zurückzahlt." So könnten die unteren Einkommen, die meist einen kleineren CO2-Fußabdruck hätten, in Summe entlastet werden. Sozial gerechter Klimaschutz, der mit Wirtschaftswachstum einhergehe, sei also möglich. Die Politik müsse sich hier endlich trauen.
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