Es ist eine der häufigsten Operationen in deutschen Krankenhäusern: Rund 250.000 künstliche Hüftgelenke haben Ärzte im Jahr 2022 bundesweit implantiert (externer Link). Der Eingriff ist also ein Standard. Wie schnell Patienten sich danach erholen, ist dagegen sehr unterschiedlich, manchmal geht es nur sehr langsam. Doch mit einem einfachen Mittel werden offenbar viele Patienten schneller gesund: mit sogenannten standardisierten Patientenfragebögen.
Häufiger befragten Patienten geht es besser
Wissenschaftler der TU Berlin haben in einer Studie an 7.800 Patienten mit Knie- und Hüft-Operationen getestet, wie sich derartige Fragebögen auf den Behandlungserfolg auswirken. "Unsere Hypothese war: Man kann durch diese Befragungen schnell erkennen, wenn es Patienten schlechter geht und dann intervenieren und Therapieanpassung machen", sagt Gesundheitsökonom Lukas Schöner.
Für die Studie wurde die eine Hälfte der Patienten sechsmal befragt. Vor und direkt nach der OP, sowie viermal im ersten Jahr nach der OP bekamen sie einen Fragebogen zu Aspekten wie: Wie gut das Treppensteigen klappt, wann es weh tut, wie sich die Patienten seelisch fühlen und dergleichen. Die andere Hälfte der Patienten hatte die gleiche OP, wurde aber nur halb so oft befragt. Am Ende ging es den häufiger Befragten deutlich besser.
Verfahren steigert Wohlbefinden und senkt Kosten
Eine Erklärung dafür ist, dass bei enger betreuten Patienten die Therapie schneller angepasst werden kann. Darauf hatten die Forscher gehofft. Doch die Daten legen auch nahe: Allein die Tatsache, dass jemand regelmäßig nach dem Befinden fragt, hilft beim Genesungsprozess. "Also jemand kümmert sich um mich. Jemand ist da und sagt mir Bescheid, wenn es mir schlechter geht. Allein dieses Bewusstsein kann dazu führen, dass es dem Patienten besser geht", sagt Lukas Schöner.
Hinzu kommt: Das Verfahren verspricht sogar Kosten zu sparen. Rund 400 Euro pro Patient bei Hüft-OPs, sagt Gesundheitsökonom Schöner. Betroffene fühlten sich sogar mit weniger Arztbesuchen besser betreut. Sie mussten seltener erneut ins Krankenhaus, weil auf Verschlechterungen schnell reagiert wurde. Bei Knie-OPs wären die gesundheitlichen und finanziellen Effekte zwar nicht ganz so ausgeprägt ausgefallen, aber in der Tendenz ebenfalls da, so die Forschenden.
Fragebogen aus der Krebsnachsorge lange bekannt
Völlig neu sind derartige Fragebögen nicht. Bei Krebstherapien werden sie seit Jahren eingesetzt, um schnell zu erkennen, wenn es Betroffenen schlechter geht. Insofern überraschen Nina Ditsch, Leiterin des Brustzentrums der Uniklinik Augsburg, die Ergebnisse der TU-Studie nicht. Sie weiß von Brustkrebspatientinnen und auch aus anderen Studien, dass sich kümmern positiv wirkt.
Am Brustzentrum der Berliner Charité zum Beispiel zeigt ein aktuelles Projekt, dass Brustkrebspatientinnen mittels standardisierter Patientenfragebögen signifikant weniger unter chronischer Müdigkeit leiden. Das berichtet die dort leitende Oberärztin Maria Margarete Karsten. Und nicht nur das: "Wir konnten auch das Risiko zu versterben um 29 Prozent reduzieren in der Interventionsgruppe – also praktisch die, die das Monitoring bekommen."
Ein Wert, der zwar auch mittels Medikamente erreicht werden könne – die aber auch viel teurer seien, sagt Maria Margarete Karsten. Auch hier zeigt sich: Standardisierte Patientenfragebögen können hingegen helfen, Kosten zu sparen und kommen dabei den Patienten zugute. Und: Das Verfahren lässt sich aus Sicht der Experten auf verschiedenste Krankheitstypen übertragen.
"Noch nie so nah an der Regelversorgung wie jetzt"
Trotzdem ist das Verfahren bisher noch kein Teil der medizinischen Regelversorgung. "Das Problem ist: Man müsste zum Beispiel viel mehr Ärzte einstellen, die sich die Zeit nehmen können. Oder auch Pflegekräfte", sagt Nina Ditsch. Personal und damit auch Zeit gebe das derzeitige System aber kaum her. In vielen Praxen und Kliniken bleiben oft nur zehn bis 30 Minuten pro Patient, berichten die Ärztinnen. Kaum Zeit also für ausführlichere Gespräche.
Den Nutzen der Fragebögen hätten die Krankenkassen aber bereits erkannt. In fünf Jahren könnte es mit einer Regelleistung so weit sein, hofft Nina Ditsch. Vielleicht sogar bis in zwei Jahren, glaubt Maria Margarete Karsten: "Wir waren noch nie so nah dran wie jetzt, dass wir es in die Regelversorgung bekommen." Denn die Ergebnisse ihres Projekts an der Charité wollen sie im Frühjahr dem Gemeinsamen Bundesausschuss vorlegen, dem obersten Gremium der gesetzlichen Krankenversicherung.
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