Monatelange Lockdowns mit geschlossenen Schulen: Die Pandemie hat zu einer der größten Unterbrechungen des Lernens in der Geschichte geführt. Weltweit waren schätzungsweise 95 Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen.
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Corona-Studie: Schüler verlieren weltweit Drittel des Lernfortschritts
Und das hatte enorme Auswirkungen, sagt Bildungsforscher Bastian Betthäuser von der politischen Hochschule Science Po in Paris. Er hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern 42 Studien aus 15 Ländern analysiert, darunter vor allem Studien aus Großbritannien und den USA, aber auch vier Studien aus Deutschland.
"Im Durchschnitt haben Kinder ein Drittel ihres Lernfortschritts verloren, was sie in einem normalen Schuljahr erreicht hätten", sagt Betthäuser. "Und in Ländern mit mittleren Einkommen, Brasilien, Mexiko, Kolumbien, sind es 80 bis 90 Prozent, die verloren gegangen sind während der Pandemie."
In Deutschland bis zu 15 Prozent des Schulstoffs verpasst
In Deutschland verpassten die Schülerinnen und Schüler zehn bis 15 Prozent des Stoffes. Besonders gut schnitten dagegen die skandinavischen Länder ab. In Schweden waren die Schulen offen, in Dänemark gab es trotz Schulschließung so gut wie keine Lücken. Das könnte laut den Wissenschaftlern an der besseren digitalen Infrastruktur dieser Länder liegen, ist aber noch nicht ausreichend untersucht.
Die Forscher um Bastian Betthäuser schauten auf die Kernkompetenzen Mathematik, Sprechen und Lesen. In Mathematik sind die Defizite am größten: "Wir vermuten, dass das darauf zurückzuführen ist, dass Eltern oft besser in der Lage sind, ihren Kindern mit Lesen und sprachlichen Aufgaben helfen zu können, während es bei Mathe schwieriger ist", so der Wissenschaftler.
Schüler bildungsferner Haushalte verpassten mehr Stoff
Die Eltern hatten während dieser Zeit eine entscheidende Rolle. Schüler aus bildungsferneren und ärmeren Schichten verpassten weit mehr Stoff als Schüler mit Eltern, die im Homeoffice ihre Kinder unterstützen konnten. Und ärmere Länder waren der Analyse nach stärker betroffen als die reicheren westlichen Industriestaaten. Bis heute sind die Lerndefizite nicht aufgeholt, warnen die Forscher.
Dabei gab es durchaus interessante Ansätze. Zum Beispiel in Deutschland die sogenannten Sommerschulen, wo Kinder in den Sommerferien den verpassten Stoff nachholen können. Leider wurde das nur halbherzig betrieben, sagt der Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer von der Uni Augsburg.
Erziehungswissenschaftler: Schüler zu wenig zusätzlich gefördert
"Wir können durch gut gemachte Sommerschulen ungefähr ein Vierteljahr binnen drei Wochen aufholen, wenn man das gut macht", so Zierer. "Besonders stark wirken die Effekte in bildungsfernen Milieus. Also wir haben hier Instrumente und aus anderen Ländern viel Erfahrung, wie sowas laufen kann." Das hätte man Zierers Ansicht nach in der Pandemie viel sinnvoller einsetzen können.
Und man hätte auch "eine Kultur des individuellen Förderns" in die Phase nach den Pandemie-Einschränkungen bringen können, kritisiert der Erziehungswissenschaftler. Das habe man verschlafen und nicht richtig angepackt.
Ein weiteres Problem ist auch, dass es an Personal fehlt, Stichwort: Lehrermangel. An vielen Schulen fällt der Unterricht aus, das führt nicht dazu, dass verpasster Stoff nachgeholt wird. Außerdem müsste auch der Lehrplan entschlackt werden, fordert Klaus Zierer: "Wir müssen endlich mal diese Lehrpläne anpacken, da steckt vieles drin, was fachlich wichtig ist, aber für die Lebenswelt der Kinder unbedeutsam ist."
Auswirkung einer Klassenfahrt auf die Lernleistung
Doch auch kurzfristig könnte man schon eine Menge tun, sagt der Bildungsforscher, etwa alle Schülerinnen und Schüler zu Beginn des Schuljahrs auf Klassenfahrt schicken: "Wir wissen, dass eine Woche Schullandheim nicht nur auf die Lehrer-Schülerbeziehung und die Klassenbeziehung immens positive Effekte hat, sondern auch auf die Lernleistung", sagt Zierer. Wenn das klug und professionell gemacht werde, könne eine Basis geschaffen werden, die das ganze Schuljahr trage. Davon könnten alle profitieren: Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrperson.
Und dann könnte es auch besser an die individuelle Förderung gehen. Denn die Lerndefizite nach Corona sind groß, wie die aktuelle Meta-Analyse zeigt.
Lauterbach: Lange Schulschließungen waren ein Fehler
Am Montag hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingeräumt, dass es im Nachhinein betrachtet falsch gewesen sei, die Schulen und Kindertagesstätten wegen Corona so lange geschlossen zu halten. Lauterbach betonte im "Morgenmagazin" der ARD, die beratenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten der Bundesregierung die Schulschließungen empfohlen. Oft sei aber der Wissensstand nicht wirklich gut gewesen.
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