Deutschland habe 2022 mit 12,2 Prozent erneut die vierthöchste Schulabbrecherquote in der Europäischen Union verzeichnet – so lauteten mehrere Medienberichte zu Anfang dieser Woche. Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) forderte daraufhin eine "bildungspolitische Trendwende": "Jeder Schulabbruch ist einer zu viel. Denn hier geht es nicht nur um die Zukunft der Kinder, sondern auch den Wohlstand unseres Landes." Aber: Diese Meldung über die vierthöchste Schulabbrecherquote im EU-Vergleich stimmt so nicht.
Frühzeitige Schul- und Ausbildungsabgänger sind keine Schulabbrecher
Sie basiert auf frei einsehbaren Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat, welche "frühzeitige Schul- und Ausbildungsabgänger" erfassen. Frühzeitige Schul- und Ausbildungsabgänger sind laut der Statistikbehörde "der Anteil der Bevölkerung im Alter von 18 bis 24 Jahren, der höchstens über einen Abschluss der Sekundarstufe I verfügt und in den vier Wochen vor der Erhebung an keiner Aus- oder Weiterbildung beteiligt war". Das heißt: Diese Statistik erfasst nicht nur Schulabbrecher, sondern auch junge Menschen, die beispielsweise einen Hauptschul-, aber keinen Berufsabschluss haben.
Die tatsächliche Schulabbrecherquote schaut anders aus: Laut einer Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung haben 2021 47.490 Jugendliche die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, was etwa sechs Prozent aller gleichaltrigen Jugendlichen entspricht. In Bayern war diese Quote zwar mit 5,1 Prozent im bundesdeutschen Vergleich am niedrigsten, aber es gibt große regionale Unterschiede: So verließen in Hof im Jahr 2020 27,7 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Hauptschulabschluss, der höchste Wert aller kreisfreien Städte in Deutschland.
Unter den Schulabbrechern sind Jugendliche mit ausländischer Staatsbürgerschaft fast dreimal so häufig vertreten wie Jugendliche mit deutscher Staatsbürgerschaft. Darüber werden zu diesen "Schulabbrechern" auch Jugendliche gezählt, die eine sogenannte Förderschule besucht haben: Die Abschlüsse solcher Förderschulen sind nicht anerkannt. Deshalb rutschen Jugendliche mit einem solchen Abschluss in die "Schulabbrecher"-Statistik, obwohl sie die Schule nicht abgebrochen haben – und das sind immerhin rund die Hälfte aller Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss.
Niedrige Jugendarbeitslosigkeit, aber hoher Fachkräftemangel
Wie groß ist also die Aussagekraft der angeblichen "vierthöchsten Schulabbrecherquote in der EU"? Unter dem Gesichtspunkt der Schulabbrecher nicht sehr groß, aber das soll die Statistik der Eurostat auch gar nicht erfassen. Stattdessen sagt sie vielmehr etwas über die Menschen zwischen 16 und 24 Jahren aus, die über keine Fachausbildung verfügen.
Zwar liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland mit 6,8 Prozent sogar unter dem EU-Durchschnitt von 9,5 Prozent. Aber der Anteil der jungen Menschen ohne Berufsabschluss steigt seit Jahren: In Deutschland hatten im Jahr 2021 rund 2,5 Millionen Menschen zwischen zwanzig und 34 Jahren keinen Berufsabschluss. Diese Arbeitskräfte stehen somit nur eingeschränkt oder nicht zur Verfügung, um den Fachkräftemangel auszugleichen, also den Bedarf des Arbeitsmarkts nach Menschen mit einem Berufsabschluss.
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