Das Zusammenleben auf unserem Planeten scheint schwieriger zu werden. Die Empathie, das Einfühlungsvermögen in andere Menschen und deren Motive, scheint abzunehmen. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man in die Nachrichten schaut oder durch die Social-Media-Timelines scrollt.
Wütende Social-Media-Posts machen uns auch wütender
Letztere sind auch für das Problem mitverantwortlich, sagt Verhaltenstherapeut Sina Haghiri im Psychologie-Podcast "Die Lösung". Social Media sei nicht per se schlecht. Die Algorithmen würden aber möglichst polarisierende Inhalte pushen, um die User auf den Plattformen zu halten.
Dies führe dazu, dass immer mehr Aufreger produziert würden. In einer Studie der Yale Universität wurden mehrere Millionen Interaktionen in sozialen Netzwerken ausgewertet. Dabei, berichtet Haghiri, habe sich gezeigt, "dass die Leute, die wütenden Content angezeigt bekommen, mit der Zeit irgendwann selbst anfangen, immer wütenderen Content zu produzieren".
Tipp 1: Machen Sie sich diesen Mechanismus bewusst und versuchen Sie, nicht in den Chor immer polarisierender und wütender werdenden Kommentare einzustimmen.
Unser Gehirn belohnt uns, wenn wir Gefahreninformationen sammeln
Doch das Problem gehe viel tiefer, erklärt der Verhaltenstherapeut. Es gehe zurück in die Höhle des Steinzeitmenschen. "Was uns von damals geblieben ist, ist die sehr starke Aufmerksamkeit für Gefahr. Unsere Psyche ist immer auf der Suche nach Gefahreninformation, weil sie natürlich für unser Überleben wichtig war." Wo gefährliche Tiere lauerten und giftige Pflanzen wuchsen, habe man sich extrem gut gemerkt. "Das war im Zweifel immer wichtiger, als welche Pflanze gut riecht oder die Klamotten schön einfärbt."
Unser Gehirn belohne uns daher mit Glückshormonen, wenn wir Gefahreninformationen sammeln. Über lange Zeit war dies überlebenswichtig. Der Unterschied zu einem Leben in der Höhle sei aber, dass wir heute "an einem einzigen Tag Zugriff auf unendlich viel mehr Information als alle Generationen vor uns in ihrem gesamten Leben" haben.
"Weil unsere Psyche uns weiterhin dafür belohnt, lesen, klicken und teilen wir im Durchschnitt sehr viel mehr Gefahreninformation als alles andere." Verhaltenstherapeut Sina Haghiri
Tipp 2: Überlegen Sie, wie viel Gefahreninformation pro Tag Sie eigentlich vertragen. In den Timelines immer weiterzuscrollen, wirkt sich auf unser Menschenbild aus: Es wird immer negativer.
Wir urteilen härter über andere als über uns selbst
Es gibt auch psychologischen Grund, warum wir uns mit Empathie manchmal schwer tun. Machen wir selbst einen Fehler, sehen wir den Grund meist in der Situation und nicht bei uns als Person, sagt Sina Haghiri. "Aber wenn es um andere geht, sind wir nicht ganz so weich im Urteil. Da beziehen wir das Verhalten eher auf die Person selbst, anstatt auf ihre Umstände."
Beispiel: Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, dann, weil ich jemanden ins Krankenhaus bringen muss. Wenn ich jemanden anderes sehe, der über Rot fährt, dann ist einfach die Person "böse". Wir wissen aber nicht, welche Intention sie wirklich hatte, so Haghiri. Um das herauszufinden bräuchte es Zeit und Energie. Die wir uns nicht nehmen. "Es ist eben leider auch so, dass sich Ressentiments und Vorurteile einfach sehr viel leichter verbreiten, wenn wir irgendwas sehen, was wir falsch finden, und daraus schließen, dass die Person einfach verdorben und böse ist."
Tipp 3: Fragen Sie nach einer möglichen Intention des Gegenübers. Auch wenn Sie die Situation zuerst nicht gutheißen können.
Denken wir schlecht von anderen, schadet das unserer Gesundheit
Diese fehlende Perspektivübernahme führt auch dazu, dass die gesellschaftlichen Gräben und der Hass größer werden, erklärt der Verhaltenstherapeut. Es sei jedoch nicht nur ein gesellschaftliches Problem, es mache jedem einzelnen Probleme: "Ein zynisches Menschenbild ist einfach schlecht für unsere mentale Gesundheit. Natürlich sind wir schlecht drauf, wenn wir denken, dass Menschen böse sind."
"Wenn unser Menschenbild langsam schlechter wird, bauen wir natürlich eine Wand auf, gehen zurückhaltender durchs Leben, machen weniger positive Erfahrungen mit anderen, und dadurch bestätigt sich das negative Bild noch mehr", sagt Haghiri. "Ein Teufelskreis."
Tipp 4: Ein optimistischerer Blick auf andere kann helfen. Wenn wir zu sehr annehmen, dass alle uns im Weg stehen, übersehen wir vielleicht, dass manche von diesen Leuten selber gestolpert sind und uns im Weg liegen. Wenn dem so ist, müssen wir nicht über sie hinweg steigen, sondern können ihnen vielleicht sogar die Hand reichen. Darüber lernen wir auch, uns selbst irgendwie die Hand zu reichen, den Anteilen von uns, mit denen wir unzufrieden sind.
Im Video: Liebe, Freude, Verständnis - Empathie ist lernbar
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.