Nach mehr als zwei Jahren Arbeit hat der Weltklimarat (IPCC) heute einen Sonderbericht zur Auswirkung des Klimawandels auf die Landnutzung veröffentlicht. Denn die Erderwärmung verändert nicht einfach nur die Temperaturen, sie verschiebt Klimazonen und verändert Landschaften: Ganze Regionen sind davon bedroht, zu versteppen oder gar zu verwüsten. Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung werden in solchen Gegenden schwieriger. Die Ernährung von bis zu einer halben Milliarde Menschen könnte dadurch gefährdet sein, heißt es im IPCC-Bericht.
Umgekehrt hat die Landnutzung starken Einfluss auf den Klimawandel: Die Landwirtschaft habe großen Anteil an der Erderwämung. Fast ein Viertel der klimaschädlichen Treibhausgase werde dort erzeugt, durch Ackerbau, Massentierhaltung und Rodung der Wälder. Die Experten des Weltklimarates fordern, bei der Landnutzung radikal umzudenken, gerade um die Ernährung einer weiter wachsenden Weltbevölkerung auch in Zukunft noch sicherstellen zu können.
1,5-Grad-Grenze über Land jetzt schon erreicht
Es ist erst ein knappes Jahr her, da warnte der IPCC in einem Sonderbericht, dass ein Anstieg der globalen Temperaturen um mehr als 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter so massive Auswirkungen haben könnte, dass die Folgen unumkehrbar sein könnten. Momentan liegt laut IPCC-Bericht der globale Temperturanstieg knapp unter einem Grad. Allerdings sind da die gewaltigen Wassermassen der Ozeane eingerechnet, die sich langsamer erwärmen als Land. Ausschließlich über Land gemessen betrage die Erderwärmung weltweit jetzt bereits über 1,5 Grad, heißt es in dem jüngsten Sonderbericht des Weltklimarates.
Das haben wir gerade erst selbst zu spüren bekommen: Der Juli 2019 trumpfte nicht nur bei uns mit Hitzerekorden auf, er war weltweit der heißeste jemals gemessene Monat. Solche Hitzewellen gibt es inzwischen häufiger als früher, das lasse sich wissenschaftlich eindeutig nachweisen, so der Weltklimarat. In Zukunft werden Hitze und Dürre weiter ansteigen, auch in Mitteleuropa rund um das Mittelmeer.
Der Klimawandel frisst das Land
Der jetzt veröffentlichte Sonderbericht hält nicht nur das Fieberthermometer an die Erde, er guckt genauer, was das für die Ressource Land bedeutet. Denn Hitzewellen und Dürren verändern das Land auf katastrophale Weise: Durch Wassermangel und Versalzung werden sich Wüsten weiter ausdehnen und jetzt fruchtbare Gegenden von Versteppung bedroht sein. Diese sind wiederum anfälliger für die immer häufigeren Extremwetter-Ereignisse wie Tornados oder Überschwemmungen.
Der Kampf gegen den Klimawandel verschlingt ebenfalls Land
Der Schutz der bestehenden Wälder und Aufforstung sind nach Ansicht des IPCC wichtige Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel. Es sind sogenannte CO2-Senken, in denen das Treibhausgas gebunden wird. Doch die Experten des Weltklimarates fürchten zugleich, dass der Kampf gegen den Klimawandel dadurch ebenfalls große Landmengen frisst: Um die im Paris-Protokoll vereinbarten Grenzwerte an CO2-Emissionen zu erreichen, werden voraussichtlich viele Länder in großem Maßstab aufforsten, um zu kompensieren, dass sie den Kohlendioxid-Ausstoß nicht ausreichend senken können.
Dazu kommt noch die Produktion von Bioenergie, die riesige Anbauflächen verbraucht, um Energie nicht aus fossilen Energieträgern sondern aus Pflanzen zu gewinnen. Die Folge ist eine Aufforstung in Form gigantischer Plantagen statt neuer Wälder.
"Während Aufforstung und die Produktion von Bioenergie helfen könnten, das globale CO2 Budget neutraler zu machen, können sie gleichzeitig auch Landdegradation verursachen oder die globale Produktion von Nahrungsmittel gefährden. Diese Risiken müssen alle sorgfältig ausgewogen werden." Prof. Dr. Sonia I. Seneviratne, Center für Klimasystem-Modellierung, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Schweiz
Die Ressource Land könnte auf diese Weise erschreckend knapp werden, warnt der Sonderbericht. Die Anstrengungen gegen eine weitere Erderwärmung könnten denen für eine ausreichende Ernährung der Weltbevölkerung entgegenstehen, wenn nicht noch zusätzliche Maßnahmen beschlossen würden. Es ergibt sich ein Dilemma: Der Klimawandel bedroht die Ernährungsziele, der Kampf gegen den Klimawandel aber ebenfalls.
"Mensch, Land und Klima – sie hängen untrennbar zusammen. Das ist die Kernaussage des neuen Berichts. Die Arktis brennt, weil die Vegetation nach mehreren heißen Sommern extrem trocken ist. Die Temperatur über der Landoberfläche erwärmt sich besonders stark, weil zu viele Wälder gerodet worden. Und der Mensch wiederum muss sich neue Lebensräume suchen, weil in seiner Heimat nicht mehr genug Getreide wächst." Jeanne Rubner, Redaktion Wissenschaft, Bayerischer Rundfunk
Nahrungsmittelproduktion ist auch Ursache des Klimawandels
Der IPCC-Bericht macht aber auch überaus deutlich, dass nicht nur der Klimawandel die Nahrungsmittelproduktion bedroht, sondern umgekehrt die heutige Nahrungsmittelproduktion eine der Ursachen für den Klimawandel ist.
Das meiste Kohlendioxid wird im Energiesektor freigesetzt, bei der Erzeugung von Strom und Wärme oder Treibstoffen aus fossilen Energieträgern wie Kohle oder Erdöl. Ein Umstieg auf erneuerbare Energien durch Sonne, Wind und Wasser könne hier entscheidend Einfluss auf die Emissionen nehmen, so der IPCC.
Der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasen ist nach dem Energiesektor jedoch die Landwirtschaft: 23 Prozent aller CO2-Äquivalente werden in Ackerbau und Viehzucht ausgetoßen. Daran muss sich etwas ändern, so das Plädoyer des Weltklimarates.
"Wir können nicht weitermachen wie bisher." Almut Arneth, Co-Autorin des IPCC-Sonderberichts
Die Wissenschaftler des IPCC fordern, dass Land weniger stark ausgebeutet wird und die CO2-Belastung in der Landwirtschaft deutlich gesenkt wird. Genau an dieser Stelle lässt sich nämlich effektiv gegen den Klimawandel etwas tun.
"Hier liegt sehr viel Potenzial." Almut Arneth
Wie und was wir essen, macht den Unterschied für die Zukunft
In der Frage der Ernährung liegt viel Einsparmöglichkeit für CO2, daher raten die Experten des Weltklimarates dringend dazu, die gesamte Produktionskette von Nahrungsmitteln zu überdenken, ebenso aber auch unseren Konsum. Das fängt bei der Lebensmittelverschwendung an, macht aber auch vor unseren Essgewohnheiten nicht halt: Eine ausgewogene Ernährung, die mehr auf Gemüse und Getreide beruht als auf Fleisch, könnte dem ganzen Planeten wohl bekommen. Und langfristig damit auch die Ernährung der Weltbevölkerung sichern helfen.
"Der IPCC-Report macht klar, dass es einem grundlegenden Wandel bedarf, wie wir unser Land nutzen und welche Lebensmittel wir darauf anbauen. Ohne eine Änderungen zu einer gesünderen und Resourcen schonenden Ernährungsweise, die weit weniger tierische Lebensmittel beinhaltet, gibt es kaum eine Chance, den Klimawandel ausreichend zu begrenzen." Dr. Marco Springmann, Oxford Martin Programme on the Future of Food, Universität Oxford, Vereinigtes Königreich
Es gibt viel, was wir tun können
Nicht nur weniger Fleischkonsum hilft dem Klima, auch den Schutz von Wäldern und Mooren, die besonders viel CO2 speichern, legt der IPCC uns ans Herz. Landnutzung müsse vor allem nachhaltig betrieben werden. Dazu brauche es aber ein schnelles und weltweites Umsteuern, so der Weltklimarat.
"Während der politische Fokus allein auf dem Aspekt der CO2-Aufnahme liegt, fasst der Bericht die Nebeneffekte zusammen, die Wälder auf die Wasser- und Energiebilanz haben. Und die, idealerweise, auch ganz lokal dem Klimawandel entgegenwirken können. Relevant ist nicht allein, dass wir siebzig Prozent der eisfreien Landoberfläche nutzen, sondern immer mehr auch, in welcher Art und Weise wir dies tun." Prof. Dr. Julia Pongratz, Lehrstuhl für Physische Geographie und Landnutzungssysteme, Ludwig-Maximilians-Universität München
Die Bedeutung des Sonderberichts
An dem jetzt veröffentlichten Sonderbericht "Klimawandel und Landsysteme: Ein IPCC-Sonderbericht über Klimawandel, Desertifikation, Landdegradierung, nachhaltiges Landmanagement, Ernährungssicherheit und Treibhausgasflüsse in terrestrischen Ökosystemen" haben mehr als hundert Wissenschaftler aus über fünfzig Ländern mitgearbeitet. Er gilt mit rund 1.200 Seiten als bislang umfassendste Abhandlung über den Zusammenhang von Klimawandel und Landnutzung.
Die Erstellung der fundierten Berichte des Weltklimarates nimmt in der Regel mehrere Jahre in Anspruch. Denn sie fassen jeweils den aktuellen, weltweiten Stand der Forschung zusammen und präsentieren dazu Lösungsvorschläge. Die Aufgabe des IPCC ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel neutral an die Politik zu vermitteln.
Bevor ein Bericht veröffentlicht wird, werden im letzten Schritt die "Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger", die zu jedem Bericht erstellt werden, von den Regierungen der Mitgliedsländer Satz für Satz verabschiedet. Damit erkennen die Regierungen die wissenschaftlichen Aussagen der IPCC-Berichte an. Die Aussagen des Weltklimarats dienen als wichtige Basis bei den jährlichen Verhandlungen zur Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und haben international großes Gewicht und hohen Einfluss.
Der Weltklimarat IPCC
Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist eine Institution der Vereinten Nationen. Er wurde 1988 gegründet mit dem Ziel, zu klären, welche Gefährdung von der Erderwärmung ausgeht und ob gehandelt werden muss. 195 Länder sind derzeit Mitglied des IPCC.