Im Jahr 1494 wollte der französische König Karl VIII. mit einem Heer aus ganz Westeuropa Italien erobern. Doch bei der Belagerung der Stadt Neapel brach eine bis dahin unbekannte Krankheit aus. Die Betroffenen litten an Geschwüren und Haut-Ausschlägen. 1495 wurde der Italienfeldzug abgebrochen. Die Epidemie von 1495 gilt heute als der erste historische Nachweis der Syphilis in Europa. Die Soldaten kehrten in ihre Heimatländer zurück und innerhalb von fünf Jahren war die Syphilis in ganz Europa verbreitet. Im 16. Jahrhundert forderte die Krankheit, die auch als "Franzosenkrankheit" bezeichnet wurde, Millionen von Toten. Darunter berühmte Komponisten, Maler, Schriftsteller und Könige. Doch woher die Krankheit kam, war lange umstritten.
Schleppten die Entdecker Amerikas die Seuche in Europa ein?
Viele Wissenschaftler halten die sogenannte "kolumbianische Hypothese" für plausibel. Danach hat die Syphilis ihren Ursprung in Amerika. Die Schiffscrew des Amerika-Entdeckers Christoph Kolumbus soll sich schon bei ihrer ersten Reise in die Karibik im Jahr 1492 damit angesteckt haben und die Syphilis möglicherweise schon Anfang 1493 in Europa eingeschleppt haben.
Doch es gibt auch eine andere Theorie. Die sogenannte "präkolumbianische Hypothese" geht davon aus, dass die Krankheit schon lange vor der Entdeckung Amerikas in Europa kursierte. Zumindest finden sich Hinweise auf eine Syphilis-ähnliche Krankheit an Skeletten von Menschen aus Finnland, Estland und den Niederlanden, die lange vor der Entdeckung Amerikas gelebt haben. Die Krankheit verursacht typische Veränderungen am Skelett und an den Zähnen.
DNA-Analysen belegen "kolumbianische Hypothese"
Welche dieser Theorien stimmt, haben nun Wissenschaftler aus Leipzig mit modernen Methoden untersucht. Sie konnten fünf Skelette aus Mexiko, Chile, Peru und Argentinien untersuchen, die aus der Zeit um Kolumbus stammen oder noch älter sind. So stammte eine Probe aus dem Jahr 1280, lange vor der Ankunft Kolumbus. Insgesamt wurden mehr als 36.000 Proben untersucht – zum Teil lagerten sie bereits im Institut in Leipzig, zum Teil stammten sie aus neuen archäologischen Funden. Dabei sei es tatsächlich gelungen, das Genom des Krankheitserregers der Syphilis "Treponema pallidum" zu rekonstruieren, erklärt Studienleiter Johannes Krause, Direktor der Abteilung für Archäogenetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Das Forscherteam erstellte einen Stammbaum des Erregers und verglich das Erbgut mit heute kursierenden Erregern. Dabei stellte sich heraus, dass die Syphilis in Amerika schon seit etwa 9.000 Jahren existiert – möglicherweise war es ursprünglich eine Infektion durch Tiere. Doch erst um das Jahr 1500 stiegen die Syphilisfälle in der einheimischen Bevölkerung Amerikas explosionsartig an. Genau in dieser Zeit erreichten die ersten europäischen Eroberer die Karibik. Sie steckten sich offenbar bei den Einheimischen an und brachten die Krankheit mit nach Europa. Für das Forscherteam ist damit mit hoher Sicherheit bewiesen: Die Erreger der heutigen Syphilis stammen tatsächlich aus Amerika.
Syphilis-ähnliche Krankheiten vor Kolumbus
Aber auch in Europa gab es bereits vor der Entdeckung Amerikas Krankheiten, die der Syphilis ähnlich waren. So wurden an Skeletten von vor 1492 entsprechende paläo-pathologische Veränderungen gefunden. Das Forscherteam vermutet, dass diese Krankheiten von ähnlichen Erregern ausgelöst wurden. Diese führten aber im Gegensatz zu den späteren Varianten aus Amerika nicht zu Syphilis-Epidemien. Künftige Studien müssen die Frage, um welche Krankheiten es sich dabei handelte, endgültig klären, so Johannes Krause.
Syphilis breitet sich wieder aus
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die Syphilis eine tödliche Krankheit. Heute ist sie mit Antibiotika gut behandelbar - wenn man sie rechtzeitig entdeckt. Doch da nur jeder zweite Infizierte Symptome zeigt, kann sich die Krankheit leicht ausbreiten. Die Zahlen steigen – 2023 wurden über 9.000 Erkrankte in Deutschland registriert. Eine Impfung gegen Syphilis gibt es bisher noch nicht. Experten raten daher Menschen mit erhöhtem Risiko – das sind vor allem Männer mit wechselnden männlichen Sexualpartnern – sich alle drei Monate testen zu lassen.
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