In den USA, in Afrika und in Europa werden derzeit besonders viele tote Seevögel entlang der Vogelzugrouten gefunden. Während die Vogelgrippe, fachsprachlich Hochpathogene Aviäre Influenza (HPAI), früher nur im Winterhalbjahr auftauchte, grassieren Erreger des hochansteckenden Subtyps H5N1 seit mehr als zwei Jahren fast ununterbrochen in unterschiedlicher Intensität überall auf der Welt. So wurden in diesem Frühjahr auch in Bayern schon mehrfach große Zahlen toter Wildvögel gefunden, so zum Beispiel jüngst in den Landkreisen Neu-Ulm, Landshut und Forchheim. Bedroht durch Krankheitswellen sind die Vögel damit seitdem auch während der Brutsaison.
"Noch nie dagewesene Verteilung"
Weltweit bestehe eine "noch nie dagewesene Verteilung" des gefährlichen H5N1-Erregers - sowohl, was die geografische Ausdehnung als auch die Anzahl an Ausbrüchen in Geflügelbeständen und bei Wildvögeln betreffe, sagt Professor Timm Harder, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am bundeseigenen Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Greifswald. Wie sich die Zahl der in diesem Frühjahr verendeten Tiere im Vergleich zum Vorjahr entwickelt hat, könne man derzeit aber noch nicht sagen, so Harder: "Da nicht jeder tot aufgefundene Wildvogel gefunden, gesammelt und untersucht werden kann, ist eine quantitativ vergleichende Einschätzung nicht möglich", so der Virologe. "Die aktuelle Saison wird zeigen, wie viele Vögel zurückkommen und das Brutgeschäft wieder aufnehmen. Erst dann kann man mit größerer Sicherheit über etwaige virusbedingte Verluste diskutieren.
Betroffen vor allem: Wasser- und Seevögel
Betroffen von einer Infektion seien vor allem Wasser- und Seevögel, die häufig in großen Kolonien brüten, dicht aneinandergedrängt, sagt Dr. Alexandra Fink, Ornithologin beim Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV), darunter etwa Arten wie die Flussseeschwalbe, die Brandseeschwalbe oder die Lachmöwe, die über Westafrika oder von dort aus im Frühjahr zu uns ziehen. In den Schutzgebieten Gambias oder des Senegals etwa waren in den vergangenen Wochen massenweise Vogelkadaver entdeckt worden. Zu befürchten ist, dass infizierte Vögel den Erreger von dort aus auch zu uns tragen.
Ganze Arten von Tieren gefährdet
Dass das Virus mittlerweile ganzjährig auftritt und damit auch in der Brutsaison, wenn die Tiere in großen Kolonien dicht aneinander gedrängt leben, macht es besonders gefährlich. So sehr, dass es auch ganze Arten auslöschen könne, sagt Ornithologin Alexandra Fink. Gefährdet seien vor allem seltene Arten, die an nicht mehr vielen Standorten brüteten oder wo es insgesamt nicht mehr viele Vögel gebe. Wenn es dort in der Brutkolonie zu einem Ausbruch komme, könne die Vogelgrippe verheerende Folgen haben. Fink: "Wenn es eben nicht mehr viele gibt, nicht mehr viele Standorte, dann kann sie auch ganze Arten auslöschen." Dem pflichtet auch Timm Harder bei. "Viele Vogelarten werden als in ihrem Bestand gefährdet eingestuft", so der Virologe vom Friedrich-Loeffler-Institut. "Jeder weitere Faktor, insbesondere tödlich verlaufende Virusinfektionen, der zur Instabilität dieser Populationen beiträgt, kann den Pool von Individuen, die für eine Vermehrung zur Verfügung stehen, weiter einschränken.
Seeschwalben: Langsame Vermehrung über Jahrzehnte
Besonders betroffen seien im vergangenen Sommer verschiedene Seeschwalbenarten gewesen, so Harder. Diese Vögel würden vergleichsweise alt, zwischen 15 und 25 Jahre. Pro Saison brächten die Tiere aber höchstens ein Junges durch. Stürben nun viele Altvögel, zum Beispiel durch eine Infektion mit der Vogelgrippe, so hinterlasse das eine möglichweise nur schwer zu kompensierende Lücke in der Populationsstruktur. LBV-Ornithologin Alexandra Fink drückt das so aus: "Deren Leben ist darauf ausgelegt, dass sie weniger Eier pro Jahr liegen, wenige Jungvögel großziehen. Das machen sie aber über mehrere Jahre hinweg, mehrere Jahrzehnte. Das heißt, wenn einmal eine Brutsaison ausfällt, durch schlechtes Wetter zum Beispiel, durch Krankheit, ist es okay. Aber wenn jetzt diese Altvögel früher wegsterben, weil sie diese Krankheit hatten, dann wird es populationsrelevant für diese Altvögel, die dann diese ganzen Jahre zum Ausgleich nicht mehr haben. So fallen ganze Generationen aus und mit den Seeschwalben könnte es zu Ende gehen.
Problem: Zu wenig Rast- und Brutgebiete
Hinzu kommt laut Vogelschützern, dass es für die Tiere zu wenige Vogelkolonien gebe, wo sie Rast machen oder brüten können. An den wenigen Orten, wo dies möglich sei, versammelten sich dann sehr viele Tiere. Wichtig sei deshalb die von der EU angestrebte Renaturierung zerstörter Lebensräume, damit die Zugvögel nicht nur in wenigen großen Kolonien brüten können, sondern verteilt auf viele Orte, heißt es etwa bei "Birdlife International", einem internationalen Vogelschutzdachverband.
Mehr Platz für die bedrohten Arten
Das sei in der Tat wünschenswert, sagt auch Fink vom LBV. Eben weil man die räumliche Nähe dadurch reduzieren könnte, die Tiere könnten sich dann etwas ausbreiten. "Wenn eine Kolonie getroffen wird, heißt das nicht, dass die andere Kolonie auch getroffen wird", so Fink. "Es würde quasi Reservoire geben, wo potenziell noch gesunde Vögel sein können. Das ist aber nicht ganz einfach. Es braucht geeignetes Bruthabitat, es braucht geeignete Nahrung." Die Vögel dürften möglichst wenig gestört werden.
Behörden über tote Tiere informieren
Bis es so weit ist, bleibt nur, das Infektionsgeschehen der Vogelgrippe zu beobachten und zu dokumentieren. Dabei kann jeder Einzelne helfen, wenn er draußen einen toten Vogel findet, sagt Günther Weitzer, Vorsitzender der LBV-Ortsgruppe Mühldorf am Inn. "Im städtischen Bereich sollte man das zuständige Veterinäramt informieren. Wenn man ein totes Tier draußen auf dem Land findet, also auf bejagbarem Gebiet, dann ist es sinnvoll, dies der zuständigen Polizeidienststelle zu melden, die dann den Jäger verständigt." Nach der Meldung an die Behörden würden die Tiere eingesammelt, um die Verbreitung des Virus zu vermeiden und auch, um ein Übergreifen auf Geflügelhaltungen zu vermeiden. Ansteckend für den Menschen ist die Vogelgrippe übrigens nur bei sehr engem Kontakt zu den Tieren. Deshalb sollte man tote Tiere auch keinesfalls selbst berühren.
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