Von einer "äußerst gefährlichen Situation" spricht die Polizei, die "wie durch ein Wunder" nicht zu Verkehrsunfällen geführt habe: Am Samstag haben zahlreiche Landwirte und Spediteure auf dem Weg zu einer Kundgebung in Bayreuth die Autobahn A9 blockiert. Gegen sie ermittelt die Polizei nun - am Dienstag hat sie sich zum Stand der Ermittlungen geäußert.
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Lkw, Traktoren und Schlepper auf drei Spuren nebeneinander
Auf Nachfrage von BR24 hieß es, man ermittle derzeit gegen etwa 75 Protestierende. Sie waren am Samstagvormittag auf dem Weg zu einer Demonstration gegen die Sparpläne der Bundesregierung auf dem Bayreuther Volksfestplatz, bei der sich letztendlich mehr als 3000 Teilnehmende versammelten. Auf dem Weg zum Versammlungsort sollen die Protestierenden mit 75 Fahrzeugen – darunter Lastwagen, Schlepper, Autos und Traktoren – die A9 ab Gefrees in Fahrtrichtung München langsam und teilweise auf drei Fahrspuren nebeneinander befahren haben. Sie hätten damit absichtlich einen schnell auf mehrere Kilometer anwachsenden Stau verursacht. Mehrere Polizeistreifen seien nötig gewesen, um das Ausbremsen der anderen Verkehrsteilnehmer zu beenden und die Personalien der Fahrer festzustellen. Dass es trotz der Aktion nicht zu Verkehrsunfällen gekommen sei, gleiche eher einem Wunder, heißt es von der Polizei.
Die Beamten ermitteln gegen die 75 Fahrzeugführer daher unter anderem wegen des Verdachts der Nötigung und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Zudem sei es wohl zu zahlreichen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung gekommen.
Polizei: Wohl 60 Fahrzeuge, die nicht auf die Autobahn dürften
Denn auch wenn die technischen Voraussetzungen laut Polizei noch nicht für alle Schlepper und Traktoren geklärt seien: Die Beamten gehen mittlerweile davon aus, dass etwa 60 der 75 Demonstrierenden mit Fahrzeugen unterwegs waren, die auf Autobahnen gar nicht gefahren werden dürfen - weil sie nämlich zu langsam unterwegs sind und dadurch eine Gefahr für den übrigen Verkehr darstellen, selbst wenn sie nicht nebeneinander fahren.
Paragraf 18 der Straßenverkehrsordnung (StVO) sieht für Autobahnen eine Mindestgeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde vor, was von landwirtschaftlichen Maschinen oft nicht erreicht wird. Wer dagegen verstößt, muss mit Bußgeldern von bis zu 70 Euro und einem Punkt in Flensburg rechnen.
Die Autobahn als Versammlungsort?
Doch es gibt Ausnahmen für Fahrzeuge, die eigentlich nicht auf die Autobahn dürfen: Dann nämlich, wenn die Versammlung auf der Autobahn angemeldet und die Autobahn als Versammlungsort zugelassen wurde. Sie wird dann für die übrigen Verkehrsteilnehmer gesperrt. Man kennt das von autofreien Sonntagen, an denen Bundesstraßen für Radfahrer und Skater freigegeben werden, oder von Demonstrationen, bei denen Fußgänger auf Hauptstraßen marschieren. "Versammlungsrecht geht über Verkehrsrecht", sagt dazu Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, Experte für Gefahrenabwehr beim Deutschen Anwaltverein (DAV).
Allerdings stehen die Chancen, dass Autobahnen als Versammlungsorte zugelassen werden, in den meisten Teilen Deutschlands eher schlecht. Denn wer eine Versammlung beim Landratsamt anmeldet, der sucht den Austausch von Meinungen. Und dafür dürften Autobahnen selten der richtige Raum sein, glaubt der Anwalt. Ausgeschlossen ist das allerdings nicht: Erst im vergangenen März hatte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Demonstranten genehmigt, sich von einer Brücke in München auf die A9 abseilen zu dürfen.
Stau durch Traktoren: Erlaubt oder Nötigung?
Von einem genehmigten Versammlungsort sei die A9 im vorliegenden Fall aber weit entfernt, heißt es von der Polizei. Schließlich sei die Versammlung gar nicht angemeldet gewesen. Zwar ist das auch nicht zwingend nötig – spontane Versammlungen sind genauso von der Versammlungsfreiheit gedeckt wie angekündigte. Allerdings konnten sich im vorliegenden Fall Polizei und Verkehrsteilnehmer dadurch auch nicht auf mögliche Gefahren vorbereiten.
Für die juristische Aufarbeitung spielt das durchaus eine Rolle, sagt Rechtsanwalt Achelpöhler. So würden Staatsanwaltschaft und Gerichte im Falle von Nötigung stets eine sogenannte "Verwerflichkeitsprüfung" durchführen, die umso besser für die Beschuldigten ausfalle, je mehr mit den Folgen des Protestes gerechnet werden konnte.
Polizei warnt vor "nicht kalkulierbarem Risiko"
Dem Vorwurf der Nötigung sehen sich aber auch die weiteren 15 Fahrzeuglenker ausgesetzt, deren Fahrzeuge rein technisch für das Befahren der Autobahn zugelassen waren. Zwar müssen andere Verkehrsteilnehmer in Kauf nehmen, wenn ein Demonstrant zur Ausübung seines Demonstrationsrechts ein sogenanntes Protestmittel – in diesem Fall ein großes Fahrzeug – verwendet und den Verkehr behindert.
Hat die Fahrt allerdings eher die Verkehrsbehinderung als die Anreise zur Demonstration zum Ziel, ist sie nicht vom Recht auf Versammlungsfreiheit gedeckt. Sie fällt dann in Bereich der Nötigung im Straßenverkehr. Sprich: Wird der Verkehr ausgebremst, weil viele Lastwagen auf der rechten Spur unterwegs sind, ist das hinzunehmen. Fahren drei Lkw nebeneinander, ist es Nötigung. Und die Polizei scheint sich bereits sicher zu sein, wenn sie schreibt: Im vorliegenden Fall wurde der Verkehr "bewusst lahmgelegt".
Aus dem Polizeipräsidium Oberfranken heißt es abschließend: Derartige Aktionen stellten ein nicht kalkulierbares Risiko dar und würden deshalb konsequent unterbunden.
Im Video: Großdemo in Bayreuth am 27. Januar 2024
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