Wie überall in Deutschland haben in dieser Woche auch in Bayern Tausende Landwirte mit ihren Traktoren gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung protestiert. In vielen bayerischen Städten wurde der Verkehr dadurch über Stunden lahmgelegt. Die öffentliche Meinung ist geteilt: Die einen solidarisieren sich mit den Bauern, andere reagieren mit Unverständnis auf die Blockaden. Oft ist dann von Nötigung die Rede. Aber was ist das überhaupt, Nötigung? Welche Aktionen der Landwirte sind von der Versammlungsfreiheit gedeckt und welche nicht? Was ist der Unterschied zu Klimaaktivisten, die Straßen blockieren? Und kann man sich als Verkehrsteilnehmer wehren?
Dürfen Bauern, was andere nicht dürfen?
"Ich darf doch auch nicht mit meinem Fahrrad auf der Autobahn fahren", schreibt ein User unter einen Artikel auf BR24. Und er unterstellt damit, dass die Bauern bei ihren Protesten scheinbar mehr Rechte haben, als andere Verkehrsteilnehmer – oder sie sich aufgrund ihrer starken Traktoren einfach nehmen.
Eins vorneweg: Ob man Traktor fährt oder Fahrrad, auf Autobahnen gilt in beiden Fällen dasselbe. Dort haben nämlich beide nichts zu suchen. Denn weder Traktor noch Fahrrad kommen in der Regel auf eine Mindestgeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde. Und die ist nun mal Pflicht zum Befahren von Autobahnen. Alles andere stört den Verkehr. So bestätigt es auf Nachfrage die Polizei und so regelt es auch Paragraf 18 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Wer dagegen verstößt, muss mit Bußgeldern von bis zu 70 Euro und einem Punkt in Flensburg rechnen. Aber: Es gibt natürlich Ausnahmen.
Nämlich dann, wenn eine Versammlung auf dieser Autobahn angemeldet wurde und die Autobahn als Versammlungsort zugelassen wird. Eine solche Demo können sowohl Treckerfahrer als auch Radler anmelden – auch hier sind beide gleich. Das ist auch der Grund, warum Fußgänger auf Straßen demonstrieren können, auf denen sie sonst nicht laufen dürfen. "Versammlungsrecht geht über Verkehrsrecht", nennt Wilhelm Achelpöhler das. Er ist Experte für Verwaltungsrecht und sitzt für den Deutschen Anwaltsverein (DAV) in einem Ausschuss für Gefahrenabwehr, der das Bundesverfassungsgericht berät. Allerdings stehen die Chancen, dass Autobahnen als Versammlungsorte zugelassen werden, in den meisten Teilen Deutschlands eher schlecht.
Taugt die Autobahn als Versammlungsort?
Denn wer eine Versammlung oder Demonstration bei der Versammlungsbehörde – also den Landratsämtern – anmeldet, der will sein Anliegen ja auch entsprechend präsentieren. Und Autobahnen dürften für einen solchen Austausch an Meinungen nur selten der richtige Raum sein, glaubt der Anwalt.
In Nordrhein-Westfalen dürfe daher grundsätzlich nicht auf Autobahnen demonstriert werden, in Bayern hingegen sei das durchaus schon erlaubt worden. Erst im vergangenen März habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof genehmigt, dass sich von einer Brücke in München Demonstranten auf die A9 abseilten. Allerdings unter der Auflage, dass die Aktion nach 45 Minuten beendet wird. Zuvor hatte ein Verwaltungsgericht das noch verboten. Die in diesen Tagen oft gehörte Aussage, wonach Traktoren die Autobahn befahren dürften, Radfahrer aber nicht, ist so also nicht richtig.
Aber wie steht es um die Autobahnauffahrten? Im schwäbischen Mindelheim ermittelt die Polizei gegen mehr als 100 Traktorfahrer, die im Zuge der Bauernproteste am Montag sämtliche Zufahrtswege in die Stadt und mehrere Auffahrten zur A96 über Stunden blockiert haben. Weil die Landwirte ihre Fahrzeuge für diese Zeit teilweise verlassen haben sollen, ist für Rechtsanwalt Achelpöhler die Sache klar: Wo sich keine Menschen, sondern nur Dinge versammeln, kann schlecht von einer Versammlung die Rede sein. Die Aktionen hätten damit in erster Linie als Verkehrsblockade gedient. Nicht ganz so eindeutig stellt sich die Lage für den Verkehrsrechtsexperten des Deutschen Anwaltsvereins, Martin Diebold, dar. Die Fahrer könnten in Rufweite gewesen sein, sagt er. Das Gegenteil nachzuweisen sei im Einzelfall schwierig, die ganze Sache ein einziger Graubereich.
Verkehrsbehinderungen durch Traktoren sind hinzunehmen
Denn auch wenn derartige Blockaden nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind: Sobald große Gefährte wie Traktoren beteiligt sind, wird scheinbar eindeutiges schnell mehrdeutig. Denn wollen Landwirte demonstrieren, dürfen sie, sozusagen um ihr Anliegen zu untermauern, ihren Traktor einsetzen. Warum? Rechtsanwalt Achelpöhler verweist auf frühere Demonstrationen von Sinti und Roma, denen Gerichte bei Demonstrationen zum Beispiel den Einsatz ihrer Wohnwagen gebilligt hatten. Zur Begründung heißt es, dass der Öffentlichkeit damit der Demonstrationszweck besser deutlich gemacht werden könne. Ganz stereotypisch seien Sinti und Roma eben an Wohnwagen zu erkennen und Landwirte an Traktoren.
Ob nun Wohnwagen oder Trecker: In beiden Fällen ist es so, dass Verkehrsbehinderungen, die durch das Einsetzen dieser Protestmittel entstehen, hingenommen werden müssen. Aktionen hingegen, die eher zum Ziel haben, den Verkehr zu stören, sind nicht vom Recht auf Versammlungsfreiheit gedeckt, sind verboten und fallen in den Bereich der Nötigung im Straßenverkehr. Die regelt Paragraf 240 im Strafgesetzbuch (StGB). Das im Falle hunderter, durch eine Stadt rollender Traktoren zweifelsfrei festzustellen, sei allerdings schwer, sagt Experte Diebold.
Gleiches gilt, wenn sich die Bauern nicht an die Regeln halten, die ihnen die Behörden bei Anmeldung der Versammlung auferlegt haben, wenn an gewissen Punkten in der Stadt beispielsweise länger als erlaubt protestiert wird. Oder wenn die Polizei die Versammlung auflöst und die Demonstranten das Feld nicht räumen. In beiden Fällen sind die Handlungen der Protestierenden dann nicht mehr vom Versammlungsrecht gedeckt. Dass Klagen wegen Nötigung Erfolg haben, wird wahrscheinlicher.
Klebstoff wird für Klimaaktivisten zum Problem
Womit wir bei dem Vergleich der Bauernproteste mit den Klebeaktionen der Klimademonstranten sind. In Passau haben sich Klimaaktivisten am Mittwoch auf die Straße geklebt, dabei Spielzeugtraktoren und Schilder mit der Aufschrift gezeigt "Wir dürfen das, wir haben Traktoren dabei". Und auch im Internet ist immer wieder zu lesen, dass gegen Klimaaktivisten härter vorgegangen wird als gegen die Bauern. Unbestritten sind einige wenige festgeklebte Klimaaktivisten einfacher von der Straße zu entfernen als Hunderte Traktoren. Was das juristische Nachspiel betrifft, gibt es aber eigentlich keinen Unterschied. Eigentlich. Denn das Problem der Klimaaktivisten ist der Klebstoff.
Ihre Strafverfolgung beginnt, wenn die Polizei die Versammlung auflöst, die Aktivisten dem aber nicht nachkommen, weil sie festgeklebt sind. Ab diesem Zeitpunkt machen sie sich der Nötigung strafbar – genauso wie Bauern, die einer Versammlungsauflösung nicht nachkommen, sagt Verkehrsrechtsexperte Martin Diebold. Erschwerend kommt bei festgeklebten Klimaaktivisten hinzu, dass Gerichte die Klebeaktionen auf Straßen in vielen Fällen so beurteilen, dass es zuallererst um das Stören des Verkehrs und nicht um das Mitteilen eines Anliegens geht. Das ist auch der Grund, warum die "Letzte Generation" seit vergangenem Sommer vermehrt auf Protestmärsche und weniger auf Klebeaktionen setzt.
Nötigung anzeigen? Ein Kennzeichen alleine dürfte nicht reichen
Bleibt die Frage, wie sich Verkehrsteilnehmer wehren können, wenn sie sich genötigt sehen? Das Notieren von Kennzeichen alleine reicht vermutlich nicht, sagt Rechtsanwalt Achelpöhler. Die Polizei hat dann zwar einen Hinweis auf den Fahrzeughalter, der allerdings nicht der Fahrer sein und diesen auch nicht unbedingt nennen müsse. Auch Verkehrsrechtsexperte Diebold sagt: Für eine Anzeige werden konkrete Anhaltspunkte nötig. Ideal wäre, wenn der Fahrer des Traktors so gut wie möglich beschrieben werden könnte. Das bestätigt auch die Polizei.
Staatsanwaltschaft und Gerichte unterziehen die Protestaktionen dann einer sogenannten Verwerflichkeitsprüfung. In dieser Prüfung spiele es auch eine Rolle, ob die Versammlung angemeldet war. Entsprechend hätten sich dann nämlich Öffentlichkeit und Polizei auf die Umstände einstellen und für einen weitgehend störungsfreien Ablauf sorgen können – oder eben nicht. Für das Recht, sich zu versammeln, um sein Anliegen vorzutragen, spiele die Anmeldung aber keine Rolle, sagen die Experten.
Nötigung bei Protesten wird selten hart bestraft
Und sie geben auch zu verstehen: Wie groß Stau und Ärger der anderen Verkehrsteilnehmer auch sein mögen: Haben die Bauern sich an die Auflagen gehalten und ihr Recht auf Versammlungsfreiheit nicht nur zur Verkehrsblockade genutzt, dann stehen die Chancen schlecht, dass ein Gericht auf Nötigung entscheidet.
Und selbst wenn es zu Verfahren kommt, werden diese häufig eingestellt, sagt Achelpöhler. Die Schuld sei oft zu gering. Manchmal gebe es Geldstrafen. Mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe müsse höchsten rechnen, wer zuvor schon einiges auf dem Kerbholz hatte.
Im Video: Bauern sorgen für Verkehrsblockade in Mindelheim
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