Eigentlich würden eher seine Kollegen mit lateinischen Sprüchen um sich werfen, sagt der Vorsitzende Richter Michael Kumetz, als er den Prozess eröffnet. Aber wenn er eine Überschrift über dieses Verfahren setzen wollte, dann wäre es doch auch ein lateinischer Spruch: "Quis custodiet ipsos custodes?" Übersetzt: "Wer überwacht die Wächter?" Das, sagt Kumetz, sei die Aufgabe des Gerichtes.
- Zum Artikel: "AfD gegen Verfassungsschutz: Darum geht es heute vor Gericht"
Eine Aufgabe, für die die Richter mehr als 50 Aktenordner durchforsten, mehr als 1.000 Seiten lesen und alleine heute gut acht Stunden verhandeln müssen. Und eine Aufgabe, die am Ende Signalwirkung haben wird – für den Verfassungsschutz, für die AfD und für die Politik.
Seit Juni 2022 beobachtet der bayerische Verfassungsschutz die AfD
So fing es an: Im Juni 2022 unterzeichnet der Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz einen Aktenvermerk. Es geht um die Beobachtung der AfD. Die Verfassungsschützer wollen die gesamte AfD in Zukunft genauer unter die Lupe nehmen. Zu diesem Zeitpunkt hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall eingestuft, das Verwaltungsgericht Köln hat das bestätigt, wenn auch noch nicht rechtskräftig.
In Bayern reagieren die Verfassungsschützer darauf. Sie wollen herausfinden, welche Rolle Extremisten in der Partei spielen und in welche Richtung die Partei insgesamt steuert. Mit dem Aktenvermerk erklärt die Behörde die AfD also zum Beobachtungsobjekt – sichtet fortan öffentliche Posts, Aussagen bei Versammlungen, Reden, und informiert im September 2022 die Öffentlichkeit darüber. Der bayerische Landesverband der AfD klagt: gegen seine Beobachtung und die Information der Öffentlichkeit.
"Tatsächliche Anhaltspunkte" für verfassungsfeindliche Bestrebungen?
Das Gericht muss jetzt klären: Darf das Landesamt die AfD beobachten, oder nicht? Dabei stehen vor Gericht heute zunächst zwei Fragen im Fokus. Zum einen geht es darum, ob es grundsätzlich zulässig ist, dass der bayerische Verfassungsschutz die Gesamtpartei – und nicht nur den bayerischen Landesverband – beobachtet. Zum anderen geht es darum, ob er ausreichend "tatsächliche Anhaltspunkte" dafür hat, dass es in der AfD verfassungsfeindliche Bestrebungen gibt. Die sind laut Gesetz Voraussetzung für die Beobachtung.
Wie oft kann die AfD beobachtet werden?
Für die Prozessvertreter der bayerischen AfD ist die Sache klar. Um 11:27 Uhr zieht Rechtsanwalt Christian Conrad das Mikrofon im Gerichtssaal an sich. Seit zwei Stunden laufen da schon die Verhandlungen. Conrad sagt jetzt: Es werde an der "Herzkammer der Demokratie operiert", wenn die Opposition beobachtet werde. Die Beobachtung würde die politische Tätigkeit der Parteien beeinträchtigen - etwa durch weniger Mitglieder, weniger Wähler und damit eine geringere Finanzierung. Deswegen müssten die Voraussetzungen für eine Beobachtung auch besonders hoch liegen.
Hinzukommt aus Sicht der bayerischen AfD: Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz dürfe nicht die gesamte Partei beobachten. Ansonsten könnten irgendwann das Bundesamt und 16 Landesbehörden die AfD beobachten. Dann werde es absurd, ist von Prozessvertretern zu hören.
AfD in verschiedenen Bundesländern im Fokus
Tatsächlich beobachten zahlreiche Verfassungsschutzbehörden die AfD oder ihre Untergliederungen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Partei als Verdachtsfall ein. Das hat das OVG in Münster gerade erst als zulässig bestätigt. Die Beobachtung durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz kommt da nun dazu.
Jan-Hendrik Dietrich, Professor mit Fachbereich Nachrichtendienste an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, sieht da kein Problem. Der AfD-Landesverband agiere nicht im Nirwana, sondern sei qua Satzung eine Untergliederung der Bundes-AfD. Bei der Frage, inwieweit Äußerungen dem Landesverband zugerechnet werden können, müssten Auswirkungen auf den Freistaat Bayern erkennbar sein – etwa indem sich der Landesverband nicht deutlich von Äußerungen distanziert oder regelmäßig Gastredner einlädt.
Ähnlich argumentiert auch Tristan Barczak, Professor für öffentliches Recht und Sicherheitsrecht an der Uni Passau. Man könne über den Punkt durchaus diskutieren. Es sei nicht selbstverständlich, dass das Bayerische Landesamt eine Gesamtpartei beobachte – auch, wenn er im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz die Möglichkeit dazu sieht. In jedem Fall, so Barczak, sei aber "ein hinreichender Bezug zum Freistaat Bayern und damit zur örtlichen Zuständigkeit des Landesamts" nötig.
Verfassungsschutz: 50 Mitglieder der Bayern-AfD mit extremistischen Bezügen
Und darauf will sich der Vorsitzende Richter Kumetz im Prozess konzentrieren. Es gebe zwar eine Vielzahl an Fragen zu klären. Man werde aber den Fokus auf Erkenntnisse aus Bayern legen, sagt er gleich zu Beginn.
Noch in der vergangenen Woche hat der bayerische Verfassungsschutz dazu Beweise geschickt: einen USB-Stick mit vielen Gigabit Daten.
Insgesamt sieht der Verfassungsschutz in mehr als der Hälfte aller Kreisverbände "einschlägige Erkenntnisse", wie ein Regierungsdirektor aus der Behörde vorträgt. Außerdem habe man Erkenntnisse zu mehr als 50 Personen, teils in herausgehobener Position im bayerischen Landesverband. In der Gesamtschau seien deswegen in der Breite und in der Spitze "tatsächliche Anhaltspunkte für eine beobachtungsbedürftige Bestrebung" zu bejahen.
Menschenwürde von Muslimen ein Thema
Konkrete Beispiele nennt das Landesamt auch: Etwa einen Post auf Facebook: Der Kreisverband Aichach-Friedberg veröffentlichte ein Foto von einem überfüllten Flüchtlingsboot. "Invasorentaxi" steht darunter.
Oder eine Collage: Zwei schwarze junge Menschen halten darauf den deutschen Pass in die Kamera. "Wir sind Deutsche" steht über dem oberen Bild. Das untere zeigt zwei Löwen – mit der Aufschrift "Wir sind Vegetarier".
Oder eine Rede eines bayerischen AfD-Mitglieds. Den Islam bezeichnet der Politiker darin als "ansteckende Krankheit".
Für den Verfassungsschutz sind das Äußerungen, die gegen die Menschenwürde gerichtet sind und Menschen mit Migrationshintergrund als Bedrohung darstellen würden. Für die AfD sind es einzelne Posts von einzelnen Mitgliedern, die sich nicht immer akkurat ausdrücken würden. Sie seien nicht gegen Muslime, sondern gegen Islamisten.
AfD mit neuer Prozesstaktik
Insgesamt ist die AfD im Vergleich zu jüngeren Verfahren zurückhaltend. Vor dem OVG in Münster hatte sie noch gut 470 Beweisanträge gestellt und das Verfahren so in die Länge gezogen. Auch in diesem Verfahren hatte sie solche Anträge bereits angekündigt. Nun sagt Rechtsanwalt Conrad vor Gericht: Es sei "nach derzeitigem Stand" nicht geplant, die eingereichten Anträge zu stellen.
Das Verfahren wird damit beschleunigt – und das dürfte im Sinne der AfD sein. Denn: Je länger sich die Verhandlungen ziehen, desto häufiger werden Belege und Äußerungen von Parteimitgliedern in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Hinzukommt: In der Partei glaubt eigentlich niemand an den Erfolg vor dem Verwaltungsgericht München. Landeschef Stephan Protschka wollte dem BR zwar kein Interview geben, sagte anderen Medien aber am Rande der Verhandlungen, er gehe nicht davon aus, dass man gewinne. Man bereite bereits den Zug in die nächste Instanz vor.
Verfassungsschutz könnte nachrichtendienstliche Mittel einsetzen
Tatsächlich gilt es unter Experten als wahrscheinlich, dass das Gericht die Klage abweist. Nur selten werden in Hauptverfahren andere Entscheidungen getroffen als in Eilverfahren. Sollte das auch in diesem Prozess der Fall sein, gilt es als wahrscheinlich, dass das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzt, um die AfD zu beobachten – also etwa V-Leute oder Observationen.
Vor Gericht sagte ein Vertreter des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz heute: Man wolle "maximal grundrechtssensibel" vorgehen und verzichte deswegen bis zu einem Urteil auf nachrichtendienstliche Mittel. Allerdings: Ein Mal, muss der Vertreter einräumen, sei man davon abgewichen. Man habe eine automatisierte Abfrage gestartet, um an eine Telefonnummer zu kommen. Mehr aber nicht.
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