Es ist noch kein Jahr vergangen, da warf der Penzberger Imam Benjamin Idriz der bayerischen Staatsregierung vor, zu wenig für Muslime im Freistaat zu tun, sie "komplett zu ignorieren". Bayerns Innenminister Joachim Herrmann versprach daraufhin, das Thema "anzupacken" und war heute auf einer Tagung im Heimatministerium in Nürnberg zu Gast.
"Woher kommst du wirklich?"
Unter dem Titel "Muslimisch. Bayerisch. Perspektiven auf Heimat" hatten die Islamberatung, die Eugen-Biser-Stiftung und der Bayerische Landesverein für Heimatpflege Vertreter von Muslimen und aus der Politik zum Gespräch geladen – ein dringender und notwendiger Schritt, wie viele der Teilnehmenden betonten.
Denn noch immer gebe es Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Muslimen und Musliminnen im Freistaat. Wenn etwa Muslime in Bayern auf die Frage: "Woher kommst du?" korrekt mit: "Aus Ingolstadt, aus Kaufbeuren, aus Kitzingen" antworten würden, heiße es noch immer oft: "Nein, woher kommst du wirklich?"
Diese Reaktionen würden Muslime und Musliminnen hierzulande auch noch hören, wenn sie sie schon in der dritten oder vierten Generation hier leben, sagt Stefan Zinsmeister von der Eugen-Biser-Stiftung: "Das heißt, sie werden verbal ausgegrenzt, obwohl sie sich selber eigentlich heimisch fühlen."
Sechs Prozent der Bayern sind Muslime
In Bayern leben aktuell rund 700.000 Musliminnen und Muslime. Das sind etwa sechs Prozent der bayerischen Bevölkerung. Im Alltag aber seien sie oftmals weiterhin nicht sichtbar, sagt Kübra Kisa von der Islamberatung Bayern, die die Tagung im Heimatministerium in Nürnberg mitorganisiert hat: "Wir sehen oft auf muslimischer Seite, dass sich Muslime oft nicht wahrgenommen fühlen, dass sie oft nicht sichtbar sind, obwohl sie längst beheimatet sind."
Veranstaltungen wie die in Nürnberg sollen auch Möglichkeiten für Gespräche und Zusammenarbeit schaffen, zum Beispiel mit dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. Der sieht es inzwischen auch als wichtige Aufgabe an, sich um das muslimische Erbe in Bayern zu kümmern. Denn schließlich beziehe sich die Heimatpflege auf alle in Bayern lebenden Menschen, betont Rudolf Neumaier.
Muslimisches Brauchtum in Bayern dokumentieren
Muslime und Musliminnen würden schon mehr als 100 Jahre in Bayern leben. "Da wird's Zeit, dass wir sie in die Heimatpflege einbringen und dass sie sich in die Heimatpflege einbringen." Konkret kann sich Neumaier vorstellen, muslimisches Brauchtum in Bayern zu dokumentieren, etwa wie Feste hierzulande gefeiert würden. Forderungen an die Politik will er aktuell nicht aufstellen.
Es gehe vielmehr darum, zunächst ins Gespräch zu kommen und sich kennenzulernen. Dieser Meinung ist auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU. Ähnlich wie sein Kollege, der Integrationsbeauftragte Karl Straub, vertritt er die Botschaft: Muslimisches Leben gehört zu Bayern. Für Hermann ist es aber weniger die Frage "ob der Islam zu Bayern gehört, sondern eher, dass es auf jeden Fall Menschen gibt muslimischen Glaubens, die zu Bayern gehören, Menschen, die zum Teil schon vor Jahrzehnten nach Bayern gekommen sind, sich gut integriert haben."
"Wie lange dauert es, bis ich nicht mehr Ausländerin bin?"
Auf der Tagung "Muslimisch. Bayerisch" gab es allerdings durchaus Stimmen, die dem Freistaat in Sachen Integration noch einigen Nachholbedarf attestierten. Zum Beispiel, dass Moscheen in die Innenstädte gehörten, nicht in Industriegebiete. Oder dass Islamverbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts angesehen werden sollten.
Auch das sei wichtig, um ein Gefühl entwickeln zu können, dazuzugehören, sagt Ayten Kilicarslan vom Sozialdienst muslimischer Frauen. "Wir Muslime wollen einfach als Teil dieses Landes gesehen werden. Muslime werden nicht unbedingt als Deutsche wahrgenommen. Aber Muslim sein bedeutet nicht unbedingt Migrant sein." Ihre Familie lebe in dritter Generation in Deutschland und sie frage sich, wie lange es dauern wird, bis sie nicht mehr als Ausländerin wahrgenommen werde.
Defizite bei der Integration hat das Bayerische Innenministerium inzwischen erkannt und bietet seit einigen Monaten Begegnungsveranstaltungen wie diese in Nürnberg an. Man müsse ins Gespräch kommen, viel mehr als bisher. Denn – so Innenminister Hermann weiter – noch immer gebe es im Freistaat viele Menschen, die sehr wenig über den Islam und Muslime hierzulande wüssten. Es brauche ein Aufeinanderzugehen.
Im Video: Bayerische Muslime diskutieren über Heimat
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.