Seit Ende Februar sitzt Christian Bernreiter, 57, im Kabinett von Markus Söder - um bei den Mega-Themen Wohnen, Bauen und Verkehr für neue Impulse zu sorgen. Zuvor war er 20 Jahre Landrat in Deggendorf, seit 2014 zusätzlich Präsident des Bayerischen Landkreistags. Bei der Landtagswahl will Bernreiter für die CSU in Niederbayern über 40 Prozent holen und die Freien Wähler mit Hubert Aiwanger in die Schranken weisen.
BR24: Herr Verkehrsminister, was ist Ihr Lieblings-Fortbewegungsmittel?
(schmunzelt) Ich fahre sehr gerne Rad. Meine Familie hat seit eineinhalb Jahren ein E-Auto, das nehme ich für die Kurzstrecke. Und weil meine Frau aus Schleswig-Holstein kommt, fahren wir dort auch öfter hin – mit dem Diesel-Auto.
Eines der wichtigsten Themen der Deutschen: ihr Auto, die Spritpreise. Dabei sollten wir weniger Erdöl verbrauchen, gerade angesichts des Kriegs in der Ukraine und der energiepolitischen Folgen. Was kann das Verkehrsministerium fürs Spritsparen tun?
Wir können die Bürger dazu animieren. Mein Eindruck: Viele fahren schon jetzt sehr vernünftig und spritsparend. Ich bin aber kein Freund von Verboten, wenn Sie auf ein Tempolimit auf Autobahnen anspielen…
…da wollten wir jetzt gar nicht hin...
Trotzdem nochmal ganz klar: Ich bin gegen ein Tempolimit und werde das deshalb auch nicht fordern.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass es in zehn Jahren einen nennenswerten Anteil an E-Autos in Bayern gibt?
Sehr zuversichtlich. Weil die ganze Industrie entsprechend umstellt. Auch bei den Ladesäulen wird nochmal ein Schub kommen. Aber generell habe ich beim Thema Verkehr schon in meinen ersten Ministerwochen gelernt: Man braucht viel Geduld und muss in großen Zeitspannen denken – besonders wenn es mit der Deutschen Bahn zu tun hat. Für das meiste gilt - ob Straßenbau oder Schiene: Was ich jetzt anschiebe, da werde ich wohl nicht mal beim Spatenstich dabei sein.
Welchen Spatenstich würden Sie gerne erleben?
Bei den Bundesstraßen will ich so viele Lückenschlüsse wie möglich. Da geht es um die Erschließung des ländlichen Raums. Ich kenne viele Leute von der tschechischen Grenze, die bis zur Autobahn so lange brauchen wie dann von Deggendorf nach München. Am Straßenbau zu sparen – solche Forderungen verstehen Menschen im ländlichen Raum nicht.
Neue oder ausgebaute Bundesstraßen auf dem Land bedeuten: Dort bleibt das Auto auf Jahrzehnte Fortbewegungsmittel Nummer eins.
Natürlich wollen wir auch den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Im vergangenen Jahr haben wir bereits in 30 von 55 bayerischen Landkreisen im ländlichen Raum ein flexibles System gefördert, zum Beispiel Rufbusse. Leider ist da durch Corona vieles wieder eingebrochen. Aber zur Wahrheit gehört auch: Wenn so ein Rufbus auf 1.000 Fahrgäste pro Monat kommt, ist das in ländlichen Regionen schon ein großer Erfolg.
Sie sind gegen einen ÖPNV-Stundentakt überall ab 5 oder 6 Uhr morgens. Warum?
Ich komme aus einem Dorf mit 20 Häusern. Meine Nachbarn arbeiten in alle Himmelsrichtungen verstreut. Da bräuchte man im Grunde für jeden einen eigenen Fahrer. Eineinhalb Stunden Rundstrecke bis zum Ziel will ja auch niemand. Da schläft man lieber länger – und nimmt dann das Auto. In den Kernzeiten haben wir auch im ländlichen Raum oft schon jetzt einen Stundentakt. Aber leere Busse den ganzen Tag stündlich rumfahren lassen, ist auch ökologisch nicht sinnvoll.
365-Euro-Ticket für alle bleibt "langfristiges Ziel"
Ständig ist zu hören: Der ÖPNV soll attraktiver werden. Aber die von CSU und Freien Wählern angekündigten 365-Euro-Jahrestickets in mehreren bayerischen Städten kommen nicht voran. Zuletzt hat der Stadtrat in Nürnberg das Projekt abgeblasen, wegen zu wenig Geld von Bund und Freistaat. Werden Sie da als Minister nochmal intervenieren?
Wir müssen die Steuereinnahmen der nächsten Zeit im Auge haben. Das 365-Euro-Ticket für alle ist finanziell eine Hausnummer. Deshalb muss man das unter Finanzierungsvorbehalt stellen. Das Blaue vom Himmel zu versprechen, wäre nicht redlich.
Im Koalitionsvertrag steht aber: "Für die großen Städte München, Nürnberg/Fürth/Erlangen, Augsburg, Regensburg, Ingolstadt und Würzburg wollen wir auf Dauer ein 365-Euro-Jahresticket einführen."
Das bleibt ein langfristiges Ziel. Zunächst soll das 365-Euro-Ticket dort überall für Schüler und Auszubildende kommen, langfristig dann für alle. Richtig ist aber auch: Der Koalitionsvertrag wurde vor vier Jahren abgeschlossen. Seitdem haben sich viele Dinge verändert.
Nochmal zur Bahn: Nicht alles müsste ja neu gebaut werden: Warum fordern Sie nicht, die hohen Hürden für die Reaktivierung alter Bahnstrecken zu senken?
Stand jetzt müssten mindestens 1.000 Fahrgäste pro Werktag eine Bahnverbindung nutzen, damit eine Reaktivierung wirtschaftlich sinnvoll ist. Schon als Präsident des Landkreistags war ich dagegen, diese Hürde niedriger zu legen. Und ich habe da meine Meinung als Minister nicht geändert. Wir können unser Geld nur einmal ausgeben – oft lohnt sich das bei eigentlich stillgelegten Bahnstrecken einfach nicht.
BayernHeim: "Hoffe, dass wir deutlich vorankommen"
Sie sind auch Bauminister. Die bisherige Bilanz der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft BayernHeim ist, freundlich formuliert, stark ausbaufähig. Ein Mühlstein, den Sie geerbt haben?
Ich hoffe, dass wir da deutlich vorankommen. Die BayernHeim hat derzeit 3.460 Wohnungen - im Bestand, im Bau und in Planung oder Vorbereitung.
Die meisten davon sind aber bisher nur geplant, laut Homepage hat die BayernHeim aktuell gerade einmal 300 fertige Wohnungen für Sozialmieter. Und der Oberste Rechnungshof kritisiert: Diese wurden auch noch als bereits fertige Sozialwohnungen gekauft - neuer Wohnraum ist das nicht.
Nach Startschwierigkeiten sind wir auf einem guten Weg. Wir haben insgesamt 865 Millionen Euro für die Wohnraumförderung zur Verfügung und können das jetzt im Bau einsetzen. Aber die Umstände sind nicht leicht – wir haben teure Baukosten, Personalmangel, hohe Energiepreise. Mein Ziel als gelernter Stahlbau-Ingenieur ist trotzdem, dass die BayernHeim neue und bezahlbare Wohnungen baut, nicht kauft.
Ministerpräsident Söder hat als BayernHeim-Ziel 10.000 neue Wohnungen bis 2025 ausgegeben - und das bisher nicht zurückgenommen.
Ich werde jetzt angesichts der schwierigen Umstände nicht auf 15.000 erhöhen. Mein Ziel lautet: so viele neue Wohnungen wie möglich.
Staatliche Flächen unter Wert verkaufen, um Grundstücke für Wohnraum zu schaffen – warum passiert das in Bayern so selten?
Wenn wir Grundstücke ins Auge fassen, kommen von allen Seiten Gründe, warum es gerade in dem konkreten Fall nicht passt. Das ist generell bei Nachverdichtung so: Das Ziel finden alle gut – aber wenn es konkret wird, gibt’s sofort eine Bürgerinitiative.
Es braucht aber in bestimmten Regionen schnell mehr Grundstücke und Wohnungen darauf.
Ich will da jetzt nicht drohen. Aber irgendwann muss der Staat eingreifen, um das Gemeinwohl vor Einzelinteressen zu stellen.
In München gibt es eine Debatte über den Wunsch von Apple nach einem weiteren Standort. Dann dürften wieder Mieter verdrängt werden – durch gut bis sehr gut verdienende Beschäftigte. Müsste ein solcher Konzern nicht selbst Wohnungen bauen?
Ich halte nichts von dieser Debatte. Da geht es um Arbeitsplätze und damit um Wohlstand. Wir können uns unseren Sozialstaat nur leisten, wenn die Wirtschaft brummt. Wenn wir einem Weltkonzern die Auflage machen, erstmal selbst Wohnungen zu schaffen, dann geht der halt nach Paris oder anderswohin.
"Da müssen Sie die Oberbürgermeister fragen"
Sie haben erwähnt, dass Sie gerne radeln. Auch in München?
Ich bin schon durch den Englischen Garten hochgeradelt, dann bis zur Allianz-Arena und wieder zurück. In den Morgenstunden. Ein schönes und spannendes Erlebnis.
Durch den Stadtverkehr haben Sie sich noch nicht getraut mit dem Fahrrad?
Bisher nicht. Das ist mir schon als Fußgänger manchmal zu viel (lacht).
Kopenhagen, Paris, Utrecht – viele Städte bauen Straßen zurück zugunsten von Fußgängern und breiteren Radwegen. Warum passiert das nicht in München, Nürnberg, Würzburg?
Da müssen Sie die Oberbürgermeister fragen. Ich bin ein Fan der kommunalen Selbstverwaltung und möchte da nicht hineinreden. Klar ist aber: Wir bauen den Fahrradverkehr überall aus. Radwege werden in Bayern vom Freistaat mit 70 bis 80 Prozent gefördert. Dazu kommen heuer zehn Millionen Euro für unsere "Rad-Offensive".
Bernreiter und die Niederbayern-CSU: "Ziel ist über 40 Prozent"
Markus Söder erwartet von Ihnen nicht nur neuen Schwung als Minister – sondern hat auch in der CSU für die Landtagswahl 2023 eine besondere Aufgabe für Sie vorgesehen: Als Listenführer Niederbayern rocken. Last oder Lust?
Natürlich hängt heutzutage viel vom Spitzenkandidaten ab, auch vom regionalen. Ich hoffe, dass mich meine niederbayerischen Landsleute auch im nächsten Jahr stark unterstützen, wie in der Vergangenheit schon bei Wahlen zum Landrat in Deggendorf oder anderen Abstimmungen.
Als neuer starker Mann der CSU in Niederbayern müssten sie eigentlich auch Bezirksvorsitzender werden. Das ist aktuell noch ein gewisser Andreas Scheuer.
Darüber habe ich ehrlich gesagt bisher nicht nachgedacht. Ich sitze auch nicht zuhause und frage mich, was ich noch zusätzlich werden könnte. Ich werde mich im Herbst 2023 um das Landtagsmandat bemühen und die Niederbayern-Liste anführen.
Bei der Landtagswahl 2018 holte die CSU in Niederbayern 38,1 Prozent. Was ist das Ziel dieses Mal?
Deutlich über 40.
Und was sollte die CSU bayernweit holen?
Ich werde jetzt keine Messlatten definieren, aber nicht schlechter als letztes Mal ist schon unser Ziel.
Damals waren es für die CSU historisch geringe 37,2 Prozent – auch wegen der Freien Wähler um Hubert Aiwanger. Sie werden sich in Niederbayern direkt mit ihm messen: Wie wollen Sie ihn dieses Mal im Zaum halten?
Ich habe mit dem Kollegen Aiwanger bisher immer eine faire Auseinandersetzung gehabt. Inhaltlich habe ich ihn bei vielen Themen gestellt, zum Beispiel bei den Flutpoldern, gegen die er lange Stimmung gemacht hat. Ich werde zuhause als Realist und ehrlicher Kommunalpolitiker wahrgenommen. Ich erzähle nicht irgendwelche Märchen.
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