Berlin, 13. Dezember 2023. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen im Haushalt 60 Milliarden Euro. Kanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner suchen auch im Agrarsektor nach Einsparungen. Rund eine Milliarde Euro sollen durch die Abschaffung der Energiesteuerrückerstattung für Agrardiesel sowie die Aufhebung der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Maschinen eingespart werden. Die Landwirte sind empört. Warum soll ausgerechnet bei ihnen so viel gespart werden?
Von Spontandemonstrationen zu europaweiten Bauernprotesten
Der Bayerische Bauernverband (BBV) und der Verband "Landwirtschaft verbindet Bayern" (LsV) rufen nach vereinzelten Spontandemos zu einer Aktionswoche Anfang Januar 2024 auf. Die Großkundgebung findet am 8. Januar am Münchner Odeonsplatz statt. Die führenden Protestfiguren sind Günther Felßner, Präsident des BBV, und Claus Hochrein, Erster Vorsitzender von LsV. Beide geben sich kämpferisch, aber friedlich. Das Ziel: die Sympathien der Bevölkerung gewinnen.
Felßner und Hochrein als Anführer des Protests
Der Protest richtet sich gegen die Ampelregierung in Berlin. Felßner und Hochrein fallen in dieser Zeit als lautstarke Oppositionelle auf. Egal auf welcher Bühne sie stehen, sie wettern gegen die rot-gelb-grüne Regierung in Berlin, obwohl diese für vieles gar nicht verantwortlich ist, da es bereits vor ihrer Amtszeit beschlossen wurde.
Viel Rückenwind bekommen Felßner und Hochrein in Bayern von der CSU und den Freien Wählern. Das hat für die beiden auch ganz unmittelbare Auswirkungen: Beide stehen mittlerweile auf der Liste der CSU für die Bundestagswahl, allerdings mit geringen Chancen auf Erfolg. Felßner will sogar Bundeslandwirtschaftsminister werden. CSU-Vorsitzender Markus Söder hat ihn bereits im November als Nachfolger für den grünen Cem Özdemir vorgeschlagen.
Erster Erfolg: Berlin lenkt ein
Doch die Proteste haben mehr hervorgebracht als zwei weitere Kandidaten für die CSU. Berlin gibt bereits Anfang Januar teilweise nach und nimmt die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung zurück. Doch die Subvention für Agrardiesel soll weiterhin abgeschafft werden, allerdings in mehreren Etappen und nicht sofort. Außerdem soll es als finanziellen Ausgleich ein "Agrarpaket" für die Landwirte geben. Doch den Landwirten geht es nicht allein um Geld. Sie wehren sich dagegen, als Sündenböcke für Versäumnisse in Bereichen wie Artenschutz, Biodiversität und Flächenverbrauch herhalten zu müssen. Ihre Forderung: mehr Wertschätzung und Anerkennung.
Bauernproteste waren nie allein deutsch
Die Bauernproteste waren nie allein deutsch, sondern immer europäisch. Anfang Februar geht es in Brüssel heftig zu. Vor dem Parlament zünden Bauern Heuballen an; mit gut tausend Traktoren legen sie das Viertel lahm. Gleichzeitig läuft der EU-Gipfel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen sucht das Gespräch mit den Bauernverbänden. Anschließend äußert sie, wie viele Politiker dieser Zeit, Verständnis für die Sorgen der Bauern. Danach schafft sie Fakten.
Zweiter Erfolg: Pestizidgesetz und Flächenstilllegung gestoppt
Von der Leyen nimmt, höchstpersönlich, den Vorschlag für das Pestizidgesetz zurück. Nach der geplanten Verordnung sollten Bauern in der EU den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren. Und noch mehr: Eigentlich sollten Landwirte in der EU vier Prozent ihrer Flächen zum Wohle der Artenvielfalt stilllegen. Infolge der Bauernproteste wiederum stoppt die EU im Eilverfahren eine der wesentlichen Maßnahmen des Green Deals. Umweltverbände stehen unter Schock und sprechen damals von einer "Bumerang-Politik auf Kosten von Landwirtschaft, Klimaschutz und Natur".
Agrarpaket oder nur ein Agrarpäckchen?
Das größte politische Resultat der Proteste in Deutschland war das "Agrarpaket", das im September 2024 im Bundesrat verabschiedet wurde. Es beinhaltet Maßnahmen zur Entlastung der Landwirte, wie die sogenannte Gewinnglättung: die Möglichkeit, Einkünfte über mehrere Jahre zu versteuern. Ebenso wurde den Landwirten versprochen: weniger Bürokratie und mehr Planungssicherheit. Von beidem wurde aus Sicht der Landwirte bisher nichts umgesetzt. Die Bauernverbände kritisieren das Paket als unzureichend. Sie bezeichneten das "Agrarpaket" deshalb als "Päckchen".
Das Fazit: Ein schwieriger Erfolg
Mit dem Frühling 2024 kehren die Landwirte auf ihre Felder zurück und der Protest auf der Straße endet. In den Augen vieler Bauern bleibt das Ergebnis hinter den Erwartungen zurück. Doch die Proteste haben vor allem eines erreicht: Sie haben die Stimmen der Bauern laut und klar hörbar gemacht.
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