Der "Mamba-Böller", der am 11. November im Augsburger Fußballstadion explodiert, war ein anderes Kaliber. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Das wird schnell klar, als ein 14 Jahre alter Bub in den Zeugenstand tritt. Er berichtet, wie der Böller direkt neben ihm explodiert, wie ein Splitter seine Hose durchdringt und eine tiefe Fleischwunde in seinen Oberschenkel reißt. Eine Frau, die mit ihrer Tochter im Stadion war, spricht vom "schlimmsten Tag" ihres Lebens. Weil die Zeugin weint, ist sie nur schwer zu verstehen. "Meine Tochter hat geschrien, dass sie nichts mehr hört."
Insgesamt zwölf Personen werden beim Bundesliga-Heimspiel des FC Augsburg gegen Hoffenheim verletzt, darunter fünf Kinder. Vier Fans der TSG Hoffenheim wurden nun dafür verurteilt. Der 28-Jährige, der den Böller aus dem Hoffenheimer Fan-Block geworfen hat, muss für drei Jahre ins Gefängnis. Die Mitangeklagten erhielten Bewährungsstrafen. Hinzu kommen Geldstrafen und gemeinnützige Arbeit für die Verurteilten. "Sie haben eine rote Linie deutlich überschritten", so der Vorsitzende Richter. "Der verwendete Böller wird teils zum Sprengen von Geldautomaten verwendet."
Gericht berücksichtigt Explosionskraft des Böllers im Stadion
Ein hartes Urteil, sagen nicht nur die Verteidiger. Dass es so ausgefallen ist, hat auch mit dem Bub zu tun, der so schwer am Oberschenkel verletzt wurde. Hätte der Böllersplitter seinen Hals getroffen, hätte der Böllerwurf weit schlimmer enden können. "Potentiell tödlich", sagt der Staatsanwalt. In seinem Plädoyer hatte er vier Jahre und zehn Monate Haft für den Hauptangeklagten gefordert.
Die Angeklagten waren sich der Explosionskraft ihres Böllers durchaus bewusst. "Der reißt dir deinen ganzen Arm weg", zitiert der Vorsitzende Richter Christoph Kern aus den sichergestellten Chatprotokollen einen der Angeklagten. "Junge da wackelt das Stadion, da scheppert alles zusammen", schreiben sie weiter.
Die harten Strafen können eine Genugtuung für die Opfer sein. Doch der Prozess weist weit darüber hinaus. Es geht um grundsätzliche Fragen: Wie sicher sind gerade Kinder in Stadien? Lassen sich derartigen Vorfälle verhindern? Und hat dieser Fall Auswirkungen auf die Fan-Kultur?
Der entscheidende Tipp kam von den Ultras selbst
Einen Teil der Antwort findet man bereits in den Minuten, nachdem der Böller detoniert. Es sind die Ultra-Fans der TSG Hoffenheim, die der Polizei entscheidende Hinweise zur Identität der Verdächtigen geben. Ein Foto aus einem Chat-Verlauf ist der wichtigste Hinweis. Auch deshalb können die Ermittler schnell Verdächtige festnehmen.
Ein wichtiges Signal, sagt Fan-Forscher Harald Lange von der Uni Würzburg. Es sei klargemacht worden, dass solche Böller "außerhalb der Normen der Fan-Kultur stehen". Die Zusammenarbeit der Ultras mit den Ermittlern sei eine klare Positionierung gegenüber den Augsburger-Böllerwerfern: "Die gehören nicht zu uns, die grenzen wir aus, und notfalls denunzieren wir sie auch." Das sei das Signal, so Forscher Lange. Das helfe, die Stadien sicher zu machen.
Die Kontrollen am Stadioneingang – eine Schwachstelle
Denn Einlass-Kontrollen allein können das Problem nicht lösen. Da sind sich alle Kenner der Szene einig. Der Augsburger Fall hat das nochmals schmerzhaft deutlich gemacht: "Das geht schon klar, die kontrollieren eh nicht so richtig in Augsburg", schrieb einer der vier Männer im Vorfeld der Tat.
Eine Aussage, die der FC Augsburg zwar klar zurückweist. Das Sicherheitskonzept sei mit der Polizei erarbeitet worden, die Kontrollen unabhängig geprüft worden. Allerdings sind die Kontrolleure in ihren Mitteln begrenzt. Ein prüfender Griff in den Intimbereich ist beispielsweise nicht erlaubt. Genau das nutzten auch die Angeklagten, um den Böller ins Stadion zu schmuggeln.
Der Einsatz von Körperscannern, wie man sie vom Flughafen kennt, sei in einem Stadion mit Zehntausenden Besuchern nicht möglich, betont Fan-Forscher Lange. "Ein Fußballstadion ist kein Hochsicherheitstrakt", heißt es auch vom FC Augsburg. Deshalb darauf zu schließen, dass ein Stadionbesuch eine gefährliche Sache sei, sei jedoch ein Trugschluss.
"Ich kann verstehen, wenn Eltern nun nicht mehr mit ihren Kindern ins Stadion wollen", sagt Lange nach dem Vorfall. "Aber das sind Einzelfälle." Stadien seien in den letzten Jahren sichere Orte geworden. "Man muss die ganze Saison im Blick haben. Und da kann man zum Glück sagen: Das sind Ausnahmen." Die Gefahr für Kinder im Stadion sei vergleichbar mit der auf Volksfesten.
Fordern die Fußballvereine eine finanzielle Entschädigung?
Spannend wird sein, wie nun Vereine und Fans auf die Urteile reagieren. Dass Böllerwürfe im Stadion im Gefängnis enden können, diese Botschaft sollte aufgrund des großen medialen Interesses nun den Fans und Ultras hinlänglich bekannt sein. Bleiben mögliche zivilrechtliche Forderungen. Ein Verteidiger sprach von "nicht unerheblichen Regressforderungen" der beiden Fußballvereine FC Augsburg und TSG Hoffenheim. "Die werden ihre Strafen sicher an die Täter weiterreichen", so der Verteidiger weiter.
In ihren letzten Worten entschuldigten sich die geständigen Angeklagten nochmals für ihre Taten. "Es tut mir von Herzen leid", sagte der Hauptangeklagte. "Ich will aus den Fehlern lernen und hoffe auf eine zweite Chance." Einer der drei Mitangeklagten war den Tränen nahe: "Durch meine einmonatige U-Haft habe ich gelernt, dass das Leben auch eine andere Seite hat. Ich habe Angst, durch diese Sache mein Leben und meine Arbeit zu verlieren."
Das von der Staatsanwaltschaft geforderte Stadionverbot wollte der Richter übrigens nicht aussprechen. Er gab den drei Mittätern aber eine klare Botschaft mit auf den Weg: "Wenn Sie in ein Stadion gehen, dann schauen Sie, dass Sie sich benehmen, sonst ist die Bewährung weg. Sofort!"
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Audio: Nach Böllerexplosion im Augsburger Stadion: Hauptangeklagte und drei weitere Männer vor Gericht
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