Wenn Christian Pöschl in der Innenstadt Flyer verteilt, bekommt er von vielen Zuspruch. Pöschl ist Sprecher der Initiative "Gleisfrei Regensburg". Sie kritisiert die Pläne der Stadt eine Straßenbahn bauen zu wollen. In der ganzen Stadt hängen Transparente der Gruppe. An vielen Bushaltestellen stehen alte Fahrräder an die Poster befestigt sind, die für ein "Nein" im Bürgerentscheid am Sonntag werben.
Zwei Linien, 17 Kilometer Netz, 30 Haltestellen
Die geplante Trasse soll in Nord-Süd-Richtung durch Regensburg fahren. Zwei Linien sind derzeit geplant, die wichtige Punkte erreichen sollen: Jahnstadion, Universität, Uniklinik, Hauptbahnhof, Dachauplatz, das Landratsamt und mehrere Einkaufszentren. Die Bahn soll auf der stark befahrenen Nord-Süd-Trasse die vielen dort fahrenden Busse ersetzen. Diese könnten dann im Rest der Stadt eingesetzt werden und so den ÖPNV auch im Osten und Westen verbessern, hoffen die Planenden. In den frühen 2030er Jahren könnten die ersten Bahnen fahren, wenn bei der Genehmigung alles gut geht und der Bürgerentscheid am Sonntag das Projekt nicht stoppt.
Hohe Kosten trotz hoher Förderung
Die Stadtbahn ist aber auch mit großen Kosten verbunden. Die Stadt geht nach aktuellem Stand von 878 Millionen Euro aus. Rechnet man das auf das mögliche Jahr der Einführung 2030 hoch, würde das Projekt wohl etwa 1,2 Milliarden Euro kosten. Zwar werden Bund und Freistaat wohl einen Großteil der Kosten über Förderungen übernehmen, trotzdem müsste die Stadt wohl knapp eine halbe Milliarde Euro selbst finanzieren, heißt es aus der Verwaltung. Dazu kämen Zinsen für die entsprechenden Kredite, sagen die Gegner, denen die Ausgaben viel zu hoch sind. Über 30 Jahre verteilt, könne sich die Stadt das vielleicht leisten, sagt Christian Pöschl, aber wer wisse heute schon, wie sich die finanzielle Situation der Stadt dann darstellt. "Dieses Geld würde bei vielen, vielen anderen Projekten einfach fehlen. Und ob sich das die Stadt leisten kann, dass das Geld dann fehlt, das wage ich zu bezweifeln", sagt Pöschl.
Gegner: Busnetz ausbauen
Aus Sicht der Gegner ist Regensburg nicht geeignet für ein Schienensystem. Dieses sei zu unflexibel, etwa bei Störungen. Auch die Siedlungsstruktur sei zu kleinräumig. Außerdem seien viele Straßen entlang der Trasse zu eng. Pöschl würde sich stattdessen einen Ausbau des bestehenden Bussystems wünschen. Das sei günstiger und höchstens zu den Spitzenzeiten am Morgen kurz an der Kapazitätsgrenze. Schon eine leichte Verschiebung des Schulbeginns an einzelnen Schulen würde das Entzerren. Am Rest des Tages wäre eine Stadtbahn oft leer. Das würden Zählungen der Gruppe zeigen.
Befürworter: Straßenbahn schneller und effektiver
Doch es gibt in der Stadt auch viele Befürworter des Projekts und auch Experten sehen Straßenbahnen im Vorteil. Sogar beim Thema Kosten: Die Anfangsinvestitionen seien bei einer Bahn natürlich höher, da beispielsweise erst die Schienen gebaut und die Bahnen angeschafft werden müssen, doch im laufenden Betrieb sei eine Stadtbahn günstiger, sagt etwa Johannes Klühspies von der Technischen Hochschule in Deggendorf, wo er den Studiengang Verkehrswissenschaften leitet. Busse, insbesondere E-Busse, müssten viel häufiger ausgetauscht werden als Bahnen, die bei ausreichend Fahrgästen im Betrieb günstiger und auch effektiver seien. "Stadtbahnen sind im Vergleich zu Bussen stets schneller, zuverlässiger und sicherer", so Klühspies. Eine Straßenbahn könne bis zu sechsmal so viele Menschen transportieren. "Um die gleiche Menge an Menschen in Regensburg zu transportieren, müssten die Betreiber sechsmal so viele Busse mit Lärm, Dreck und natürlich allen möglichen Emissionen einsetzen, um das zu schaffen, was eine Straßenbahn ganz locker wegschafft", sagt Klühspies.
Experte: Technische Alternativen noch nicht einsetzbar
Als Gegenmodell werden von Stadtbahngegnern in der Regensburger Politik häufig auch technische Alternativen ins Spiel gebracht, z.B. das sogenannte "Bus-Platooning". Dabei fährt ein Bus mit Fahrer voraus und andere Busse mit Hilfe von Sensoren autonom im kurzen Abstand hinterher. Dadurch hätten Busse eine ähnliche Kapazität wie eine Bahn und das ganz ohne an eine festverlegte Schiene gebunden zu sein. "Es ist immer schön, auf technische Lösungen zu schauen und zu hoffen, dass die etwas bringen", sagt Verkehrswissenschaftler Klühspies über das Bus-Platooning. Allerdings sieht er in der Praxis derzeit noch keine Chance für solche Lösungen. Würde das System einmal versagen, könnte es zu schweren Unfällen mit vielen Verletzten kommen. Dieses Risiko würde aktuell kein Betreiber eingehen und dafür auch von keinem Anbieter eine Versicherung bekommen, sagt Klühspies.
Bei "Nein" werden Planungen beendet
Ohne Stadtbahn müsste Regensburg das Bussystem weiter ausbauen, das komme aber bald an die Belastungsgrenze, sagt Regensburgs Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer. Ein Ausbau wäre ebenfalls mit hohen Kosten verbunden. Sprechen sich die Gegner am Sonntag im Bürgerentscheid gegen die Stadtbahn aus, muss die Stadt aber zwangsweise auf Busse setzen. Die Stadtbahn-Planungen würden bei einem "Nein" im Ratsbegehren unmittelbar gestoppt.
Im Video: Bürgerentscheid in Regensburg um die geplante und umstrittene Stadtbahn
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