Eine obdachlose Person sitzt mit ihrem Hund am Kircheneingang in München im Winter.
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Menschen ohne festen Wohnsitz stehen bei der Ausübung ihres Wahlrechts vor großen Hürden (Symbolbild).

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Menschen ohne Wohnsitz: Warum das Wählen für sie schwierig ist

Menschen ohne Wohnsitz: Warum das Wählen für sie schwierig ist

Für die meisten erfolgt er automatisch über die Meldeadresse: der Eintrag ins Wählerverzeichnis. Aber wie ist das für Menschen, die keinen festen Wohnsitz haben? Bei der Wahlbeteiligung stehen sie vor einigen Hürden.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Eigentlich dachte Holger, dass es für ihn einfach sein wird, zu wählen: Er ist volljährig, hat die deutsche Staatsbürgerschaft und ist seit über drei Monaten in Deutschland. Jetzt sitzt er mit einer Sozialarbeiterin zusammen und ihm fällt auf: Er weiß nicht, wohin das Wahlamt seinen Wahlschein schickt. Ob er überhaupt noch im Wählerverzeichnis eingetragen ist. An seiner alten Meldeadresse wohnt Holger nicht mehr, seit einigen Monaten lebt er auf der Straße.

Ohne Adresse kein automatischer Eintrag im Wählerverzeichnis

Ohne eine Meldeadresse werden Menschen ohne Wohnsitz nicht automatisch im Wählerverzeichnis aufgeführt. Sie müssen in ihrem Wahlamt einen Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis einreichen. Der muss 21 Tage vor der Wahl eingehen, bei der kommenden Bundestagswahl bis zum 2. Februar 2025. Wie dieser Antrag aussieht, ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich: Manche haben Formulare, manchmal müssen die Betroffenen ein Schreiben aufsetzen.

Für viele sei das die erste Hürde, so Paul Neupert von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe: "Man muss wissen: Was kommt in den Antrag genau rein, damit er allen Ansprüchen des Wahlamts genügt." Menschen, die Analphabeten sind, seien dabei besonders abhängig von Hilfe. Einige Gemeinden haben zwar Vordrucke oder Betroffene können den Antrag direkt im Wahlamt ausfüllen - zum Beispiel in München -, aber auch das sei oft nicht einfach.

Viele Wohnungslose würden die Behördengänge scheuen, so Neupert. "Das, was für Menschen, die eine Wohnung haben, banal klingt, scheint für Wohnungslose dann unüberwindbar. Das können so Kleinigkeiten sein wie: 'Dann muss ich da reingehen und mich durchfragen, wo ich jetzt eigentlich hin muss. Meinen Hund vielleicht noch draußen in der Kälte lassen'."

Viele Hürden, die sich aufsummieren

Oder die persönlichen Gegenstände. So geht es Bernd. Er steht in einer Nebenstraße des Münchner Hauptbahnhofs. Kleidung, Lebensmittel, Schlafsack – seine Wertsachen transportiert er in einem Einkaufswagen. "Ich brauche so eine Art Security für meine Sachen. Wenn ich ins KVR reingehe und den Wagen draußen stehen lasse, laufe ich Gefahr, dass mal wieder etwas wegkommt."

Außerdem ist es für Bernd ohne Smartphone und Internetzugang schwer, an Informationen zu kommen. Meistens sind es Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe oder Sozialarbeitende, die dann weiterhelfen.

Auch fehlende Ausweisdokumente seien für Menschen, die auf der Straße leben, oft ein Hindernis, so Paul Neupert. "Die gehen verloren, die werden geklaut, die gehen kaputt." Die größte Hürde aber seien die Lebensumstände der Betroffenen. "Wenn man sich überlegt: Wo komme ich heute Nacht unter, wie kann ich mich vor Gewalt schützen? Was kann ich essen? Wo kriege ich vielleicht wieder festes Schuhwerk? Das sind viel lebensnähere Probleme als mein Wunsch, vielleicht in zwei Monaten mein Kreuz zu setzen."

Niedrige Wahlbeteiligung von Menschen ohne festen Wohnsitz

Laut aktuellem Wohnungslosenbericht des Bundes (externer Link) lebten 2024 in Bayern 5.763 Menschen auf der Straße, weitere 7.558 kamen vorübergehend bei Angehörigen oder Bekannten unter. Sie gelten als verdeckt Wohnungslose. Zahlen dazu, wie viele von ihnen wahlberechtigt sind, gibt es nicht. Einen Eindruck verschafft jedoch der Blick auf die Landeshauptstadt: Laut Münchner Sozialreferat haben dort 2023 etwa 340 Menschen auf der Straße gelebt. Für die Europawahl 2024 hätten sich nur ein Dutzend im Wählerverzeichnis eintragen lassen, teilte das Kreisverwaltungsreferat auf BR-Anfrage mit.

Die Informationen für Menschen ohne festen Wohnsitz müssen niedrigschwelliger verfügbar sein, fordert Paul Neupert. Kooperationen zwischen Wahlämtern und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, Informationsveranstaltungen vor Ort und Aushänge könnten helfen, dass mehr Betroffene ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen.

Bernd hat sich bei der letzten Bundestagswahl 2021 die Mühe nicht gemacht. Diesmal schien es ihm aber besonders wichtig, wählen zu gehen. "Ich gehe davon aus, dass die AfD nicht mehr aufzuhalten ist. Ich kann es nur noch verzögern. Ich will mir einfach sagen, ich hab's versucht." Andernfalls befürchte er, dass seine Situation sich verschlechtere. Auch Holger möchte in den nächsten Wochen herausfinden, ob er im Wählerverzeichnis eingetragen ist und wo er seinen Wahlschein erhält.

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