Notarztwagen vor der Drogenkontaktstelle "beTreff" am Augsburger Helmut-Haller-Platz
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Drogenszene am Augsburger Helmut-Haller-Platz: Mehrmals am Tag muss der Rettungswagen kommen.

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Zerrissenes Stadtviertel: Augsburger Drogenszene soll umziehen

Der Helmut-Haller-Platz in Augsburg: Seit Jahren trifft sich dort die Drogenszene der Stadt. Der Platz in den Räumen der Drogenhilfe wird knapp. Deshalb möchte die Stadt suchtkranke Menschen woanders betreuen. Doch Anwohner wehren sich dagegen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Weiße Sneaker, schwarze Hoodies, Rucksäcke. Um 8.30 Uhr haben sich auf der Treppe vor dem beTreff schon einige Menschen versammelt. Der Kontaktladen für suchtkranke Menschen macht in einer halben Stunde auf. Der Geruch von getrocknetem Erbrochenem steht in der Luft, viele haben sich ein Bier aufgemacht. In der Nähe zerdrückt eine junge Frau in pinken Turnschuhen Pillen in einem Flyer, später raucht sie außerdem in einer kleinen Pfeife etwas, das wie Tabak aussieht. "Cat", wie sie erklärt, "wirkt ein bisschen wie Gras, nur stärker." Was genau drin ist in der in einem Labor hergestellten Flüssigkeit, die auf Tabak geträufelt wird, weiß hier kaum jemand.

Im beTreff bekommen suchtkranke Menschen frische Spritzen

Ein großer Platz, der Augsburger Fußballlegende Helmut Haller gewidmet. An einer Seite liegt der Bahnhof, durch den alle Züge zwischen Ulm und Augsburg fahren. Ein Stück weiter die Straßenbahnhaltestelle, und gleich ums Eck das beTreff. Drinnen ein dämmriger Raum, ein paar Tische mit Holzstühlen, schwarze Blumengraffiti zieren die Wand hinter der Theke. Als Leiterin Katrin Wimmer um 9 Uhr die Türen aufmacht, strömen die Menschen hinein.

Sozialarbeiterinnen der Drogenhilfe Schwaben und vom "Sozialdienst Katholischer Männer" (SKM) geben Kaffee und Essen aus, es gibt Porridge mit Obst. Viele kommen auch für saubere Spritzen: die Gelegenheit für die Sozialarbeiter, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. "Wir klären sie darüber auf, wie man richtig konsumiert, damit sie nicht krank werden oder überdosieren", erklärt Wimmer.

Im Video: BR24 vor Ort am Helmut-Haller-Platz in Augsburg

Gebrauchte Spritzen und Drogenabhängige am Augsburger Helmut-Haller-Platz
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Drogenszene am Helmut-Haller-Platz in Augsburg-Oberhausen

Nach wenigen Minuten ist die Einrichtung voll. Sie ist zu klein, die Öffnungszeiten zu kurz. "Das beTreff soll aber ein Rückzugsort sein, nicht ein Stressort", mahnt Wimmer. Der Konsum von Drogen ist verboten, viele Menschen konsumieren draußen, im Gebüsch oder hinter Mülltonnen zum Beispiel. Manche von ihnen lassen ihre Spritzen zurück, was für Ärger bei den Anwohnern sorgt.

Die Stadt Augsburg möchte einen Drogenkonsumraum

Die Stadt Augsburg kennt das Problem und möchte handeln. Rund 500 Meter weiter, an der Augsburger Wertachbrücke, will sie von der Diakonie ein evangelisches Pfarrhaus mit Gemeindesaal mieten. Das steht weitgehend leer. Dort könnte es einen größeren Aufenthaltsraum, Notschlafplätze und Duschen geben. Auch Drogenfachärzte sollen in die Einrichtung ziehen.

"Das, was nicht sauber drinnen stattfindet, findet schmutzig draußen statt." Dieser Satz einer Mitarbeiterin der Drogenhilfe ist Augsburgs Ordnungsreferent Frank Pintsch im Gedächtnis geblieben. "Man kann sich dieser Realität verweigern. Aber sie ist da", erklärt er. Um den Drogenkonsum auf offener Straße zu bekämpfen, wirbt er deshalb für einen Drogenkonsumraum in der neuen Einrichtung, in dem suchtkranke Menschen unter Aufsicht und in hygienischer Umgebung ihre mitgebrachten Drogen konsumieren könnten.

Bayerns Staatsregierung lässt Konsumräume bislang nicht zu

Zusammen mit der örtlichen Arbeiterwohlfahrt hat zum Beispiel die Stadt Karlsruhe in Baden-Württemberg vor fünf Jahren einen solchen Konsumraum eingerichtet. Laut der Karlsruher Drogenbeauftragten Cordula Sailer macht die Stadt gute Erfahrungen damit: "Der Drogenkonsumraum ist ein wichtiger Baustein der Suchthilfe, der die Leute akzeptiert und viel früher an das Suchthilfesystem anbindet und den öffentlichen Raum entlastet. Die Spritzenfunde dort haben nachgelassen."

Ein entsprechendes Modellprojekt in Augsburg oder München hat die bayerische Staatsregierung bislang nicht bewilligt. CSU-Fraktionsvorsitzender Klaus Holetschek schloss im Gespräch mit dem BR ein "wissenschaftliches Pilotprojekt" nicht aus, konkreter wurde er aber nicht. Dabei können Konsumräume laut Ordnungsreferent Pintsch und Drogenbeauftragter Sailer Leben retten, weil Menschen bei Notfällen im Drogenkonsumraum schnell medizinische Hilfe bekommen.

In Augsburg sind im vergangenen Jahr laut Polizei 14 Menschen an ihrer Drogensucht gestorben, sechs weniger als im Jahr zuvor. Am Helmut-Haller-Platz trafen sich viele von ihnen vor ihrem Tod, im Fenster des beTreffs erinnerten bis vor einiger Zeit noch Plakate an sie. Deutschlandweit sind 2023 laut Bundeskriminalamt 2.227 Personen an ihrer Drogensucht gestorben. Die Zahlen aus Augsburg sollten demgegenüber nicht als niedrig eingestuft werden, so Polizeisprecher Markus Trieb: "Vierzehn Menschen, die aufgrund ihrer Sucht ums Leben kamen: Darauf können wir nicht stolz sein." Die Polizei sei "nahezu täglich" mit Streifen vor Ort.

Anwohner wehren sich gegen die Umzugspläne der Stadt

Aber gegen den Umzug an den möglichen neuen Standort regt sich Widerstand. Anwohner dort haben Angst vor Zuständen wie am Helmut-Haller-Platz. Angelika Lippert ist eine von ihnen, sie hat daher eine Aktionsgemeinschaft gegründet: "Ich bin Bürgerin, und ich möchte weiterhin mit meinen Nachbarn eine schöne Umgebung haben und gut hier leben können." Rund 50 Personen, die überwiegend in der Gegend wohnen, haben sich dem Protest angeschlossen.

Andreas Burger wohnt ganz in der Nähe. Er kennt heute schon ähnliche Szenen wie am Helmut-Haller-Platz. Er erzählt von Menschen, die an eine Hauswand gelehnt schlafen: "Ich weiß gar nicht, was ich meinen Enkeln sagen soll, was mit den Leuten los ist." Anwohnerin Sara erwartet ihr viertes Kind. Ihr bereiten vor allem die herumliegenden Nadeln Sorge: "Wer übernimmt denn die Verantwortung, wenn mein Kind sich mit Hepatitis infiziert? Oberhausen ist ein Viertel mit so vielen Kindern, das können die nicht machen, nicht hier."

Die Anwohner befürchten außerdem, es könnte in Zukunft zwei Brennpunkte geben: den am Helmut-Haller-Platz und den an der Wertachbrücke. Der Streit geht so weit, dass ein Immobilienunternehmer gar ein Angebot gemacht hat, das Pfarrhaus für einen siebenstelligen Betrag zu kaufen, um dort etwa eine Kindertagesstätte, einen Begegnungsraum oder das römische Museum anzusiedeln. Die Diakonie hat das Angebot aber abgelehnt.

Wie eine langjährige Anwohnerin den Helmut-Haller-Platz sieht

Wie es ist, die Drogenszene vor der Haustür zu haben, das weiß Serap Özer bereits. Die 36-jährige Augsburgerin wohnt schon seit 15 Jahren in Oberhausen, an den Helmut-Haller-Platz ist sie vor sieben Jahren gezogen. Dort, wo sich seit über einem Jahrzehnt Augsburgs Drogenszene trifft, wo sich süchtige Menschen frühmorgens frische Nadeln für den nächsten Schuss holen, wartet die Doktorandin täglich auf den Zug, der sie zur Uni bringt. Sie kommt am beTreff vorbei.

"Ich habe ein bisschen Ekel vor dem Dreck, der sich da ansammelt, weil es unglaublich viele Leute sind, die hier warten, bis das beTreff aufmacht. Sie sitzen irgendwo, wo sie halt sitzen können, und das ist halt genau da, wo die Leute ein- und aussteigen wollen, um in die Arbeit zu kommen und die Kinder in die Schule." Die Situation habe sich verschärft, am Helmut-Haller-Platz hielten sich immer mehr suchtkranke Menschen auf. Die Menschen sieht sie nicht als Problem: "Ich habe überhaupt keine Angst. Ich komme auch nachts vorbei, ich wurde noch nie belästigt." Auch sie sieht aber das Platzproblem.

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Carmen und Thomas haben ihre Drogensucht im Griff und treffen sich jeden Tag am Helmut-Haller-Platz.

Vor ihrer Heroinsucht ging Carmen durch die Hölle

Dass die Zustände am Helmut-Haller-Platz auf viele Anwohner verstörend wirken, wissen auch die meisten suchtkranken Menschen dort. "Es kotzt mich an, wenn Leute ihre Spritzen rumschmeißen", sagt zum Beispiel Carmen. Die 53-Jährige ist seit 16 Jahren substituiert, nimmt statt Heroin also täglich den ärztlich verschriebenen Ersatzstoff Methadon ein. Von der Praxis bis zum beTreff ist es nicht weit. Hier trifft sie jeden Tag ihren besten Freund Thomas. Die beiden trinken Kaffee und reden über ihr Leben. Das beTreff ist ein fester Bestandteil ihres Alltags - auch nach der Drogensucht.

Der Weg zum Helmut-Haller-Platz führte Carmen durch die Hölle. Ihre jahrelange Heroinsucht ist dabei nur Symptom: "Ich wollte einfach abschalten und nur noch etwas anderes spüren", erinnert sie sich, "andere Gefühle, nicht mehr den Schmerz." Als das Jugendamt Carmen von ihrer alkoholkranken Mutter wegholte, war sie fünf Jahre alt. Sie kam in eine Pflegefamilie in Augsburg.

Drei Jahre später fing der Pflegevater an, sich an ihr zu vergehen. "Er hat sein Büro in mein Kinderzimmer gelegt, damit er immer abends noch rein kann." Als die Pflegemutter davon erfuhr, warf sie der damals 8-jährigen Carmen vor, ihren Mann verführt zu haben. Mit 14 Jahren hat sich Carmen dann endlich getraut, zum Jugendamt zu gehen: "Ich möchte weg, ich halte es dort nicht mehr aus." Im Heim wollte sie ihren Schmerz vergessen, Drogen und Alkohol halfen ihr dabei.

Heute hat sie selbst einen 23-jährigen Sohn. Für ihn war sie stark, ist zur Therapie gegangen, hat sich ihrer Vergangenheit gestellt und ihre Sucht erfolgreich bekämpft. "Natürlich habe ich meine Vergangenheit eine ganze Zeit lang nicht verarbeitet. Erst, als ich mit 34 eine Therapie gemacht habe, habe ich angefangen, darüber zu reden." Wenn sie von ihrem Sohn erzählt, lächelt Carmen stolz: "Er trinkt nicht, er raucht nicht, er nimmt keine Drogen. Er ist genau so, wie es sein soll." Sie wünscht sich, dass das beTreff umziehen kann: "Das ist einfach so klein, da sind so viele Leute. Das reicht nicht für alle. Wenn wir umziehen könnten, hätten wir viel mehr Platz, mehr Räume."

Viele Menschen aus der Szene sind für den Umzug

Vom Augsburger Königsplatz ist die Drogenszene schon vor langer Zeit vertrieben worden, damals an den Helmut-Haller-Platz. Dass ihre Anlaufstelle nun umziehen soll, finden die suchtkranken Menschen trotzdem gut. Denn auch sie wollen von der Straße weg und sind sich bewusst, wie sie gesehen werden, sagt Carmen: "Wir werden immer abgestempelt als der letzte Dreck. Dabei sind wir aber nicht der letzte Dreck. Ich wünsche mir, dass die Leute uns als Menschen akzeptieren."

Wo die Anlaufstelle am besten untergebracht wäre, darüber herrscht weiterhin Uneinigkeit zwischen Stadt und Anwohnern. Die Stadt prüft auch andere Standorte, Ende Juli könnte der Stadtrat entscheiden.

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