Eine schreckliche Gewalttat erschüttert Bayern: In der unterfränkischen Stadt Aschaffenburg hat ein Messerangreifer zwei Menschen getötet. Drei weitere Opfer kamen mit teils schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Was bislang bekannt ist:
Was ist passiert?
Am Mittwoch um 11.45 Uhr wird das fränkische Aschaffenburg jäh aus seinem Alltag gerissen. Mitten im Innenstadtpark Schöntal sticht ein Mann mit einem Küchenmesser auf mehrere Menschen ein. Laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) griff der Täter "unvermittelt und gezielt" eine Kindergruppe an, Passanten gingen dazwischen.
Zwei Menschen werden tödlich verletzt: ein zweijähriger Junge und ein Mann. Drei Menschen erleiden teils schwere Verletzungen. Die Polizei ist nach dem Angriff schnell vor Ort und nimmt einen Tatverdächtigen fest.
Was ist über die Opfer bekannt?
Ein zweijähriger Junge marokkanischer Abstammung ist tot. Auch einem 41 Jahre alten Mann konnten die Rettungskräfte nicht mehr helfen. Der Passant war laut Herrmann dazwischengegangen und bezahlte die Zivilcourage mit seinem Leben. Der Minister hebt hervor, dass durch das mutige Einschreiten "weitere Kinder vor dem Tod bewahrt" wurden. Posthum soll der Mann nun die bayerische Rettungsmedaille erhalten. In einem Gedenkgottesdienst vier Tage nach der Tat nannte Ministerpräsident Söder die Namen der beiden: Yaniss und Kai-Uwe D..
Die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern hat ebenfalls Details zu den beiden Opfern bekannt gegeben: Der getötete 41-jährige Mann sei Mitglied einer evangelischen Kirchengemeinde in Aschaffenburg gewesen und hatte selbst kleine Kinder. Bei der angegriffenen Kindergruppe, mit der der getötete zweijährige Junge und ein schwer verletztes zweijähriges Mädchen unterwegs waren, handelt es sich nach Angaben der Kirche um die Kinderbetreuungseinrichtung eines Vereins, der sich für Menschen in schwierigen Lebenssituationen engagiert. Professionelle Seelsorgeteams betreuen die Einrichtung und auch den Kindergarten, in den die Kinder des 41-Jährigen gehen.
Das schwer verletzte zweijährige Mädchen stammt aus Syrien. Es sei mit drei Messerstichen im Halsbereich ins Klinikum Aschaffenburg gebracht worden, so Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU). Dort sei auch ein 72-Jähriger wegen Stichverletzungen im Brustkorb operiert worden. Das Mädchen muss noch bis voraussichtlich Montag im Klinikum bleiben. Das hat eine Polizeisprecherin am Freitag auf BR-Anfrage bekanntgegeben. Beide seien außer Lebensgefahr.
Die 59-jährige Erzieherin, die sich auf der Flucht vor dem Täter die Hand gebrochen hatte, konnte das Krankenhaus am Donnerstag verlassen, muss nächste Woche aber operiert werden. Der Vorstand der betroffenen Kinderbetreuungseinrichtung sagte dem BR, sie und auch ihre Kolleginnen sowie die Kinder und deren Eltern werden weiterhin psychologisch betreut.
Was ist über den Tatverdächtigen bekannt?
Der Messerangreifer von Aschaffenburg wohnte in einer Asylunterkunft in der Gegend und war nach Angaben des Innenministers in psychiatrischer Behandlung. Der 28-jährige Afghane sei in der Vergangenheit mindestens dreimal wegen Gewalttaten aufgefallen, jeweils in psychiatrische Behandlung gekommen und wieder entlassen worden, schildert Herrmann. Im Dezember vergangenen Jahres wurde seine Betreuung angeordnet. Der Beschluss sollte für drei Jahre gelten. Zu einem vereinbarten Termin mit seiner Betreuerin sei er nicht erschienen.
Der Afghane war in der Allgemeinpsychiatrischen Tagesklinik "Am Rosensee" in Aschaffenburg und in einer psychiatrischen Klinik in Werneck in Behandlung. Das bestätigte der Bezirk Unterfranken dem BR. Einzelheiten zu Krankheitsbild und Behandlung wurden nicht genannt. Am Donnerstagabend hatte Innenminister Herrmann erklärt, dass dem mutmaßlichen Täter "zeitweilig" eine Schizophrenie diagnostiziert worden sei. Herrmann gab zudem an, dass dem Tatverdächtigen von den Psychiatern Medikamente verschrieben worden seien. Die Psychiater hätten dann entschieden, dass der 28-Jährige mit Medikamenten in die Asylunterkunft zurückkehren durfte. Bis zu dem entsprechenden Gerichtsbeschluss nach der Tat sei er jedoch in keiner geschlossenen Einrichtung untergebracht gewesen.
Was ist über das Asylverfahren bekannt?
Der Verdächtige war wegen eines von ihm selbst abgebrochenen Asylverfahrens ausreisepflichtig. Laut derzeitiger Erkenntnis war der Afghane Ende 2022 nach Deutschland eingereist – über Bulgarien. Daraufhin habe es ein Dublin-Verfahren gegeben. Demnach ist der Staat für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig, in dem der Geflüchtete zuerst EU-Boden betreten hat. Die Abschiebung nach Bulgarien scheiterte aber, weil die entsprechende Frist dafür nicht eingehalten wurde.
Wer ist für die versäumte Abschiebung verantwortlich?
Darüber gibt es Streit zwischen Bayern und dem Bund. Bayerns Innenminister Herrmann sieht die Schuld beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das Bundesinnenministerium wiederum zeigt mit dem Finger auf den Freistaat.
Aus Berlin heißt es, das BAMF habe Ende Januar 2023 eine "Take-Back-Anfrage" (Wiederaufnahmegesuch) an Bulgarien gestellt. Die Zustimmung Bulgariens sei am 3. Februar erfolgt, so ein Sprecher des Innenministeriums. Mit diesem Tag habe auch die Sechs-Monatsfrist für die Überstellung nach Bulgarien begonnen. Der Asylantrag des Mannes wurde am 19. Juni 2023 abgelehnt, eine Abschiebung nach Bulgarien wurde angeordnet.
Ab hier gehen die Darstellungen auseinander. Bayerns Innenminister Herrmann sagte, die Ausländerbehörden des Freistaats seien erst am 26. Juli und damit wenige Tage vor Fristende informiert worden – "aufgrund welcher Fehler und Probleme auch immer". Wegen der Kürze der Zeit sei eine Ausweisung nicht mehr möglich gewesen.
Dagegen betonte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstagabend im ZDF, Bayern sei sieben Wochen vor Fristende informiert worden. Ein Sprecher des Bundesministeriums bekräftigte, die zentrale Ausländerbehörde Unterfranken sei schon "mit einem Schreiben vom 21.06.23 – also sieben Wochen vor Fristablauf – über den Bescheid" in Kenntnis gesetzt worden. Am 26. Juli sei der Behörde dann noch zusätzlich mitgeteilt worden, dass die Entscheidung rechtskräftig sei.
Wie stellt das BAMF die Umstände dar?
Die Behörde wollte sich auf BR-Nachfrage bisher nicht zu Herrmanns Vorwürfen äußern. Das BAMF könne keine Informationen zum konkreten Einzelfall geben, da das Ermittlungsverfahren noch laufe, so ein Sprecher.
Angeschlossen hat sich laut Herrmann ein normales Asylverfahren. Im Dezember 2024 kündigte der Mann schriftlich bei der Ausländerbehörde an, freiwillig ausreisen zu wollen. Daraufhin habe das BAMF den Afghanen aufgefordert, so Herrmann, sich beim afghanischen Generalkonsulat die nötigen Papiere zu besorgen. Ausgereist sei er dann aber nicht. Zudem war er "weiter offensichtlich auch in psychiatrischer Behandlung".
Was sagt die Polizei über das Motiv?
Beim Verdächtigen wurden bisher keine Hinweise auf ein islamistisches Motiv gefunden. "Im Moment geht die Mutmaßung sehr stark in Richtung seiner offensichtlich psychischen Erkrankungen", erklärte Herrmann. In der Unterkunft des Afghanen seien entsprechende Medikamente gefunden worden. Die Durchsuchung habe keinerlei Hinweise auf eine radikale, islamistische Gesinnung gebracht. Zum Motiv des Angriffs auf die Kindergruppe werde weiter ermittelt.
Was ist über die Festnahme bekannt?
Der Angreifer wurde laut Herrmann nach der Tat von Passanten verfolgt und nach zwölf Minuten von Polizisten festgenommen. Ob er sich bei seiner Festnahme wehrte, ist nicht öffentlich bekannt. Die mutmaßliche Tatwaffe, ein Küchenmesser, wurde sichergestellt. Weil der Verdächtige versucht haben soll, über Bahngleise zu fliehen, wurde der Bahnverkehr in Aschaffenburg eingestellt. Der Hauptbahnhof wurde gesperrt, es kam zu Zugausfällen und Verspätungen.
Kurz nach dem Angriff war die Polizei noch von zwei mutmaßlichen Tätern ausgegangen. Das bestätigte sich aber nicht. Bei der zweiten festgenommenen Person handle es sich vielmehr um einen Zeugen, hieß es später.
Was sind die ersten juristischen Konsequenzen?
Dem Afghanen werden zweifacher Mord, zweifacher versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Eine Ermittlungsrichterin ordnete die Unterbringung des Verdächtigen in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Unterbringungsbefehl erging nach Anhörung eines psychiatrischen Sachverständigen. Nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft hat sich der 28-Jährige zunächst nicht zu den Vorwürfen geäußert.
Einen Unterbringungsbefehl gibt es in der Regel, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass ein Verdächtiger zur Tatzeit aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig war. Ob seine Schuldfähigkeit bei der Tat vermindert gewesen sein könnte oder er tatsächlich schuldunfähig war, wird im weiteren Verfahren geklärt.
Was ist über den Tatort bekannt?
Der historische Park Schöntal ist nach Stadtangaben etwas mehr als neun Hektar groß. In der jüngsten Vergangenheit kam es in dem Areal vermehrt zu Straftaten.
Erst im vergangenen November hatte die Polizei den Park in Teilen als "gefährlichen Ort" eingestuft. Aschaffenburgs Polizeichef Frank Eckhardt betonte damals: Es handle sich dort vor allem um Betäubungsmitteldelikte und um Raub sowie Körperverletzung innerhalb des Drogenmilieus. Es sei aber objektiv sicher, sich im Park Schöntal aufzuhalten.
Im Video: BR-Reporterin Barbara Ecke im Gespräch
BR-Reporterin Barbara Ecke im Gespräch.
Anmerkung zur Kritik an der Berichterstattung:
Unsere Reporterin bedauert die Formulierung sehr. Natürlich ist sie tief betroffen von den Ereignissen. Sie hat an einer Stelle in einer ihrer vielen Live-Schalten den Faden verloren und nach Worten gesucht. Sie lebt und arbeitet in Aschaffenburg und wollte den Schockzustand des Ortes darstellen. Das hat sie auch in den Schalten passend gemacht. An einer Stelle aber hat sie den Faden verloren und dann auch aus ihrer Sicht aus Versehen gänzlich unpassend formuliert. Sie trauert, wie alle, mit den Familien.
Wo gibt es Orte der Trauer?
Auf den Bänken im Park Schöntal und an den Zugängen stellen Trauernde Kerzen auf, legen Blumen und Kuscheltiere ab. Im Park sind Seelsorgerinnen und Seelsorger ansprechbar. Ebenso im ökumenischen Kirchenladen "Sinn-Schätze" am Roßmarkt 30. Es wurde auch ein Krisentelefon eingerichtet: Unter 0800-6553000 steht ein Kriseninterventionsteam rund um die Uhr für Gespräche zur Verfügung.
Am Sonntag wurde in einem zentralen Gedenkgottesdienst in der Stiftskirche St. Peter und Alexander der Opfer gedacht. Tief erschütterte Angehörige, Einsatzkräfte, Seelsorgende, Politiker und Politikerinnen versammelten sich am Sonntagvormittag zu einem ökumenischen Gedenkgottesdienst. Nur gut einen Kilometer vom Tatort entfernt zeigten sich die Redner – drei Religionsvertreter sowie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Aschaffenburgs Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) –fassungslos. Sie warnten vor Hass und der Spaltung der Gesellschaft und riefen zum Zusammenhalt auf. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war gekommen. Bereits vor dem Gottesdienst waren sie und Söder zu einer Kranzniederlegung am Tatort im Park Schöntal.
3.000 Menschen gedachten der Opfer im Park Schöntal
In den Tagen nach der Tat waren in Aschaffenburg bereits mehrfach Menschen zum gemeinsamen Trauern zusammen gekommen. "Ich fühle, als wäre mein eigenes Kind gestorben", hatte Aschaffenburgs Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) am Morgen nach der Tat tief betroffen bei einer Kranzniederlegung gesagt. Am selben Abend hatten 3.000 Menschen schweigend im Park der Opfer gedacht.
500 Menschen versammelten sich nach Polizeiangaben am Freitagnachmittag im Park Schöntal. Darunter der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zusammen mit mehreren bayerischen Parteivertretern sowie zahlreiche Gegendemonstranten. In seiner Rede sprach Höcke fälschlicherweise wiederholt von einem getöteten Mädchen statt von einem Jungen. Gegen Rechtsextremismus demonstrierten am Samstag nach Polizeischätzungen 3.000 Menschen in der Aschaffenburger Innenstadt. Das Bündnis "Aschaffenburg ist bunt" hatte dazu aufgerufen.
Wenige Stunden nach dem offiziellen Gedenkgottesdienst für die Opfer am Sonntag zog ein Demonstrationszug aus dem rechten Spektrum mit Deutschlandfahnen durch die Stadt. Nach Angaben eines Polizeisprechers waren es in der Spitze zwischen 1.300 und 1.500 Menschen. Die Zahl der Gegner, die mit Sprechchören gegen die Demonstration protestierten, konnte die Polizei nicht benennen – entlang der Strecke verliehen immer wieder Gruppen ihrem Protest Ausdruck.
Indes warnt die Polizei hilfsbereite Menschen vor falschen Spendenkonten für Angehörige der Opfer. Bei der Kriminalpolizei gingen Hinweise auf gefälschte Spendenaufrufe in den sozialen Medien ein, teilte das Polizeipräsidium Unterfranken mit. Man prüfe, ob es sich um illegale Aktionen handle.
Hinweis der Redaktion: Zeitweise stand der volle Name des 41-jährigen Todesopfers im Artikel. Aus Rücksichtnahme auf dessen Familie hat sich BR24 entschieden, den Nachnamen abzukürzen.
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