Für die Brüder Erdinç und Esat Akin ist seit Anfang Februar nichts mehr, wie es vorher war. Die schweren Erdbeben in der Türkei haben auch ihr Leben verändert. Die Brüder arbeiten in Roth und Schwabach und leben mit ihren Familien seit Jahrzehnten in Franken. Als sie erfuhren, dass das Beben ihre Heimatstadt Antakya heimgesucht hatte, stiegen sie umgehend in ein Flugzeug.
Sie kämpften sich durch das Chaos zum Haus ihres Bruders Ersen in Antakya vor. Dort konnten sie ihn unter den Trümmern noch hören. Doch ohne schweres Gerät hatten sie keine Chance, ihm zu helfen. Nach acht Tagen bargen sie ihn tot.
Erdbeben im Februar zerstörte Antakya
Ersen Akin hatte in der einst reichen und stolzen Stadt Antakya gewohnt, die im Altertum als Antiochien bekannt war. Bis zum 6. Februar 2023 lebten hier knapp 400.000 Menschen. Antakya, Hauptstadt der Hatay-Region, war vom Erdbeben besonders schwer betroffen. Das Beben zerstörte die Stadt großflächig. 90 Prozent der Gebäude stürzten ein, zigtausend Menschen starben.
Rettungskräfte hatten keine Chance, die vielen Menschen zu versorgen, die verletzt oder tot unter den Trümmern lagen. Auch Erdinç und Esat Akin aus Roth standen hilflos vor dem Haus ihres Bruders. Als sie schließlich einen Bagger auftreiben konnten, um die schweren Betonplatten des mehrstöckigen Hauses anzuheben, war der 46-jährige Familienvater bereits tot.
Fränkische Brüder unterstützen Angehörige
Ersen Akin hinterlässt Frau und zwei jugendliche Töchter. Die betagten Eltern sowie ein weiterer Bruder mit Familie wurden obdachlos. Menschen wie sie kampierten in Zelten außerhalb der Stadt oder kamen in anderen Städten unter. Doch die Mietpreise stiegen überall ins Bodenlose und mit all den Gebäuden waren auch die Arbeitsplätze dem Erdboden gleich gemacht.
Für die Brüder aus Franken war es keine Frage, den Angehörigen auch finanziell zu helfen. Mehrere hundert Euro überweisen sie seitdem jeden Monat in die Türkei. Für die Witwe, die betagten Eltern, den anderen Bruder. Und weil ihr eigenes Gehalt nicht reicht, haben sie am Wochenende Nebenjobs angenommen.
Entsetzliche Szenen gehen nicht aus dem Kopf
Die entsetzlichen Szenen mit all den Toten verfolgen Erdinç und Esat Akin immer wieder in ihren Träumen. Auch heute noch schießen Tränen in ihre Augen, wenn sie von ihrem Bruder erzählen. "Es vergeht kein Tag, an dem das Thema nicht in unseren Kopf reinkommt", sagt Erdinc Akin. "Wir haben die gleichen Schmerzen, wie unsere Familie vor Ort."
Gleichzeitig wollen sie stark sein und die trauernden Eltern unterstützen, die neben dem Sohn auch ihr Dach über dem Kopf und sämtlichen Besitz verloren haben. Die Straßenzüge wurden an Abbruchfirmen zur Verwertung übergeben. Elektrische Geräte, Wertsachen, Haushaltsgegenstände – alles ist verloren. Zehn Monate nach der Katastrophe hat der älteste Bruder sein Auto wieder gefunden. Es sind nur noch Teile der Karosserie übrig, alles Verwertbare ist weg.
Täglicher Kontakt per Telefon
Dabei fühlen sich die Brüder aus Franken verantwortlich für die Familie in der Türkei. Täglich führen sie Videotelefonate, mit den Eltern, dem Bruder, der Witwe und den Nichten, die um ihren Papa trauern. "Wir sagen, hey, wir sind da, das Leben geht weiter." Doch beide geben zu, dass sie auch selbst manchmal an ihre Grenzen kommen.
"Wie es innen aussieht, ist eine andere Frage", sagt Erdinç. Und Esat ergänzt, "manchmal spielen wir nur die Starken." Die Brüder stützen sich gegenseitig. Und bekommen Unterstützung von ihrer Chefin Suzi Streckel, die selbst Wurzeln in Antakya hat. "Sie hat uns sehr viel geholfen, nimmt Anteil und ändert auch mal die Dienstpläne, wenn nötig."
Traurig: wegen Visapflicht kein Besuch möglich
Was die Brüder besonders schmerzt: Sie können ihre jugendlichen Nichten nicht einfach für die Ferien nach Deutschland holen. Für die Einreise aus der Türkei ist ein Visum nötig. Dieses muss mit vielen Nachweisen bei der deutschen Botschaft in Ankara beantragt werden.
Vor Monaten haben sie um einen Termin bei der Botschaft angefragt, doch bisher kam keine Antwort. "Wir haben seit vier Monaten nichts gehört", sagt Esat verbittert. "Obwohl wir alle Voraussetzungen erfüllen, genug verdienen und nachweisen können, dass wir für alle Kosten aufkommen würden."
Hoffnungsvolle Signale für einen Wiederaufbau
Auch Suzi Streckel aus Franken hat Wurzeln in Antakya, wo ihre Eltern aufwuchsen. Im Oktober war sie vor Ort, um sich um die Trümmer-Immobilien ihrer Eltern zu kümmern. "Ich habe eine Stadt vorgefunden, die lebendiger war, als ich es erwartet habe", sagt sie. In den Außenbezirken seien Containersiedlungen entstanden, dort hätten sich auch Geschäfte eingerichtet. Sie sehe viel Hoffnung für einen Wiederaufbau. "Die Menschen sind zurück, sie nehmen ihr Schicksal an und tun alles, um dort wieder eine Zukunft zu haben." Im Lauf der Geschichte ist die stolze Stadt Antakya bereits mehrmals wieder aufgebaut worden.
"Wir Antakyaner haben einen besonderen Spirit, sind weltoffen und haben unsere Vielfalt immer zelebriert", sagt Suzi Streckel. Und auch sie selbst hat nach dem Erdbeben alle Hebel in Bewegung gesetzt. 25.000 Euro hat sie in ihrer Heimatstadt Gunzenhausen für die Erdbebenregion aufgetrieben, durch mehrere Spendenaktionen und eine Benefiz-Gala. "Das ist die höchste Spendensumme, die jemals in Gunzenhausen zusammengekommen ist", sagt sie stolz.
Wiederaufbau: niedrigere Häuser als bisher
Bei einem befreundeten Stadtplaner habe sie im Oktober die Planungen für einen Wiederaufbau der Stadt Antakya einsehen können. Wegen der Erdbebengefahr werden künftig nur noch dreistöckige Häuser erlaubt sein, sagt Streckel. Dabei werde es nicht einfach werden, die Besitzverhältnisse zu klären. "Wenn in einem sechsstöckigen Gebäude sechs Parteien eine Eigentumswohnung hatten, müssen die sich das aufteilen." Die rechtlichen Fragen würden erstmal vertagt, sagt sie, damit der Wiederaufbau starten kann. "Es wird zehn bis 15 Jahre dauern", so Streckel, "aber dann wird es sehr schön."
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