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Union hofft, Ampel-Parteien bangen: Europawahl in Deutschland

Bei der Europawahl heute entscheiden mehr als 60 Millionen Deutsche, welche Abgeordneten die Bundesrepublik künftig im EU-Parlament vertreten. Aber auch für die innenpolitische Lage ist die Abstimmung wichtig.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Es ist eine Premiere: Erstmals dürfen bei einer bundesweiten Wahl auch 16- und 17-Jährige abstimmen. Für die heutige Europawahl hat der Bundestag das Wahlalter gesenkt, rund 1,4 Millionen Minderjährige sind wahlberechtigt. Deutschland ist dabei einer von nur einer Handvoll der 27 EU-Staaten, in denen nicht nur Volljährige wählen dürfen. Insgesamt sind schätzungsweise 60,9 Millionen Deutsche aufgerufen, zu bestimmen, welche 96 Abgeordneten Deutschland im Europäischen Parlament vertreten werden.

Während in Deutschland wie in den meisten Ländern die Wahllokale heute geöffnet sind, wurde beispielsweise in den Niederlanden, in Tschechien, der Slowakei, Irland und Malta schon gewählt. Insgesamt wird über 720 Abgeordnetensitze entschieden – mehr als jeder achte Europa-Parlamentarier kommt damit aus Deutschland.

Auch kleine Parteien haben Chancen

Eine Besonderheit im Vergleich zu Landtags- und Bundestagswahlen: Erneut gibt es in Deutschland keine Fünf-Prozent-Hürde und auch sonst keine Sperrklausel. Somit haben auch kleine Parteien die Chance, einen oder mehrere Abgeordnete nach Straßburg zu schicken. Bei der Wahl vor fünf Jahren zogen gleich 14 Parteien aus Deutschland ins EU-Parlament ein – schon 0,7 Prozent der Stimmen reichten für einen Sitz.

Insgesamt treten in Deutschland 35 Parteien zur Europawahl an, wobei 34 auf den Wahlzetteln stehen, weil die CSU nur in Bayern gewählt werden kann und die CDU in allen anderen Bundesländern. Da es sich um die einzige bundesweite Abstimmung zwischen den Bundestagswahlen 2021 und 2025 handelt, gilt die Europawahl auch als Stimmungstest für die Ampel-Regierung und die Opposition in Berlin.

Im Video: Einschätzungen zur Europawahl

BR-Wahlexperte Andreas Bachmann
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BR-Wahlexperte Andreas Bachmann

CDU: Von der Leyen will Kommissionspräsidentin bleiben

Umfragen sahen zuletzt die Union als stärkste Kraft: Im ARD-DeutschlandTrend im Mai kamen CDU und CSU auf 29 Prozent. Das würde in etwa dem Ergebnis bei der Europawahl 2019 entsprechen. Damals hatte die CDU aber ein großes Minus hinnehmen müssen. Für Friedrich Merz wäre ein gutes CDU-Ergebnis bei seiner ersten bundesweiten Wahl als Parteichef wichtig, um Stärke zu demonstrieren und Argumente für seine Kanzlerkandidatur zu sammeln.

Spitzenkandidatin der CDU ist dieses Mal Ursula von der Leyen, die eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin anstrebt. Sie war 2019 als Kompromisskandidatin ins Amt gekommen – statt des Niederbayern Manfred Weber (CSU), mit dem die christlich-konservative Europäische Volkspartei eigentlich in den Wahlkampf gezogen war. Doch Weber gelang es damals nicht, im Europaparlament eine Mehrheit für sich zu finden, anschließend besiegelten die Staats- und Regierungschefs das Ende seiner Ambitionen.

Es dauerte ein bisschen, doch Weber erholte sich von der schwersten Niederlage seiner politischen Karriere. Als Chef der EVP ist er weiterhin einer der einflussreichsten Europapolitiker. Nach der Wahl wird es mit an ihm liegen, im EU-Parlament eine Mehrheit für von der Leyen zu organisieren. Auf Wahlzetteln ist die CDU-Politikerin übrigens wie schon 2019 erneut nicht zu finden.

CSU: Manfred Weber, der Anti-Söder

Zwar ist der Niederbayer Weber dieses Mal nicht mehr europaweiter Spitzenkandidat der EVP, zumindest aber steht er ganz oben auf der CSU-Liste in Bayern. So wird auch mit besonderer Spannung erwartet, wie die CSU heute abschneidet. Spitzenkandidat Weber gilt so manchem in der CSU als Anti-Söder. Er ist einer der wenigen in der CSU-Spitze, die dem Parteichef auch mal öffentlich widersprechen.

Im Europawahlkampf überredete Weber Söders Vorgänger und langjährigen Rivalen Horst Seehofer dazu, für einen Abend seinen Ruhestand zu unterbrechen und mit ihm Wahlkampf zu machen. Bei dieser Gelegenheit ließ sich Seehofer die eine oder andere Spitze gegen Söder nicht nehmen. Zum Beispiel, als er betonte, Weber sei der einzige CSU-Politiker, "der in den letzten fünf Jahren bei einer Wahl hinzugewonnen hat". Bei allen anderen Wahlen in den vergangenen fünf Jahren habe die CSU "schlechter abgeschnitten als in der Wahl vorher".

Weber hatte 2019 in Bayern mit 40,7 Prozent ein leichtes Plus für die CSU geholt. Bei allen anderen Wahlen seit Söders Antritt als CSU-Chef landeten die Christsozialen deutlich unter der 40-Prozentmarke. Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr mit dem Spitzenkandidaten Söder waren es 37,0 Prozent. Weber, der für sich einen anderen Politikstil als Söder reklamiert, dürfte ein starkes Resultat als Bestätigung für sich werten.

Denkzettel für die Ampel-Parteien?

Bei den drei Parteien in der Bundesregierung – SPD, Grünen und FDP – dürfte der Wahlabend im Vergleich zur Europawahl 2019 nicht für Jubelsprünge sorgen. Im DeutschlandTrend lag die aktuelle Kanzlerpartei SPD zuletzt bei 15 Prozent, vor fünf Jahren erreichte sie bei der Europawahl historisch schlechte 15,8 Prozent. Die Grünen erzielten in der Umfrage 14 Prozent, das wären 6,5 Prozentpunkte weniger als bei der vergangenen Wahl. Die FDP erreichte im DeutschlandTrend 4 Prozent – ebenfalls weniger als vor fünf Jahren (5,4 Prozent).

Wenn man die Europawahl auch als Abstimmung über die Zufriedenheit mit der Bundesregierung sehen will, ist allerdings eine andere Rechnung spannender: Bei der Bundestagswahl 2021 kamen die drei Ampel-Parteien zusammen noch auf fast 52 Prozent. Im DeutschlandTrend zur Europawahl, nach zweieinhalb gemeinsamen Regierungsjahren sind es dagegen lediglich 33 Prozent. Klar ist schon jetzt: Die führenden Vertreter von CSU und CSU dürften das Europawahl-Ergebnis als Kritik an der Ampel-Politik werten.

Dabei setzen sowohl SPD als auch FDP auf durchaus prominente Spitzenkandidatinnen: Für die SPD ist es erneut die frühere Bundesministerin Katarina Barley, aktuell Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Bundeskanzler Olaf Scholz hat mehrmals persönlich Wahlkampf mit ihr gemacht. Die FDP hat ihre bundesweit bekannte Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin aufgestellt. Die deutschen Grünen stellen sogar die europaweite Spitzenkandidatin: die 37-jährige Terry Reintke, die bereits seit 2014 im EU-Parlament Abgeordnete ist.

Turbulenter AfD-Wahlkampf

Spannend ist auch die Frage, wie die AfD bei der Europawahl abschneidet. Vor fünf Jahren holte die Partei deutschlandweit 11 Prozent. Im jüngsten ARD-DeutschlandTrend kam die AfD auf 14 Prozent. Ihr Wahlkampf verläuft alles andere als nach Plan: Wegen diverser Skandale und Korruptionsvorwürfen sollen die beiden AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah und Petr Bystron (aus dem bayerischen Landesverband), nach dem Willen der Parteispitze eigentlich nicht mehr öffentlich auftreten.

Die Freien Wähler machen sich derweil Hoffnungen, gegenüber 2019 zuzulegen. Damals kam die Partei auf 2,2 Prozent, der DeutschlandTrend sah sie zuletzt bei drei Prozent. Für Parteichef Hubert Aiwanger ist die Europawahl dabei vor allem ein Zwischenschritt auf dem Weg zu seinem erklärten Ziel, die Freien Wähler bundesweit zu etablieren und 2025 in den Bundestag zu führen.

Zum ersten Mal in Deutschland zur Wahl steht das Bündnis Sahra Wagenknecht. Die Partei der früheren Linken-Politikerin lag im DeutschlandTrend zuletzt bei sechs Prozent und kann damit rechnen, erstmals Abgeordnete ins Europäische Parlament zu schicken.

"Zeichen für eine funktionierende Demokratie"

Auch wenn die Innenpolitik das Abstimmungsverhalten mancher Wähler beeinflussen dürfte, geht es um viel mehr: Bundeswahlleiterin Ruth Brand verweist darauf, dass die Europawahl die wichtigste Möglichkeit sei, Einfluss auf die Politik der EU zu nehmen. Schließlich sei das Europäische Parlament das einzige EU-Organ, das direkt von den Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten gewählt werde.

"Machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch! Entscheiden Sie so mit über die Politik der Europäischen Union in den kommenden fünf Jahren", betonte die Bundeswahlleiterin. "Ihre Wahlteilnahme ist ein Zeichen für eine funktionierende und starke Demokratie." Die Wahllokale schließen um 18 Uhr.

Kommunalwahlen und Bürgerentscheide

Gleichzeitig mit der Europawahl finden heute auch sieben Kommunalwahlen statt: in Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

In Bayern steht ein halbes Dutzend Bürgermeister- und Landratswahlen an. Darüber hinaus sind mehrere Bürgerentscheide angesetzt. So wird beispielsweise in Regensburg darüber abgestimmt, ob die Planungen für eine Stadtbahn fortgesetzt werden. Für die Staatsregierung spannend ist vor allem die Frage, wie das Votum der Bürgerinnen und Bürger in Marktl an Inn über den geplanten Windpark im Staatswald ausfällt.

Im Video: Erste Eindrücke aus Brüssel

BR-Chefreporter Stephan Mayer
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BR-Chefreporter Stephan Mayer

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