Es war ein großer Aufschrei im Mai 2016: Eine bayerische Großmetzgerei soll schuld an Bakterieninfektionen sein, an denen auch mehrere Menschen starben. Tatsächlich beobachteten Forschende seit 2012 einen Listeriose-Ausbruch mit Schwerpunkt in Baden-Württemberg und Bayern.
Mit einem Urteil soll am heutigen Donnerstag abschließend geklärt werden, ob der Freistaat Bayern für die Insolvenz der Großmetzgerei haften muss. Der Fall liegt beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.
Gefährliches Wammerl aus Oberbayern
Nochmal zurück, zum Beginn des Skandals: Das Robert-Koch-Institut (RKI) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatten den Fall damals untersucht. Mithilfe von sogenannten Genom-Analysen (externer Link) waren beide im Juni 2016 zu dem Schluss gelangt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang besteht zwischen den entdeckten Listerien auf einem Produkt der oberbayerischen Sieber GmbH und den untersuchten Listeriose-Patienten. Auf dem "Wacholderwammerl" des Geretsrieder Großmetzgers fanden sich die gleichen Keime wie bei den Erkrankten. Rund 80 Infektionen registrierte das RKI seit 2012, acht Menschen starben.
Daraufhin veröffentlichte das bayerische Verbraucherschutzministerium eine amtliche Warnung vor den Produkten der Sieber GmbH. Es bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, "dass von Erzeugnissen der Firma Sieber eine Gefährdung für die Gesundheit der Verbraucher ausgehen kann, auch wenn ein direkter Nachweis von Listerien nicht für sämtliche Produkte der Firma Sieber vorliegt."
Hat das Ministerium überreagiert?
Außerdem ließ das Ministerium im großen Stil Ware zurückrufen und verhängte ein Produktions- und Vertriebsverbot. Kurze Zeit später musste Sieber Insolvenz anmelden, 120 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz.
Hier kommt der Insolvenzverwalter des Unternehmens, Josef Hingerl, ins Spiel. Er verklagte den Freistaat Bayern wegen Amtspflichtverletzung. Das Verbraucherschutzministerium hätte nicht pauschal vor allen Produkten der Metzgerei warnen dürfen, nur vor den Belasteten. Es sei dadurch mitverantwortlich für die Insolvenz. Deshalb fordert Hingerl knapp elf Millionen Euro vom Freistaat.
Es geht unter anderem darum, ob es zur Amtspflicht einer Behörde gehört, zu ermitteln, ob es auch Fleischprodukte gab, die unschädlich waren. Sieber hatte 2016 Produkte in der Verpackung nachpasteurisiert. Listerien sterben bei Temperaturen über 70 Grad ab.
Ein Streit durch die Instanzen
Das Landgericht München hatte die Klage des Insolvenzverwalters in erster Instanz abgewiesen. Insolvenzverwalter Hingerl ging in Berufung, das Oberlandesgericht München (OLG) gab ihm daraufhin teilweise Recht (externer Link).
Das Vorgehen des Verbraucherschutzministerium sei zwar prinzipiell richtig gewesen, allerdings nur für Produkte, in denen Listerien vorkommen könnten. Für nachpasteurisierte Fleischwaren stellten der Rückruf, die amtliche Warnung und das Produktionsverbot aber eine Amtspflichtverletzung dar. Das OLG befand: Für diese Produkte wäre eine Schadenersatzforderung seitens des Insolvenzverwalters gerechtfertigt.
Nach der Urteilsverkündung im Januar 2023 kommentierte Andreas Meisterernst, Anwalt des Insolvenzverwalters, auf Anfrage der "Süddeutschen Zeitung", dass der Verbraucherschutz ein hohes Gut sei, aber auch für Behörden gäbe es "Regeln, die man einhalten muss".
Worüber der BGH entscheidet
Der Freistaat Bayern erwirkte nach dem OLG-Urteil eine Revision am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Anfang Dezember 2024 fand dort die mündliche Verhandlung statt. Der BGH muss abschließend klären, ob der Freistaat Bayern für die Insolvenz der Sieber GmbH haften muss.
Das Argument des BGH-Anwalts, der die Staatsregierung vertritt: Wegen der Dringlichkeit der Listeriose-Gefahr sei nicht ausreichend Zeit gewesen, um zu prüfen, ob es bei der Großmetzgerei auch unbedenkliche Produkte gegeben habe. Sein Gegenüber entgegnet ihm, man hätte nur im Unternehmen fragen müssen.
Im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk erklärt Insolvenzverwalter Hingerl - selbst Rechtsanwalt - er vermute, dass die Richter in Karlsruhe das Verfahren zurück an das OLG in München verweisen. Es sei möglicherweise nicht eindeutig geklärt, ob das Verbraucherschutzministerium über eine Nachpasteurisierung von Fleischwaren habe Bescheid wissen können.
Es wäre aber auch möglich, dass der Freistaat sein Ziel beim BGH erreicht: Die Wiedereinsetzung des Urteils des Landgerichts München. Dieses Landgericht muss außerdem noch prüfen, wie hoch Schadenersatzansprüche ausfallen könnten, sollte der Freistaat (teilweise) für den Ruin der ehemaligen Traditionsmetzgerei Sieber haften.
💡 Was sind Listerien?
Listerien sind Bakterien, die beim Menschen schwere Infektionen auslösen können. Die Bakterien sind in der Umwelt, vor allem in der Landwirtschaft, weit verbreitet. Normalerweise werden sie durch Pasteurisierung vernichtet – aber nicht immer. Denn Listerien sind sehr anspruchslos. Sie überleben auch, wenn sie mit befallenen Lebensmitteln eingefroren werden.
Eine Listerien-Erkrankung äußert sich meist innerhalb von 14 Tagen nach Infektion mit Durchfall und Fieber. Vor allem für Schwangere, Senioren und Menschen mit geschwächtem Abwehrsystem kann sie gefährlich werden: Bei ihnen könnten sich schwerere Krankheitsverläufe mit Blutvergiftung und Hirnhautentzündung entwickeln.
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