Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Utopie: Über 1.000 Kilometer weit soll Bayerns erster Wasserstoffzug ganz ohne Oberleitung fahren können, und aus dem Auspuff auf dem Dach kommt nur Wasserdampf. Der Wasserstoff, mit dem in einer Brennstoffzelle an Bord der Strom produziert wird, kommt laut der Bahn-Tochter DB-Energie, die für die Betankung zuständig ist, aus erneuerbaren Energien wie Windkraft oder Solarenergie. Perfekt für Bayern, das bis 2040 klimaneutral werden möchte?
Zweieinhalb Jahre lang soll der Wasserstoffzug Fahrgäste von Augsburg ins Allgäu bringen und dabei testweise zeigen, wie gut er sich als klimaschonende Alternative zu Dieselzügen eignet. Den Bahnverkehr revolutionieren wird Wasserstoff aber wohl trotzdem nicht: Aus Sicht von Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) ist er zwar "eine echte Alternative", aber auch die teuerste.
Im Video: Wie fährt es sich im Wasserstoffzug?
Experte: Wasserstofftechnik "problembelastet"
Lukas Iffländer, Bayerns Vorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn, hält die Technik für "problembehaftet". Das zeige sich zum Beispiel in Niedersachsen, wo bereits seit 2022 Wasserstoffzüge im Einsatz sind. Kürzlich mussten sie dort vorübergehend durch Dieselzüge ersetzt werden, wegen eines Lieferengpasses beim Wasserstoff. Und in Hessen seien die Züge vom Hersteller Alstom bis heute sehr unzuverlässig, vor allem im Winter. Im Taunus sollen deshalb ab kommendem Jahr vorerst wieder Dieselzüge fahren.
Auch Bayerns Wasserstoffzug vom Hersteller Siemens Mobility hatte bei einer Ausbildungsfahrt Probleme, weil die Brennstoffzelle eingefroren war. Eine Sprecherin erklärte auf Anfrage, Wasserstoffzug, Tankstelle und Bahn- und Werkstattpersonal müssten sich erst einspielen, Siemens Mobility werde den Zug und seine Bedienung optimieren.
Wasserstoff für Zugverkehr zu teuer
Auch mit Blick auf den Wirkungsgrad sieht Iffländer Wasserstoff im Nachteil: "Die Umwandlung von Strom in Wasserstoff ist relativ ineffizient." Unter hohem Energieaufwand wird Wasser in Elektrolyseuren mit Strom aufgespalten, in Wasserstoff und Sauerstoff. Bei der Fahrt reagiert in einer Brennstoffzelle im Zug dann der Wasserstoff mit der Umgebungsluft wieder zu Wasser, wobei der Strom für die Elektrolok freigesetzt wird, wobei aber nochmals Energie verloren geht. Dazu sind die Produktionskosten von Wasserstoff laut Iffländer hoch.
Wasserstoff für andere Industrien wichtiger
"Wasserstoff kann bei Zügen grundsätzlich nicht die erste Wahl sein", erklärt auch der Professor und Wasserstoff-Experte Martin Wietschel vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Denn der Bedarf an grünem Wasserstoff sei hoch, gleichzeitig werde er noch über Jahre hinweg sehr teuer sein. "Ihn bei Zügen einzusetzen, wo es mit Oberleitungen und Akku-Zügen bereits Alternativen gibt, macht keinen großen Sinn."
Dringender gebraucht werde Wasserstoff dort, wo es keine Alternativen gebe: In der Stahlindustrie, in Raffinerien und für die Herstellung chemischer Grundstoffe etwa, oder als E-Kerosin im Flugverkehr. Im Einzelfall jedoch könne ein Wasserstoffzug mit Brennstoffzelle sinnvoll sein, etwa bei langen Strecken ohne Oberleitung oder bei bergigen Strecken mit Steigungen, wie es sie beispielsweise im Allgäu gibt.
Experten: Elektro- und Akku-Züge bessere Alternative
Viele Experten setzen deshalb insgesamt eher auf Elektro- und Akku-Züge. Aber auch hier gibt es Herausforderungen: Laut Verkehrsministerium ist aktuell nur etwa die Hälfte des bayerischen Schienennetzes elektrifiziert. Akku-Züge haben begrenzte Reichweiten, in der Regel rund 100 Kilometer. Danach müssen sie an Oberleitungen wieder aufgeladen werden. Ein Problem, denn in Bayern gibt es große sogenannte "Diesel-Inseln", in denen statt Elektro- und Akku-Zügen - wegen fehlender Oberleitungen und begrenzter Reichweiten - bisher Dieselzüge fahren müssen.
Appell zur Elektrifizierung
Lukas Iffländer vom Fahrgastverband Pro Bahn setzt dennoch auf Akku-Züge, nicht auf Wasserstoff: "In den letzten Jahren haben die Batterien einfach einen Riesensprung gemacht. Das sehen wir auch beim Elektroauto." Er appelliert an den Bund, die Elektrifizierung des Schienennetzes voranzutreiben. Mit Investitionen "deutlich unter einer Milliarde Euro" könne der komplette bayerische Bahnverkehr elektrisch gefahren werden, also mit Oberleitung und Akku-Zügen.
Wasserstoffzug als Nischentechnologie?
Marc Ludwig, Leiter für Regionalzüge beim Hersteller Siemens Mobility, sieht trotz aller Bedenken eine Zukunft für den Wasserstoffzug: Die Wasserstofftechnologie könne einen erheblichen Beitrag zur Rettung des Klimas leisten, erklärt er im BR-Interview. "Die Technologie wird einen weiteren Schritt machen, Wasserstoff wird sicherlich in Anschaffung und Herstellung günstiger werden und eine wirtschaftliche Alternative zu den heutigen Dieselzügen sein, vor allem im ländlichen Raum."
Auch für Peter Stöferle, Verkehrsexperte bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben, hat der Wasserstoffzug seine Berechtigung: auf Strecken, deren Elektrifizierung sich wirtschaftlich nicht lohne: "Dort wird der Wasserstoffzug seine Nische finden." Auf stark befahrenen Strecken ins Allgäu kann der Wasserstoffzug aber die Elektrifizierung auch aus Sicht der IHK Schwaben nicht ersetzen.
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