Es war wirklich der große Traum vom Fliegen. Mit Otto Lilienthal, dem ersten erfolgreichen Flieger der Menschheit als Namenspatron, wollten vier Gründer von der Technischen Universität München das erste batterieelektrisch-betriebene senkrecht-startende Fahrzeug bauen, das fliegt. Ein Flugtaxi. Schon fünf Jahre nach der Gründung im Jahr 2015 wurde das "Einhorn-Startup" aus Oberbayern mit über einer Milliarde Dollar bewertet. Doch nach fast elf Jahren steht das Unternehmen nun vor dem endgültigen Aus. Nachdem im Herbst das erste Mal Insolvenz angemeldet wurde, kam es schon im Februar ein weiteres Mal dazu.
Mitarbeitende seit Januar ohne Gehalt
Und nicht nur das: Knapp 1.000 Mitarbeitende des Unternehmens haben seit Januar kein Gehalt bekommen, heißt es jetzt in einer Mitteilung des Insolvenzverwalters Robert Hänel. Das sei dramatisch für die Beschäftigten und für einige existenzgefährdend.
In einem aktuellen LinkedIn-Post (externer Link) des ehemaligen Lilium-Ingenieurs Rafael Correa ist die Hilflosigkeit der Mitarbeitenden zu erahnen: "Angestellte aus über 70 Ländern, die fleißig ihre Steuern gezahlt haben, warten immer noch auf eine Regelung bezüglich ihrer nicht gezahlten Gehälter". Außerdem stellt der Ingenieur im Post die Frage: "Wer springt ein, um die Lücken zu schließen?"
Arbeitsplätze, Innovationsfähigkeit, Staatsfinanzen
Die Krise um das Unternehmen Lilium werfe viele Fragen auf, meint auch Christoph Becker. Er ist Juraprofessor an der Universität Augsburg und Experte für Insolvenzrecht. Es gebe die Sorge um die Arbeitsplätze, die Sorge um die Innovationsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland, insbesondere Bayerns. "Es gibt aber auch die Sorge um die Auskömmlichkeit der staatlichen Finanzen. Der Staat kann den Menschen nicht alle Sorgen abnehmen", meint Christoph Becker. Durch das Insolvenzgeld, das anstelle des Gehalts an die Arbeitnehmer ausgezahlt wird, habe das Unternehmen die Möglichkeit, etwas an Liquidität zu gewinnen. Den Lilium-Mitarbeitenden sei dieses aber bereits einmal ausgezahlt worden.
Zweites Insolvenzverfahren ohne Insolvenzgeld für Mitarbeitende?
Nach rechtlicher Auslegung des Augsburger Experten ist es ausgeschlossen, dass das Insolvenzgeld ein weiteres Mal ausgezahlt wird. Das Insolvenzgeld sei im Gesetz nur einmalig für einen Zeitraum von drei Monaten vorgesehen. "Wenn der Staat helfen wollte, müsste er Mittel zur Verfügung stellen, die jenseits dessen liegen, was als Rechtsansprüche für die Beschäftigten vorgesehen ist", argumentiert Becker. Der Experte erklärt: Das Insolvenzgeld wurde von den Arbeitnehmenden selbst erwirtschaftet. Es sei nicht dazu gedacht, die Sanierung eines Unternehmens zu unterstützen. Sondern als finanzielle Brücke für Arbeitnehmer, die durch Insolvenz ihren Arbeitsplatz verlieren.
Staatliche Rettung ausgeschlossen
Im Fall Lilium sieht der Jurist Christoph Becker nun schwarz: "Meiner Meinung nach ist es eher ausgeschlossen, dass es zu einer neuerlichen Rettung kommen kann." Zwar hatte Ministerpräsident Markus Söder noch im Oktober eine staatliche Kreditbürgschaft in Kooperation mit dem Bund vorgeschlagen. Diese ist jedoch im Haushaltsausschuss des Bundes gescheitert. "Man kann vielleicht von Glück reden, dass dieser zweite Rettungsversuch nicht mit staatlichen Mitteln zustande gekommen ist", meint der Jurist Christoph Becker mit Verweis auf den Fall des Mobiltelefonherstellers Nokia.
Agentur für Arbeit kann Lilium-Mitarbeitenden helfen
Seiner Einschätzung nach hätte der Lilium-Jet auch auf lange Sicht keine Marktreife erreicht. "Wenn schon die Entwicklung anderthalb Milliarden verschlingt und das Produkt noch nicht marktgängig ist. Wie soll es dann marktgängig werden?" Die Mitarbeitenden müssten nun mit der eigenen Kenntnis vom Markt und auch von den technischen Gegebenheiten eine Lösung für sich suchen. Die Agentur für Arbeit könne bei einer möglichen Jobsuche helfen. Der Jurist rät jedoch hochqualifizierten Arbeitnehmenden, sich selbst aktiv umzusehen. Denn die Arbeitsagentur habe in der Regel nicht den vollen Zugang zu möglichen Arbeitgebern.
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