Die Oberallgäuer Landrätin Indra Baier-Müller (Freie Wähler) war entsetzt über Meldungen, die sie am Donnerstagabend las: "Freie-Wähler-Landräte stellen sich gegen Kurs ihrer Partei." Demnach soll sie gemeinsam mit allen anderen bayerischen Landrätinnen und Landräten eine Zustimmung zum schwarz-roten Milliardenpaket im Bund gefordert haben – abweichend vom offiziellen Freie-Wähler-Beschluss. Baier-Müller veröffentlichte eine Klarstellung: "Ich wurde zu dieser Position weder befragt noch habe ich dieser zugestimmt." Ähnlich reagierte Regensburgs FW-Landrätin Tanja Schweiger, die Lebensgefährtin von Parteichef Hubert Aiwanger.
Der CSU spielte der Wirbel um den angeblichen Widerstand von Kommunalpolitikern gegen die FW-Spitze in die Hände. Denn genau diesen hatten führende CSU-Politiker vorhergesagt – um öffentlich Druck auf den Koalitionspartner auszuüben. Denn die CSU braucht grünes Licht vom Koalitionspartner, damit Bayern im Bundesrat für eine Aufweichung der Schuldenbremse und ein Sondervermögen für Infrastruktur stimmen kann.
Freie Wähler kämpferisch
Die Freien Wähler stellten sich am Mittwoch selbstbewusst gegen die Pläne im Bund. "So wie derzeit dieses Papier der schwarz-roten künftigen Koalition vorliegt, können wir nicht zustimmen, weil wir damit mehr Gefahr als Chance für die Stabilität unseres Landes sehen", sagte Aiwanger.
Fraktionschef Florian Streibl betonte, die FW lehnten eine Aufweichung der Schuldenbremse für die Verteidigung ab. Das Bekenntnis zur Schuldenbremse stehe auch im Koalitionsvertrag von CSU und FW. Skeptisch zeigte sich Streibl auch mit Blick auf das geplante Sondervermögen für Infrastruktur, aus dem 100 Milliarden Euro den Ländern und Kommunen zugutekommen sollen.
Der CSU-Fraktionsvorsitzende Klaus Holetschek erinnerte die Freien Wähler daraufhin an ihre staatspolitische Verantwortung und kommunalpolitische Verwurzelung: "Wenn das scheitert, dann ist es auch ein Schaden für die Kommunen in Bayern. Und das wollen doch die Freien Wähler sicherlich nicht, die sich auch als Kommunalpartei bezeichnen."
FW-Landräte: Kein Dissens
Da passte die Pressemitteilung, die der Bayerische Landkreistag am folgenden Tag verschickte, ins Bild. "Angesichts der laufenden Diskussionen zum Sondierungspapier der rot-schwarzen Sondierungsführer rufen die bayerischen Landrätinnen und Landräte alle Verantwortlichen zur Vernunft auf", hieß es darin. Landkreistag-Präsident Thomas Karmasin von der CSU wurde mit den Worten zitiert: "Wir brauchen zügige Strukturreformen und das geplante Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Investitionen in unsere Infrastruktur." Auf BR-Nachfrage versicherte eine Sprecherin, dies sei einhellige Meinung aller Landrätinnen und Landräte.
Nun aber gehen FW-Landräte reihenweise auf Distanz. Der Landshuter Landrat Peter Dreier teilt dem BR mit, er habe die Mitteilung des Landkreistags und die mediale Interpretation "mit großer Verwunderung" vernommen. Auch weitere Landräte betonen, es sei im Landkreistag überhaupt nichts beschlossen worden. Landkreistag-Präsident Karmasin bestätigt, dass es keinen Beschluss gegeben habe. Davon sei in der Pressemitteilung aber auch keine Rede. "Wir werden das nächste Woche ausdiskutieren."
Freie Wähler verärgert
Mehrere Freie-Wähler-Spitzenpolitiker wollen sich nicht öffentlich äußern. Hinter vorgehaltener Hand aber wird die Frage aufgeworfen, ob die CSU versucht habe, die Freien Wähler zu spalten. Die Verärgerung ist groß.
Frust hatte sich schon in den Tagen zuvor angestaut. Gleich nach der Bundestagswahl hatte CSU-Chef Markus Söder die Freien Wähler zu "Splittergruppe" erklärt, beim politischen Aschermittwoch verbat er sich deren "bundespolitisches Gequake". Am Sonntag verkündete er in der ARD, an Bayern werde das Milliardenpaket im Bundesrat nicht scheitern – obwohl er mit FW-Chef Aiwanger noch gar nicht gesprochen hatte. Aus Sicht der Freien Wähler eine Respekt- und Stillosigkeit. Wobei zur Wahrheit gehört: Aiwanger hatte der Union und damit auch seinem Koalitionspartner CSU direkt nach der Sondierungseinigung die "Glaubwürdigkeit eines Heiratsschwindlers" attestiert.
SPD: "Jederzeit gesprächsbereit"
Sprach man in den vergangenen Tagen mit CSUlern, war wenig Bereitschaft zu erkennen, mit dem Koalitionspartner pfleglicher umzugehen. Stattdessen wurde der Hinweis gestreut, dass für die CSU auch eine Koalition mit der SPD rechnerisch möglich wäre.
Die Sozialdemokraten lassen erkennen, dass sie nicht abgeneigt wären. Fraktionschef Holger Grießhammer sagte am Dienstag: Er sei nicht im Landtag, um – überspitzt gesagt – Politik für den Papierkorb zu machen. "Mein Anspruch ist es, etwas zu verändern und etwas zu bewegen. Und das geht natürlich leichter in einer Regierung." Die SPD sei "immer gesprächsbereit".
Einigung nächste Woche?
Ein schwarz-rotes Bündnis hätte in Bayern nur eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Damit müssten bei Abstimmungen alle Minister und der Ministerpräsident im Landtag sein. Das Kokettieren der CSU mit Schwarz-Rot dürfte vor allem dazu dienen, den Druck auf die Freien Wähler weiter zu erhöhen.
Ein Bruch der Koalition wird auf beiden Seiten jedenfalls nicht wirklich erwartet. Nach BR-Informationen steht mittlerweile fest, dass sich Anfang nächster Woche der Koalitionsausschuss treffen wird.
Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) sagt dem BR, seine Partei werde sich "mit der gebotenen Ernsthaftigkeit" mit der Einigung befassen, die Union und SPD mit den Grünen mittlerweile erzielt haben. "Dabei sind wir uns unserer Verantwortung in herausfordernden Zeiten bewusst, in denen unser Land unter massivem geo- und wirtschaftspolitisch Druck steht."
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