Die kleine Yade ist noch nicht lange auf der Welt, zwölf Tage ist das Mädchen alt. An ihrem Krankenhaus-Bettchen im Leopoldina-Krankenhaus steht Karina Wiegler-Schenkel. Sie hält ihre Hände ganz vorsichtig an Kopf und Füße ihrer kleinen Patientin. Yade kam nach 24 Wochen Schwangerschaft auf die Welt – also 16 Wochen zu früh.
Dass frühgeborene Kinder wie Yade auch künftig im Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus betreut werden können, ist jedoch nicht sicher. Kliniken dürfen Frühgeborene ab dem 1. Januar 2024 nur behandeln, wenn sie mindestens 25 Frühgeborene im Jahr betreuen. Und zwar solche Frühgeborene, die maximal 1.250 Gramm wiegen.
Spezielle Frühchen-Versorgung nur in Kliniken mit Erlaubnis
Nur wenn die Kliniken diese Vorgaben erfüllen, halten sie langfristig die Erlaubnis aufrecht, diese Kinder medizinisch versorgen zu dürfen. In Nordfranken sind verschiedene Krankenhäuser von der neuen Fallzahl-Regelung betroffen: Neben Schweinfurt auch Kliniken in Bamberg, Coburg und Bayreuth. Erreichen die Krankenhäuser nach der augenblicklichen Lage diese Zahl nicht, müssen frühgeborene Kinder unter diesem Gewicht von 1.250 Gramm künftig anderswo behandelt werden – in Unikliniken oder anderen Kliniken, die die Bedingungen erfüllen. Festgelegt hat die Vorgaben der sogenannte "Gemeinsame Bundesausschuss". Der ist unter anderem mit Vertretern von Krankenkassen und Krankenhäusern besetzt.
Hintergrund-Idee dieser neuen Vorgaben ist, für solche extremen Frühchen ein erfahrenes Behandlungsteam zu gewährleisten. "Denn wissenschaftliche Studien belegen: Bei dieser höchst anspruchsvollen medizinischen Versorgung werden mit steigender Erfahrung auch bessere Ergebnisse erzielt.", heißt es in einer Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses von August.
Kliniken aus Nordfranken arbeiten im Verbund
Das Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus hatte laut Geschäftsführer Jürgen Winter in den vergangenen Jahren im Durchschnitt 19 Frühgeborenen-Behandlungen und -Betreuungen. Also nach den Vorgaben zu wenige. Damit ist Schweinfurt nicht allein – zeigt eine Statistik, die das Klinikum Coburg geschickt hat. Zwischen 2011 und 2022 lagen auch die Kliniken in Bamberg (Durschnitt 22,66), Bayreuth (Durchschnitt 18,08) und Coburg (Durchschnitt 16,5) unter der Fallzahl-Vorgabe.
Vor Jahren hatten diese Kliniken sich deswegen im sogenannten "Perinatal-Zentrum Nordfranken" zusammengeschlossen. Das Ziel: einerseits im Verbund die Frühchen-Zahlen erfüllen und andererseits gemeinsam für die Erfüllung aller nötigen Qualitätskriterien das eigene Personal fortbilden.
Verbund-Lösung wird ab Januar nicht mehr akzeptiert
Die Verbund-Lösung wird künftig bei der Frühgeborenen-Fallzahl-Vorgabe jedoch nicht mehr akzeptiert. Das heißt, jede Klinik muss für sich die Frühgeborenen-Behandlungszahlen erfüllen. In der Vergangenheit lag die Zahl der jährlich nötigen Frühgeborenen-Betreuung von Kindern unter 1.250 Gramm bei 14 pro Klinik, dann wurde sie auf 20 angehoben. Ab Januar 2024 gilt dann die Zahl von 25. Die genannten Kliniken in Schweinfurt, Bamberg, Coburg und Bayreuth dürften somit keine Frühgeborenen unter 1.250 Gramm mehr behandeln.
Transport von Frühchen birgt Gefahren
Diese Frühchen müssten dann in die Unikliniken nach Würzburg, Erlangen, Regensburg oder sogar Jena in Thüringen gebracht werden. Für Eltern bedeutet das dann in der Regel deutlich längere Wege zu ihren Kindern. Klinikpersonal würde bei Notfällen die Expertise und Erfahrung verlieren.
Die Verlegung von solchen Frühchen von ihrem Geburts-Krankenhaus in eine Uniklinik hat außerdem Risiken, sagt Dr. Johannes Herrmann, Chefarzt der Kinder-Klinik am Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus: "Die Frühgeborenen haben haarfeine Blutgefäße und wenn man da dann – ich sage es mal flapsig – über die Landstraßen mit dem Rettungswagen rumpelt, dann ist die Gefahr riesig groß, dass die Kinder dann zusätzlich noch eine Hirnblutung bekommen."
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe schreibt in einer Pressemitteilung dazu: "Frühgeburtlichkeit ist in den meisten Fällen vorhersehbar, mehr als 95 Prozent der betroffenen Schwangeren werden bereits vor der Geburt stationär betreut." Daher sei eine Verlegung schon vor der Geburt mit einer Mindestmenge an Risiko möglich. Die Versorgung von extrem unreifen Kindern in größeren Einrichtungen erhöhe die Wahrscheinlichkeit, die zu frühe Geburt ohne Schädigung zu überleben.
Schweinfurter Chef-Gynäkologe kritisiert Zentralisierung
Professor Michael Weigel ist der Chefarzt der Gynäkologie im Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus. Er sorgt mit seinen Hebammen, Ärzten und Pflegekräften dafür, dass schwangere Frauen so lange wie möglich ihre Kinder im Mutterleib behalten, weil sie so die besten Bedingungen haben. "Wir müssen alles geben, zunächst jeden Tag zu schinden, dann jede Woche, damit wir eben keine Frühgeborenen haben. Dieser Aspekt wird völlig außen vorgelassen. Es zählen nur die Kinder, bei denen wir das nicht verhindern konnten.", sagt Weigel. Das sei ein Widerspruch.
Es sei ein großer politischer Wunsch, alle Problemfelder zu zentralisieren. Dabei gehe die Politik Wege, die an der Realität vorbei gehen würden. "Es werden Gesetze und Verordnungen am 'Grünen Tisch' gemacht, auf Großstädte ausgerichtet, nur wir sind nicht in der Großstadt, wir haben eine andere Situation", sagte Weigel. Menschen in Großstädten wie München, Berlin oder Hamburg hätten die Möglichkeit, bei Schließungen von Frühgeborenen-Stationen in kleineren Krankenhäusern "mit der U-Bahn einfach zwei Stationen weiterzufahren". Das hätten die Menschen in den ländlichen Regionen nicht.
Vorbild Schweden: Familien können in Frühchen-Zentren ziehen
Als vorbildlich empfinden die Schweinfurter Pflegekräfte und Ärzte die Situation in Schweden. Dort gebe es im ganzen Land nur drei Perinatal-Zentren. Bei Frühgeburten oder drohenden Frühgeburten könnten die Mütter mit ihren ganzen Familien quasi in diese Zentren ziehen. Dafür gebe es entsprechende Unterbringungsmöglichkeiten. Für verdienende Elternteile werde Lohnfortzahlung garantiert und Geschwisterkinder könnten familiennah weiter betreut werden.
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