Johanna wirft ihren Kopf wild hin und her und jubelt vor Freude. Um sie herum groovt sich die Band mit einem Song von Carlos Santana ein. Dann ist es soweit: Auf Zuruf vom Bandleader setzt sie ihre Mundharmonika an die Lippen und improvisiert ein Solo. Gegenüber steht ihr Vater Wolfgang Vogt und schüttelt mit einem Lächeln im Gesicht ungläubig den Kopf. Dass seine Tochter wie selbstverständlich in einer Band spielt, grenzt an ein Wunder.
- Mehr zum Thema: Teilhabe mit Behinderung
Selbstbestimmung durch das Bundesteilhabegesetz
Vor 37 Jahren erlitt Johanna kurz nach ihrer Geburt einen Hirnschaden. Bis sie drei Jahre alt war, war sie kontaktunfähig: blind, konnte sich kaum bewegen und hatte nur wenig Hirnmasse. Verschiedene Therapien zeigten aber Erfolge und heute lebt Johanna nicht in einer Behinderteneinrichtung, sondern in einer WG.
Insgesamt zwölf Assistentinnen und Assistenten kümmern sich um Johanna, die alle von ihr angestellt sind. Hintergrund ist das Bundesteilhabegesetz, das die Möglichkeit eines persönlichen Budgets bietet. Vereinfacht gesagt, können sich damit behinderte Menschen die Hilfe einkaufen, die sie individuell für nötig halten. Ihr Vater Wolfgang verwaltet das Budget.
Geld reicht nicht für Mindestlohn
Die meisten von Johannas Assistenten sind Studierende, die sich etwas dazuverdienen. Auch ihre beiden Mitbewohner übernehmen Dienste, die ihnen auf die Miete gutgeschrieben werden. Alle sind Hilfs- und keine Fachkräfte. Letztere müsste es aber laut Zielvereinbarung mit dem Kostenträger auch geben. Das Problem: Das zugewiesene Budget reicht laut Wolfgang Vogt nicht einmal, um die Hilfskräfte nach Mindestlohnvorgaben zu bezahlen. Das liege aber daran, dass sich das Landratsamt Main-Tauber-Kreis als zuständige Behörde nicht ans Gesetz halte.
Obwohl die Vogts seit Jahren in Würzburg leben, ist das Amt in Tauberbischofsheim der Kostenträger für Johannas persönliches Budget. Weil die Familie beim Erstantrag in Bad Mergentheim gelebt hatte, bleibt die dortige Behörde für immer zuständig, auch bei einem Umzug in ein anderes Bundesland. Allerdings muss sich der Kostenträger per Gesetz an die ortsüblichen Löhne am Wohnort halten, was laut Markus Moll, dem Pressesprecher des Landratsamtes Main-Tauber-Kreis auch geschehe.
Wolfgang Vogt sieht das anders. "Wir kriegen trotz einer Erhöhung nicht so viel, dass wir den gesetzlichen Mindestlohn mit den gesetzlichen Abgaben zahlen können", sagt Wolfgang Vogt. Pro Helferstunde zahlt das Amt aktuell etwa 15 Euro brutto, so Vogt. Der Mindestlohn für ungelernte Hilfskräfte liegt bei 12,41 Euro, alle Abgaben und Zuschläge mit eingerechnet, kommt Wolfgang Vogt auf etwa 23 Euro. Eine Summe, die der Bezirk Unterfranken im Gegensatz zum Landratsamt Main-Tauber-Kreis zahlt. Eine Helferstunde wird hier mit etwa 27 Euro brutto vergütet. Das geht aus Unterlagen eines vergleichbaren Falls hervor, die dem BR vorliegen.
Entscheidung vor Gericht
Wolfgang Vogt steht seit längerem im Austausch mit dem Landratsamt. Bisher wurde Verständnis, Offenheit und Bereitschaft signalisiert – es kam auch zu einer Erhöhung des Budgets. Diese sei aber zu gering ausgefallen, argumentiert Vogt. Eine Entscheidung soll ein Urteil des Sozialgerichts bringen – die Vogts warten noch auf einen Verhandlungstermin. Neben der Klage beim Sozialgericht erwägen sie nach eigener Aussage auch eine Klage beim Verwaltungsgericht zu erheben, Schadensersatz zu fordern, sowie eine Anzeige wegen Willkür im Amt.
"Hier ist Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!